Dort sehen wir die Natur, wie sie ist, mit ihren Schönheiten und Maengeln, Vollkom- menheiten und Schwachheiten; hier denken wir alle Maengel, alle Schwachheiten weg, und erblicken nichts als Schönheit und Voll- kommenheit. Ich könnte diess weitlaeufti- ger ausmahlen, denke aber: sapienti sat.
Ob es nun aber gleich so bleiben soll, dass die Schönheit in der Natur bekleidet, und auf Gemaehlden nacket erscheint, und ich also die daraus entspringenden Irregula- ritaeten nicht weiter rügen will: so ists doch gewiss, dass wirklich wollüstige und unver- schaemte Gemaelde ein wahres Gift für junge Seelen sind. Eine einzige unzüchtige Vor- stellung ist hinlaenglich, die Einbildungskraft in volle Flammen zu setzen, und so tief ein- zugreifen, dass alles Entgegenstreben der schwachen Vernunft nicht vermögend ist, sie loss zu werden. Und gleichwohl -- wie zahlreich sind die Gemaehlde und Kupferstiche, die man, ohne zu erröthen, nicht betrach-
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Dort ſehen wir die Natur, wie ſie iſt, mit ihren Schönheiten und Mængeln, Vollkom- menheiten und Schwachheiten; hier denken wir alle Mængel, alle Schwachheiten weg, und erblicken nichts als Schönheit und Voll- kommenheit. Ich könnte dieſs weitlæufti- ger ausmahlen, denke aber: ſapienti ſat.
Ob es nun aber gleich ſo bleiben ſoll, daſs die Schönheit in der Natur bekleidet, und auf Gemæhlden nacket erſcheint, und ich alſo die daraus entſpringenden Irregula- ritæten nicht weiter rügen will: ſo iſts doch gewiſs, daſs wirklich wollüſtige und unver- ſchæmte Gemælde ein wahres Gift für junge Seelen ſind. Eine einzige unzüchtige Vor- ſtellung iſt hinlænglich, die Einbildungskraft in volle Flammen zu ſetzen, und ſo tief ein- zugreifen, daſs alles Entgegenſtreben der ſchwachen Vernunft nicht vermögend iſt, ſie loſs zu werden. Und gleichwohl — wie zahlreich ſind die Gemæhlde und Kupferſtiche, die man, ohne zu erröthen, nicht betrach-
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Dort ſehen wir die Natur, wie ſie iſt, mit
ihren Schönheiten und Mængeln, Vollkom-
menheiten und Schwachheiten; hier denken
wir alle Mængel, alle Schwachheiten weg,
und erblicken nichts als Schönheit und Voll-
kommenheit. Ich könnte dieſs weitlæufti-
ger ausmahlen, denke aber: ſapienti ſat.
Ob es nun aber gleich ſo bleiben ſoll,
daſs die Schönheit in der Natur bekleidet,
und auf Gemæhlden nacket erſcheint, und
ich alſo die daraus entſpringenden Irregula-
ritæten nicht weiter rügen will: ſo iſts doch
gewiſs, daſs wirklich wollüſtige und unver-
ſchæmte Gemælde ein wahres Gift für junge
Seelen ſind. Eine einzige unzüchtige Vor-
ſtellung iſt hinlænglich, die Einbildungskraft
in volle Flammen zu ſetzen, und ſo tief ein-
zugreifen, daſs alles Entgegenſtreben der
ſchwachen Vernunft nicht vermögend iſt, ſie
loſs zu werden. Und gleichwohl — wie
zahlreich ſind die Gemæhlde und Kupferſtiche,
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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/146>, abgerufen am 22.11.2024.
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