Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Dort sehen wir die Natur, wie sie ist, mit
ihren Schönheiten und Maengeln, Vollkom-
menheiten und Schwachheiten; hier denken
wir alle Maengel, alle Schwachheiten weg,
und erblicken nichts als Schönheit und Voll-
kommenheit. Ich könnte diess weitlaeufti-
ger ausmahlen, denke aber: sapienti sat.

Ob es nun aber gleich so bleiben soll,
dass die Schönheit in der Natur bekleidet,
und auf Gemaehlden nacket erscheint, und
ich also die daraus entspringenden Irregula-
ritaeten nicht weiter rügen will: so ists doch
gewiss, dass wirklich wollüstige und unver-
schaemte Gemaelde ein wahres Gift für junge
Seelen sind. Eine einzige unzüchtige Vor-
stellung ist hinlaenglich, die Einbildungskraft
in volle Flammen zu setzen, und so tief ein-
zugreifen, dass alles Entgegenstreben der
schwachen Vernunft nicht vermögend ist, sie
loss zu werden. Und gleichwohl -- wie
zahlreich sind die Gemaehlde und Kupferstiche,
die man, ohne zu erröthen, nicht betrach-

ten

Dort ſehen wir die Natur, wie ſie iſt, mit
ihren Schönheiten und Mængeln, Vollkom-
menheiten und Schwachheiten; hier denken
wir alle Mængel, alle Schwachheiten weg,
und erblicken nichts als Schönheit und Voll-
kommenheit. Ich könnte dieſs weitlæufti-
ger ausmahlen, denke aber: ſapienti ſat.

Ob es nun aber gleich ſo bleiben ſoll,
daſs die Schönheit in der Natur bekleidet,
und auf Gemæhlden nacket erſcheint, und
ich alſo die daraus entſpringenden Irregula-
ritæten nicht weiter rügen will: ſo iſts doch
gewiſs, daſs wirklich wollüſtige und unver-
ſchæmte Gemælde ein wahres Gift für junge
Seelen ſind. Eine einzige unzüchtige Vor-
ſtellung iſt hinlænglich, die Einbildungskraft
in volle Flammen zu ſetzen, und ſo tief ein-
zugreifen, daſs alles Entgegenſtreben der
ſchwachen Vernunft nicht vermögend iſt, ſie
loſs zu werden. Und gleichwohl — wie
zahlreich ſind die Gemæhlde und Kupferſtiche,
die man, ohne zu erröthen, nicht betrach-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0146" n="136"/>
Dort &#x017F;ehen wir die Natur, wie &#x017F;ie i&#x017F;t, mit<lb/>
ihren Schönheiten und Mængeln, Vollkom-<lb/>
menheiten und Schwachheiten; hier denken<lb/>
wir alle Mængel, alle Schwachheiten weg,<lb/>
und erblicken nichts als Schönheit und Voll-<lb/>
kommenheit. Ich könnte die&#x017F;s weitlæufti-<lb/>
ger ausmahlen, denke aber: &#x017F;apienti &#x017F;at.</p><lb/>
            <p>Ob es nun aber gleich &#x017F;o bleiben &#x017F;oll,<lb/>
da&#x017F;s die Schönheit in der Natur bekleidet,<lb/>
und auf Gemæhlden nacket er&#x017F;cheint, und<lb/>
ich al&#x017F;o die daraus ent&#x017F;pringenden Irregula-<lb/>
ritæten nicht weiter rügen will: &#x017F;o i&#x017F;ts doch<lb/>
gewi&#x017F;s, da&#x017F;s wirklich wollü&#x017F;tige und unver-<lb/>
&#x017F;chæmte Gemælde ein wahres Gift für junge<lb/>
Seelen &#x017F;ind. Eine einzige unzüchtige Vor-<lb/>
&#x017F;tellung i&#x017F;t hinlænglich, die Einbildungskraft<lb/>
in volle Flammen zu &#x017F;etzen, und &#x017F;o tief ein-<lb/>
zugreifen, da&#x017F;s alles Entgegen&#x017F;treben der<lb/>
&#x017F;chwachen Vernunft nicht vermögend i&#x017F;t, &#x017F;ie<lb/>
lo&#x017F;s zu werden. Und gleichwohl &#x2014; wie<lb/>
zahlreich &#x017F;ind die Gemæhlde und Kupfer&#x017F;tiche,<lb/>
die man, ohne zu erröthen, nicht betrach-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0146] Dort ſehen wir die Natur, wie ſie iſt, mit ihren Schönheiten und Mængeln, Vollkom- menheiten und Schwachheiten; hier denken wir alle Mængel, alle Schwachheiten weg, und erblicken nichts als Schönheit und Voll- kommenheit. Ich könnte dieſs weitlæufti- ger ausmahlen, denke aber: ſapienti ſat. Ob es nun aber gleich ſo bleiben ſoll, daſs die Schönheit in der Natur bekleidet, und auf Gemæhlden nacket erſcheint, und ich alſo die daraus entſpringenden Irregula- ritæten nicht weiter rügen will: ſo iſts doch gewiſs, daſs wirklich wollüſtige und unver- ſchæmte Gemælde ein wahres Gift für junge Seelen ſind. Eine einzige unzüchtige Vor- ſtellung iſt hinlænglich, die Einbildungskraft in volle Flammen zu ſetzen, und ſo tief ein- zugreifen, daſs alles Entgegenſtreben der ſchwachen Vernunft nicht vermögend iſt, ſie loſs zu werden. Und gleichwohl — wie zahlreich ſind die Gemæhlde und Kupferſtiche, die man, ohne zu erröthen, nicht betrach- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/146
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/146>, abgerufen am 22.11.2024.