Ferner, halte ich wohl selbst das Selbstmorden für eine Seuche, aber für eine solche, die Niemanden verpesten kann, der nicht will, und frühe genug vorar- beitet, daß er am Ende nicht wolle -- verpestet werden. --
Uebrigens halte ich den Deutschen sei- nes Namens unwerth, der die Nachahmung so weit treibt, daß er sich Sitten, Laster, und Seuchen aus der Fremde holet, da es uns ja an einheimischen noch nie gefehlet hat.
5.
"Ich bin an der äussersten Gränze der Dürftigkeit, und in der Gefahr, Hungers zu sterben: warum soll ich denn meinen Abschied von der Welt nicht beschleunigen dürfen?"
Antwort. Der Mensch lebt nicht vom Brode allein, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Harre auf Ihn: der Raben spei- set, kann deiner nicht vergessen: der dir das Leben gab, der hat auch Nahrung dafür. Und dann wäge noch einen Augenblick: auf
einer
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Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
Ferner, halte ich wohl ſelbſt das Selbſtmorden fuͤr eine Seuche, aber fuͤr eine ſolche, die Niemanden verpeſten kann, der nicht will, und fruͤhe genug vorar- beitet, daß er am Ende nicht wolle — verpeſtet werden. —
Uebrigens halte ich den Deutſchen ſei- nes Namens unwerth, der die Nachahmung ſo weit treibt, daß er ſich Sitten, Laſter, und Seuchen aus der Fremde holet, da es uns ja an einheimiſchen noch nie gefehlet hat.
5.
„Ich bin an der aͤuſſerſten Graͤnze der Duͤrftigkeit, und in der Gefahr, Hungers zu ſterben: warum ſoll ich denn meinen Abſchied von der Welt nicht beſchleunigen duͤrfen?“
Antwort. Der Menſch lebt nicht vom Brode allein, ſondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Harre auf Ihn: der Raben ſpei- ſet, kann deiner nicht vergeſſen: der dir das Leben gab, der hat auch Nahrung dafuͤr. Und dann waͤge noch einen Augenblick: auf
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Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
Ferner, halte ich wohl ſelbſt das
Selbſtmorden fuͤr eine Seuche, aber fuͤr
eine ſolche, die Niemanden verpeſten kann,
der nicht will, und fruͤhe genug vorar-
beitet, daß er am Ende nicht wolle —
verpeſtet werden. —
Uebrigens halte ich den Deutſchen ſei-
nes Namens unwerth, der die Nachahmung
ſo weit treibt, daß er ſich Sitten, Laſter,
und Seuchen aus der Fremde holet, da es
uns ja an einheimiſchen noch nie gefehlet hat.
5.
„Ich bin an der aͤuſſerſten Graͤnze
der Duͤrftigkeit, und in der Gefahr,
Hungers zu ſterben: warum ſoll ich
denn meinen Abſchied von der Welt
nicht beſchleunigen duͤrfen?“
Antwort. Der Menſch lebt nicht
vom Brode allein, ſondern von jedem
Worte, das aus dem Munde Gottes
kommt. Harre auf Ihn: der Raben ſpei-
ſet, kann deiner nicht vergeſſen: der dir das
Leben gab, der hat auch Nahrung dafuͤr.
Und dann waͤge noch einen Augenblick: auf
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/149>, abgerufen am 16.02.2025.
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