Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

lasses einen kräftigen Sporn zum Eifer, für Jesus zu
leben und für Jesus zu sterben, gefunden hatten.

Dass es übrigens auch eine reine Dankbarkeit ge-
ben könne, und dass die Dankbarkeit gerade ist, wie
das Herz, rein wie dieses, oder eigensüchtig wie die-
ses, und zwar nach allen Stuffen der Reinheit auf-
wärts, und der Eigensucht abwärts, ist so gewiss, als
dass die Liebe für Gaben, die andern zu Theil werden,
eben so dankbar werden kann, als für Gaben, die uns
selbst geworden sind, und dass die reine Liebe das Mein
und Dein vergisst, und vor Freude -- an dem Geber,
auch der Gabe. Hätten wir nur die Sache, die dank-
bare, gebietende Liebe: wir würden uns um den Be-
griff
nicht viel zanken, hätten auch gewiss immer et-
was wichtigers zu thun. Aber, eben weil wir die
Sache nicht haben: so haben wir Stoff und Lust und Zeit
zum Streiten über die Vorstellungen von der Sache.

Sie spornet d. den, der sich durch Beyspiele
spornen lässt, durch Beyspiele zur höhern Vollkommen-
heit
. Bald ist es Jesus, von dem wir die Geduld, das
Nichtwiderschelten (I. Petr. II. 21-25.), die Liebe ge-
geneinander (I. Joh. III. 16.), die Demuth und die Ent-
äusserung
aller Vorzüge, um andern zu dienen (Phil.
II. 5.) lernen sollen; bald wird uns die Liebe des Va-
ters
zum Muster vorgestellt (I. Joh. IV. 9. 10. Ephes.
IV. 32.); bald werden uns die Beyspiele der Heiligen,
und die ganze Wolke der Zeugen vorgehalten (Hebr. XI.).
Diese Beyspiele sind uns desto unentbehrlicher, je mehr
theils die Sorgen und Bedürfnisse dieses Lebens, theils

die
E 5

laſſes einen kräftigen Sporn zum Eifer, für Jeſus zu
leben und für Jeſus zu ſterben, gefunden hatten.

Daſs es übrigens auch eine reine Dankbarkeit ge-
ben könne, und daſs die Dankbarkeit gerade iſt, wie
das Herz, rein wie dieſes, oder eigenſüchtig wie die-
ſes, und zwar nach allen Stuffen der Reinheit auf-
wärts, und der Eigenſucht abwärts, iſt ſo gewiſs, als
daſs die Liebe für Gaben, die andern zu Theil werden,
eben ſo dankbar werden kann, als für Gaben, die uns
ſelbſt geworden ſind, und daſs die reine Liebe das Mein
und Dein vergiſst, und vor Freude — an dem Geber,
auch der Gabe. Hätten wir nur die Sache, die dank-
bare, gebietende Liebe: wir würden uns um den Be-
griff
nicht viel zanken, hätten auch gewiſs immer et-
was wichtigers zu thun. Aber, eben weil wir die
Sache nicht haben: ſo haben wir Stoff und Luſt und Zeit
zum Streiten über die Vorſtellungen von der Sache.

Sie ſpornet d. den, der ſich durch Beyſpiele
ſpornen läſst, durch Beyſpiele zur höhern Vollkommen-
heit
. Bald iſt es Jeſus, von dem wir die Geduld, das
Nichtwiderſchelten (I. Petr. II. 21-25.), die Liebe ge-
geneinander (I. Joh. III. 16.), die Demuth und die Ent-
äuſſerung
aller Vorzüge, um andern zu dienen (Phil.
II. 5.) lernen ſollen; bald wird uns die Liebe des Va-
ters
zum Muſter vorgeſtellt (I. Joh. IV. 9. 10. Epheſ.
IV. 32.); bald werden uns die Beyſpiele der Heiligen,
und die ganze Wolke der Zeugen vorgehalten (Hebr. XI.).
Dieſe Beyſpiele ſind uns deſto unentbehrlicher, je mehr
theils die Sorgen und Bedürfniſſe dieſes Lebens, theils

