Zweytens: ist es nicht allgemein wahr, daß man jede Wohlthat dem, der sie erthei- let hat, nach Willkühr heimgeben darf. Oder, wenn dir ein wohlthätiger weiser Fürst sein eigen Porträt zum Geschenke mach- te, etwa um dir auf dem Wege zur Weis- heit einen neuen Sporn zu geben: dürftest du dem Fürsten dieß sein Porträt nach Will- kühr zurück geben, ohne dich in den Augen aller Welt mit dem Schandzeichen der Ge- fühllosigkeit, des Stolzes, des Undankes zu brandmarken? Und, wenn du das ge- schenkte Porträt des Fürsten nicht nach Will- kühr zurück geben darfst, wie darfst du es wagen, die menschliche Existenz, dieß schö- ne Ebenbild, und Porträt der Gottheit, zu zerstören, und es dem König der Könige mit undankbarer Gewaltthätigkeit hinzu- werfen? --
Drittens: kann es Geschenke geben, die mit beygesetzten Verpflichtungen deß, der das Geschenk empfangen, und mit aus-
drück-
wenigstens wichtig zu machen gesucht. Ein Be- weis, was es mit sogenannten großen Geisten für ein gebrechlich Ding sey.
F 5
Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
Zweytens: iſt es nicht allgemein wahr, daß man jede Wohlthat dem, der ſie erthei- let hat, nach Willkuͤhr heimgeben darf. Oder, wenn dir ein wohlthaͤtiger weiſer Fuͤrſt ſein eigen Portraͤt zum Geſchenke mach- te, etwa um dir auf dem Wege zur Weis- heit einen neuen Sporn zu geben: duͤrfteſt du dem Fuͤrſten dieß ſein Portraͤt nach Will- kuͤhr zuruͤck geben, ohne dich in den Augen aller Welt mit dem Schandzeichen der Ge- fuͤhlloſigkeit, des Stolzes, des Undankes zu brandmarken? Und, wenn du das ge- ſchenkte Portraͤt des Fuͤrſten nicht nach Will- kuͤhr zuruͤck geben darfſt, wie darfſt du es wagen, die menſchliche Exiſtenz, dieß ſchoͤ- ne Ebenbild, und Portraͤt der Gottheit, zu zerſtoͤren, und es dem Koͤnig der Koͤnige mit undankbarer Gewaltthaͤtigkeit hinzu- werfen? —
Drittens: kann es Geſchenke geben, die mit beygeſetzten Verpflichtungen deß, der das Geſchenk empfangen, und mit aus-
druͤck-
wenigſtens wichtig zu machen geſucht. Ein Be- weis, was es mit ſogenannten großen Geiſten fuͤr ein gebrechlich Ding ſey.
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Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
Zweytens: iſt es nicht allgemein wahr,
daß man jede Wohlthat dem, der ſie erthei-
let hat, nach Willkuͤhr heimgeben darf.
Oder, wenn dir ein wohlthaͤtiger weiſer
Fuͤrſt ſein eigen Portraͤt zum Geſchenke mach-
te, etwa um dir auf dem Wege zur Weis-
heit einen neuen Sporn zu geben: duͤrfteſt
du dem Fuͤrſten dieß ſein Portraͤt nach Will-
kuͤhr zuruͤck geben, ohne dich in den Augen
aller Welt mit dem Schandzeichen der Ge-
fuͤhlloſigkeit, des Stolzes, des Undankes
zu brandmarken? Und, wenn du das ge-
ſchenkte Portraͤt des Fuͤrſten nicht nach Will-
kuͤhr zuruͤck geben darfſt, wie darfſt du es
wagen, die menſchliche Exiſtenz, dieß ſchoͤ-
ne Ebenbild, und Portraͤt der Gottheit, zu
zerſtoͤren, und es dem Koͤnig der Koͤnige
mit undankbarer Gewaltthaͤtigkeit hinzu-
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/101>, abgerufen am 16.02.2025.
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