Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

den Erfahrungen, die mir theils redliche
Jünglinge, theils weise und rechtschaffne
Erzieher mitgetheilt haben, erblicke ich in
den mehresten Gesichtern die sterbende Un-
schuld, die ich küsse mit der Empfindung,
mit welcher man überhaupt sterbende zu
küssen pflegt. Man kann auch leicht da-
her muthmasen, dass ich mit sehr schwerem
Herzen die Feder itzo ergreife. Aber er-
greifen muss ich sie. Man kann nicht im-
mer sich freuen mit den Frölichen, die
Pflicht erfordert, dass man auch bisweilen
traure mit den Traurenden.

Von verschiedenen Orten her wurde
ich gebeten und gewarnt, diese Schrift
nicht auszufertigen; und diese Bitten und
Warnungen waren nicht ganz umsonst.
Sie haben wirklich dazu gedient, dass ich
mich entschlossen habe, jeden Ausdruck
mit möglichster Behutsamkeit zu waehlen,
welches sonst vermuthlich nicht würde ge-
schehen seyn. Aber diesen Bitten geradezu

Gehör
(A 2)

den Erfahrungen, die mir theils redliche
Jünglinge, theils weiſe und rechtſchaffne
Erzieher mitgetheilt haben, erblicke ich in
den mehreſten Geſichtern die ſterbende Un-
ſchuld, die ich küſſe mit der Empfindung,
mit welcher man überhaupt ſterbende zu
küſſen pflegt. Man kann auch leicht da-
her muthmaſen, daſs ich mit ſehr ſchwerem
Herzen die Feder itzo ergreife. Aber er-
greifen muſs ich ſie. Man kann nicht im-
mer ſich freuen mit den Frölichen, die
Pflicht erfordert, daſs man auch bisweilen
traure mit den Traurenden.

Von verſchiedenen Orten her wurde
ich gebeten und gewarnt, dieſe Schrift
nicht auszufertigen; und dieſe Bitten und
Warnungen waren nicht ganz umſonſt.
Sie haben wirklich dazu gedient, daſs ich
mich entſchloſſen habe, jeden Ausdruck
mit möglichſter Behutſamkeit zu wæhlen,
welches ſonſt vermuthlich nicht würde ge-
ſchehen ſeyn. Aber dieſen Bitten geradezu

Gehör
(A 2)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="3"/>
den Erfahrungen, die mir theils redliche<lb/>
Jünglinge, theils wei&#x017F;e und recht&#x017F;chaffne<lb/>
Erzieher mitgetheilt haben, erblicke ich in<lb/>
den mehre&#x017F;ten Ge&#x017F;ichtern die &#x017F;terbende Un-<lb/>
&#x017F;chuld, die ich kü&#x017F;&#x017F;e mit der Empfindung,<lb/>
mit welcher man überhaupt &#x017F;terbende zu<lb/>&#x017F;&#x017F;en pflegt. Man kann auch leicht da-<lb/>
her muthma&#x017F;en, da&#x017F;s ich mit &#x017F;ehr &#x017F;chwerem<lb/>
Herzen die Feder itzo ergreife. Aber er-<lb/>
greifen mu&#x017F;s ich &#x017F;ie. Man kann nicht im-<lb/>
mer &#x017F;ich freuen mit den Frölichen, die<lb/>
Pflicht erfordert, da&#x017F;s man auch bisweilen<lb/>
traure mit den Traurenden.</p><lb/>
          <p>Von ver&#x017F;chiedenen Orten her wurde<lb/>
ich gebeten und gewarnt, die&#x017F;e Schrift<lb/>
nicht auszufertigen; und die&#x017F;e Bitten und<lb/>
Warnungen waren nicht ganz um&#x017F;on&#x017F;t.<lb/>
Sie haben wirklich dazu gedient, da&#x017F;s ich<lb/>
mich ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en habe, jeden Ausdruck<lb/>
mit möglich&#x017F;ter Behut&#x017F;amkeit zu wæhlen,<lb/>
welches &#x017F;on&#x017F;t vermuthlich nicht würde ge-<lb/>
&#x017F;chehen &#x017F;eyn. Aber die&#x017F;en Bitten geradezu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(A 2)</fw><fw place="bottom" type="catch">Gehör</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0013] den Erfahrungen, die mir theils redliche Jünglinge, theils weiſe und rechtſchaffne Erzieher mitgetheilt haben, erblicke ich in den mehreſten Geſichtern die ſterbende Un- ſchuld, die ich küſſe mit der Empfindung, mit welcher man überhaupt ſterbende zu küſſen pflegt. Man kann auch leicht da- her muthmaſen, daſs ich mit ſehr ſchwerem Herzen die Feder itzo ergreife. Aber er- greifen muſs ich ſie. Man kann nicht im- mer ſich freuen mit den Frölichen, die Pflicht erfordert, daſs man auch bisweilen traure mit den Traurenden. Von verſchiedenen Orten her wurde ich gebeten und gewarnt, dieſe Schrift nicht auszufertigen; und dieſe Bitten und Warnungen waren nicht ganz umſonſt. Sie haben wirklich dazu gedient, daſs ich mich entſchloſſen habe, jeden Ausdruck mit möglichſter Behutſamkeit zu wæhlen, welches ſonſt vermuthlich nicht würde ge- ſchehen ſeyn. Aber dieſen Bitten geradezu Gehör (A 2)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/13
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/13>, abgerufen am 24.11.2024.