die
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0087" n="73"/>
la&#x017F;&#x017F;es einen kräftigen Sporn zum Eifer, für Je&#x017F;us zu<lb/>
leben und für Je&#x017F;us zu &#x017F;terben, gefunden hatten.</p><lb/>
            <p>Da&#x017F;s es übrigens auch eine <hi rendition="#i">reine Dankbarkeit</hi> ge-<lb/>
ben könne, und da&#x017F;s die Dankbarkeit gerade i&#x017F;t, wie<lb/>
das <hi rendition="#i">Herz, rein</hi> wie die&#x017F;es, oder <hi rendition="#i">eigen&#x017F;üchtig</hi> wie die-<lb/>
&#x017F;es, und zwar nach allen Stuffen der Reinheit auf-<lb/>
wärts, und der Eigen&#x017F;ucht abwärts, i&#x017F;t &#x017F;o gewi&#x017F;s, als<lb/>
da&#x017F;s <hi rendition="#i">die Liebe</hi> für Gaben, die andern zu Theil werden,<lb/>
eben &#x017F;o dankbar werden kann, als für Gaben, die uns<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t geworden &#x017F;ind, und da&#x017F;s die <hi rendition="#i">reine Liebe</hi> das Mein<lb/>
und Dein vergi&#x017F;st, und vor Freude &#x2014; an dem Geber,<lb/>
auch der Gabe. Hätten wir nur die <hi rendition="#i">Sache</hi>, die dank-<lb/>
bare, gebietende Liebe: wir würden uns um den <hi rendition="#i">Be-<lb/>
griff</hi> nicht viel zanken, hätten auch gewi&#x017F;s immer et-<lb/>
was wichtigers zu thun. Aber, eben weil wir die<lb/><hi rendition="#i">Sache</hi> nicht <hi rendition="#i">haben:</hi> &#x017F;o <hi rendition="#i">haben</hi> wir Stoff und Lu&#x017F;t und Zeit<lb/>
zum Streiten über die <hi rendition="#i">Vor&#x017F;tellungen</hi> von der Sache.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">Sie &#x017F;pornet d. den, der &#x017F;ich durch Bey&#x017F;piele<lb/>
&#x017F;pornen lä&#x017F;st, durch Bey&#x017F;piele zur höhern Vollkommen-<lb/>
heit</hi>. Bald i&#x017F;t es <hi rendition="#i">Je&#x017F;us</hi>, von dem wir die <hi rendition="#i">Geduld</hi>, das<lb/>
Nichtwider&#x017F;chelten (I. Petr. II. 21-25.), die <hi rendition="#i">Liebe</hi> ge-<lb/>
geneinander (I. Joh. III. 16.), die <hi rendition="#i">Demuth</hi> und die <hi rendition="#i">Ent-<lb/>
äu&#x017F;&#x017F;erung</hi> aller Vorzüge, um andern zu dienen (Phil.<lb/>
II. 5.) lernen &#x017F;ollen; bald wird uns die <hi rendition="#i">Liebe des Va-<lb/>
ters</hi> zum Mu&#x017F;ter vorge&#x017F;tellt (I. Joh. IV. 9. 10. Ephe&#x017F;.<lb/>
IV. 32.); bald werden uns die Bey&#x017F;piele der Heiligen,<lb/>
und die ganze Wolke der Zeugen vorgehalten (Hebr. XI.).<lb/><hi rendition="#i">Die&#x017F;e Bey&#x017F;piele</hi> &#x017F;ind uns de&#x017F;to unentbehrlicher, je mehr<lb/>
theils die <hi rendition="#i">Sorgen und Bedürfni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es Lebens</hi>, theils<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0087] laſſes einen kräftigen Sporn zum Eifer, für Jeſus zu leben und für Jeſus zu ſterben, gefunden hatten. Daſs es übrigens auch eine reine Dankbarkeit ge- ben könne, und daſs die Dankbarkeit gerade iſt, wie das Herz, rein wie dieſes, oder eigenſüchtig wie die- ſes, und zwar nach allen Stuffen der Reinheit auf- wärts, und der Eigenſucht abwärts, iſt ſo gewiſs, als daſs die Liebe für Gaben, die andern zu Theil werden, eben ſo dankbar werden kann, als für Gaben, die uns ſelbſt geworden ſind, und daſs die reine Liebe das Mein und Dein vergiſst, und vor Freude — an dem Geber, auch der Gabe. Hätten wir nur die Sache, die dank- bare, gebietende Liebe: wir würden uns um den Be- griff nicht viel zanken, hätten auch gewiſs immer et- was wichtigers zu thun. Aber, eben weil wir die Sache nicht haben: ſo haben wir Stoff und Luſt und Zeit zum Streiten über die Vorſtellungen von der Sache. Sie ſpornet d. den, der ſich durch Beyſpiele ſpornen läſst, durch Beyſpiele zur höhern Vollkommen- heit. Bald iſt es Jeſus, von dem wir die Geduld, das Nichtwiderſchelten (I. Petr. II. 21-25.), die Liebe ge- geneinander (I. Joh. III. 16.), die Demuth und die Ent- äuſſerung aller Vorzüge, um andern zu dienen (Phil. II. 5.) lernen ſollen; bald wird uns die Liebe des Va- ters zum Muſter vorgeſtellt (I. Joh. IV. 9. 10. Epheſ. IV. 32.); bald werden uns die Beyſpiele der Heiligen, und die ganze Wolke der Zeugen vorgehalten (Hebr. XI.). Dieſe Beyſpiele ſind uns deſto unentbehrlicher, je mehr theils die Sorgen und Bedürfniſſe dieſes Lebens, theils die E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/87
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/87>, abgerufen am 24.11.2024.