ne Natur flehend zu mir ruft: Zerstöre mich; daß der Trieb zur Selbsterhaltung -- Trieb zur Zerstörung wird.
Freund! ich kenne deine Sprache; höre itzt die meine:
Fürs erste: denke zurück, wie oft hat dich dein Gefühl schon widerlegt? Wie oft griffst du schon, im Drange der Leiden, nach dem Dolch, und wolltest ihn dir in die Brust stossen: und der Dolch fiel dir unge- braucht aus der Hand? Wie oft bebtest du schon zurück vor dem gefaßten Entschluß, ich will mich selbstmorden, und ein Ent- setzen vor dir ergriff dich, daß du stille stan- dest, und suchtest Muth, die Greulthat an dir zu vollführen, und fandest ihn nicht? Also schwieg er nicht der Trieb zur Selbst- erhaltung: er redete laut. Zwar kannst du ihn nach und nach schon noch zum Schwei- gen bringen, das heißt, zuerst ihn -- und dann dich selbst ermorden, wenn du par- theyisch genug bist, immer nur auf das er- wünschte Ende des Leidens, immer nur auf die scheinbare Unerträglichkeit der Last, und
nie
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Gruͤnde wider den Selbſtmord.
ne Natur flehend zu mir ruft: Zerſtoͤre mich; daß der Trieb zur Selbſterhaltung — Trieb zur Zerſtoͤrung wird.
Freund! ich kenne deine Sprache; hoͤre itzt die meine:
Fuͤrs erſte: denke zuruͤck, wie oft hat dich dein Gefuͤhl ſchon widerlegt? Wie oft griffſt du ſchon, im Drange der Leiden, nach dem Dolch, und wollteſt ihn dir in die Bruſt ſtoſſen: und der Dolch fiel dir unge- braucht aus der Hand? Wie oft bebteſt du ſchon zuruͤck vor dem gefaßten Entſchluß, ich will mich ſelbſtmorden, und ein Ent- ſetzen vor dir ergriff dich, daß du ſtille ſtan- deſt, und ſuchteſt Muth, die Greulthat an dir zu vollfuͤhren, und fandeſt ihn nicht? Alſo ſchwieg er nicht der Trieb zur Selbſt- erhaltung: er redete laut. Zwar kannſt du ihn nach und nach ſchon noch zum Schwei- gen bringen, das heißt, zuerſt ihn — und dann dich ſelbſt ermorden, wenn du par- theyiſch genug biſt, immer nur auf das er- wuͤnſchte Ende des Leidens, immer nur auf die ſcheinbare Unertraͤglichkeit der Laſt, und
nie
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Gruͤnde wider den Selbſtmord.
ne Natur flehend zu mir ruft: Zerſtoͤre
mich; daß der Trieb zur Selbſterhaltung —
Trieb zur Zerſtoͤrung wird.
Freund! ich kenne deine Sprache;
hoͤre itzt die meine:
Fuͤrs erſte: denke zuruͤck, wie oft
hat dich dein Gefuͤhl ſchon widerlegt? Wie
oft griffſt du ſchon, im Drange der Leiden,
nach dem Dolch, und wollteſt ihn dir in die
Bruſt ſtoſſen: und der Dolch fiel dir unge-
braucht aus der Hand? Wie oft bebteſt
du ſchon zuruͤck vor dem gefaßten Entſchluß,
ich will mich ſelbſtmorden, und ein Ent-
ſetzen vor dir ergriff dich, daß du ſtille ſtan-
deſt, und ſuchteſt Muth, die Greulthat an
dir zu vollfuͤhren, und fandeſt ihn nicht?
Alſo ſchwieg er nicht der Trieb zur Selbſt-
erhaltung: er redete laut. Zwar kannſt du
ihn nach und nach ſchon noch zum Schwei-
gen bringen, das heißt, zuerſt ihn — und
dann dich ſelbſt ermorden, wenn du par-
theyiſch genug biſt, immer nur auf das er-
wuͤnſchte Ende des Leidens, immer nur auf
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/17>, abgerufen am 16.07.2024.
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