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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Scheingründe für den Selbstmord.
tes verfolget mich: mein Vergehen
ist größer, als daß ich Vergebung
hoffen könnte."

Antwort. Wer bist du, daß du den
gränzenlosen Erbarmungen des Allbarmher-
zigen eine Gränze setzen darfst, und sagen:
bis hieher, und nicht weiter? "Mein
Vergehen ist zu [...]groß, als das es" -- von
dir hätte sollen begangen werden, aber nicht
so groß, daß es nicht sollte können vergeben
werden. Der dich schuf, ist größer als du.
"Die Rache Gottes verfolgt mich" -- Ra-
che? Gottes? Verfolgen? Wie schauervoll
auch das Gemälde der Liebe ausfallen muß,
wenn es die Hand der Verzweiflung ent-
wirft! Gott die Liebe, verfolgen!!! Und
wenn das Gemälde Wahrheit wäre, so
wäre es immer Thorheit, wie sich ein Welt-
weiser ausdrückt, in den Fluß hinunter zu
springen, um der Angst auf einer gefährli-
chen Brücke zu gehen, überhoben zu wer-
den. "Ich kann die Angst des Gewissens
nicht mehr ertragen" -- Also weg mit der
Angst. "Ich kann ihrer nicht los wer-

den" --

Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
tes verfolget mich: mein Vergehen
iſt groͤßer, als daß ich Vergebung
hoffen koͤnnte.“

Antwort. Wer biſt du, daß du den
graͤnzenloſen Erbarmungen des Allbarmher-
zigen eine Graͤnze ſetzen darfſt, und ſagen:
bis hieher, und nicht weiter? „Mein
Vergehen iſt zu […]groß, als das es“ — von
dir haͤtte ſollen begangen werden, aber nicht
ſo groß, daß es nicht ſollte koͤnnen vergeben
werden. Der dich ſchuf, iſt groͤßer als du.
„Die Rache Gottes verfolgt mich“ — Ra-
che? Gottes? Verfolgen? Wie ſchauervoll
auch das Gemaͤlde der Liebe ausfallen muß,
wenn es die Hand der Verzweiflung ent-
wirft! Gott die Liebe, verfolgen!!! Und
wenn das Gemaͤlde Wahrheit waͤre, ſo
waͤre es immer Thorheit, wie ſich ein Welt-
weiſer ausdruͤckt, in den Fluß hinunter zu
ſpringen, um der Angſt auf einer gefaͤhrli-
chen Bruͤcke zu gehen, uͤberhoben zu wer-
den. „Ich kann die Angſt des Gewiſſens
nicht mehr ertragen“ — Alſo weg mit der
Angſt. „Ich kann ihrer nicht los wer-

den“ —
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[139/0151] Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord. tes verfolget mich: mein Vergehen iſt groͤßer, als daß ich Vergebung hoffen koͤnnte.“ Antwort. Wer biſt du, daß du den graͤnzenloſen Erbarmungen des Allbarmher- zigen eine Graͤnze ſetzen darfſt, und ſagen: bis hieher, und nicht weiter? „Mein Vergehen iſt zu groß, als das es“ — von dir haͤtte ſollen begangen werden, aber nicht ſo groß, daß es nicht ſollte koͤnnen vergeben werden. Der dich ſchuf, iſt groͤßer als du. „Die Rache Gottes verfolgt mich“ — Ra- che? Gottes? Verfolgen? Wie ſchauervoll auch das Gemaͤlde der Liebe ausfallen muß, wenn es die Hand der Verzweiflung ent- wirft! Gott die Liebe, verfolgen!!! Und wenn das Gemaͤlde Wahrheit waͤre, ſo waͤre es immer Thorheit, wie ſich ein Welt- weiſer ausdruͤckt, in den Fluß hinunter zu ſpringen, um der Angſt auf einer gefaͤhrli- chen Bruͤcke zu gehen, uͤberhoben zu wer- den. „Ich kann die Angſt des Gewiſſens nicht mehr ertragen“ — Alſo weg mit der Angſt. „Ich kann ihrer nicht los wer- den“ —

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/151>, abgerufen am 24.11.2024.