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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Dritter Abschnitt.

Indeß läßt es sich nicht läugnen (a),
daß Cicero deßungeachtet in dieser wichtigen
Lehre nicht ganz fest gewesen, und unter
dem Ausdruck, injussu Dei non e vita mi-
grandum,
eine Zweydeutigkeit verborgen
liege, wie er denn auch von Cato glaubte,
daß dieser auf den Ruf der Gottheit dieß Le-
ben verlassen, und ihn mit Sokrates in Eine
Reihe stellte.

Hier also ein Beyspiel von dem Schick-
sale der menschlichen Vernunft
. Auf ei-
ner Seite sieht sie sehr richtig, daß man
gegen den Befehl der Gottheit den Geist
nicht aus dem Bewahrungshause loslassen
dürfe: auf der andern läßt sie sich von der
übertriebenen Achtung gegen Cato, also von
einem Vorurtheile, ein gefärbt Glas vor
das Auge halten, und nun sieht sie an dem
Selbstmorde ein Werk des Gehorsams ge-

gen
(a) I. Tusc. XXX. vetat enim dominans
ille in nobis Deus, injussu hinc nos suo
demigrare. Cum vero caussam justam
Deus ipse dederit, ut nunc Socrati, nunc
Catoni, saepe multis: ne ille, medius

fidius,
Dritter Abſchnitt.

Indeß laͤßt es ſich nicht laͤugnen (a),
daß Cicero deßungeachtet in dieſer wichtigen
Lehre nicht ganz feſt geweſen, und unter
dem Ausdruck, injuſſu Dei non e vita mi-
grandum,
eine Zweydeutigkeit verborgen
liege, wie er denn auch von Cato glaubte,
daß dieſer auf den Ruf der Gottheit dieß Le-
ben verlaſſen, und ihn mit Sokrates in Eine
Reihe ſtellte.

Hier alſo ein Beyſpiel von dem Schick-
ſale der menſchlichen Vernunft
. Auf ei-
ner Seite ſieht ſie ſehr richtig, daß man
gegen den Befehl der Gottheit den Geiſt
nicht aus dem Bewahrungshauſe loslaſſen
duͤrfe: auf der andern laͤßt ſie ſich von der
uͤbertriebenen Achtung gegen Cato, alſo von
einem Vorurtheile, ein gefaͤrbt Glas vor
das Auge halten, und nun ſieht ſie an dem
Selbſtmorde ein Werk des Gehorſams ge-

gen
(a) I. Tuſc. XXX. vetat enim dominans
ille in nobis Deus, injuſſu hinc nos ſuo
demigrare. Cum vero cauſſam juſtam
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Catoni, ſaepe multis: ne ille, medius

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[198/0210] Dritter Abſchnitt. Indeß laͤßt es ſich nicht laͤugnen (a), daß Cicero deßungeachtet in dieſer wichtigen Lehre nicht ganz feſt geweſen, und unter dem Ausdruck, injuſſu Dei non e vita mi- grandum, eine Zweydeutigkeit verborgen liege, wie er denn auch von Cato glaubte, daß dieſer auf den Ruf der Gottheit dieß Le- ben verlaſſen, und ihn mit Sokrates in Eine Reihe ſtellte. Hier alſo ein Beyſpiel von dem Schick- ſale der menſchlichen Vernunft. Auf ei- ner Seite ſieht ſie ſehr richtig, daß man gegen den Befehl der Gottheit den Geiſt nicht aus dem Bewahrungshauſe loslaſſen duͤrfe: auf der andern laͤßt ſie ſich von der uͤbertriebenen Achtung gegen Cato, alſo von einem Vorurtheile, ein gefaͤrbt Glas vor das Auge halten, und nun ſieht ſie an dem Selbſtmorde ein Werk des Gehorſams ge- gen (a) I. Tuſc. XXX. vetat enim dominans ille in nobis Deus, injuſſu hinc nos ſuo demigrare. Cum vero cauſſam juſtam Deus ipſe dederit, ut nunc Socrati, nunc Catoni, ſaepe multis: ne ille, medius fidius,

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/210>, abgerufen am 22.11.2024.