verschenken, oder gar abbrechen darf, wenn ich will."(m)
An diesem Scheingrunde ist gar alles Schein; denn
Erstens: ist es nicht allgemein wahr, daß ich z. B. ein geschenktes Haus nach Willkühr verändern, abbrechen etc. darf. Oder, was würde die wachende Polizey in einem gebildeten Staate dazu sagen, wenn mehrere Bürger in die Raserey geriethen, ihre schön und regelmässig gebauten Häuser, deren Eigenthümer sie durch Schenkung, oder wie immer geworden sind, nach ihren eigensinnigen Launen mit hundert tausend Schnörkeln, nach altem gothischem Geschma- cke, verunstalten, oder abbrechen, oder gar in die Luft sprengen zu lassen?
Und wenn das der Bürger in einem cultivirten Staate mit seinem Hause nicht thun darf, soll es der Mensch, im Staate Gottes, mit seinem Leibe wagen dürfen?
Zwey-
(m) So schwach dieser Grund ist, so haben ihn doch große Geister wichtig gefunden, oder
wenig-
Zweyter Abſchnitt.
verſchenken, oder gar abbrechen darf, wenn ich will.“(m)
An dieſem Scheingrunde iſt gar alles Schein; denn
Erſtens: iſt es nicht allgemein wahr, daß ich z. B. ein geſchenktes Haus nach Willkuͤhr veraͤndern, abbrechen ꝛc. darf. Oder, was wuͤrde die wachende Polizey in einem gebildeten Staate dazu ſagen, wenn mehrere Buͤrger in die Raſerey geriethen, ihre ſchoͤn und regelmaͤſſig gebauten Haͤuſer, deren Eigenthuͤmer ſie durch Schenkung, oder wie immer geworden ſind, nach ihren eigenſinnigen Launen mit hundert tauſend Schnoͤrkeln, nach altem gothiſchem Geſchma- cke, verunſtalten, oder abbrechen, oder gar in die Luft ſprengen zu laſſen?
Und wenn das der Buͤrger in einem cultivirten Staate mit ſeinem Hauſe nicht thun darf, ſoll es der Menſch, im Staate Gottes, mit ſeinem Leibe wagen duͤrfen?
Zwey-
(m) So ſchwach dieſer Grund iſt, ſo haben ihn doch große Geiſter wichtig gefunden, oder
wenig-
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Zweyter Abſchnitt.
verſchenken, oder gar abbrechen
darf, wenn ich will.“ (m)
An dieſem Scheingrunde iſt gar alles
Schein; denn
Erſtens: iſt es nicht allgemein wahr,
daß ich z. B. ein geſchenktes Haus nach
Willkuͤhr veraͤndern, abbrechen ꝛc. darf.
Oder, was wuͤrde die wachende Polizey in
einem gebildeten Staate dazu ſagen, wenn
mehrere Buͤrger in die Raſerey geriethen,
ihre ſchoͤn und regelmaͤſſig gebauten Haͤuſer,
deren Eigenthuͤmer ſie durch Schenkung,
oder wie immer geworden ſind, nach ihren
eigenſinnigen Launen mit hundert tauſend
Schnoͤrkeln, nach altem gothiſchem Geſchma-
cke, verunſtalten, oder abbrechen, oder gar
in die Luft ſprengen zu laſſen?
Und wenn das der Buͤrger in einem
cultivirten Staate mit ſeinem Hauſe nicht
thun darf, ſoll es der Menſch, im Staate
Gottes, mit ſeinem Leibe wagen duͤrfen?
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(m) So ſchwach dieſer Grund iſt, ſo haben ihn
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/100>, abgerufen am 16.02.2025.
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