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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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die nämliche Sache. Muss denn in den Händen der Un-
reinen nicht auch das Reinste unrein werden? Und was
kann selbst die Vernunft von Dingen, die ausser ihrem
Kreise liegen, anders als schweigen, vermuthen oder
dichten? Da sie nun das Schweigen so oft zu hart und
das Vermuthen zu unansehnlich findet: was wollen wir
uns an ihren Dichtungen ärgern, und vor Aerger die
Sache verschreyen? Und, wenn selbst die Vernunft
hierinn keinen Bescheid geben kann, was soll die Ein-
bildungskraft, die nicht einmal dem Unsinn das Färb-
lein der Weisheit leihen kann? Paulus konnte aus
Erfahrung sprechen, und sein Wort soll gelten, und
wird gelten, so lange die Wahrheit Wahrheit ist:
Wer Gott anhängt, ist Ein Geist mit Ihm. Zu diesem
Einsseyn und zu keinem andern führt uns die Liebe
rechter Art, und von diesem und von keinem andern
ward hier das Nöthigste berühret.

Die christliche Sittenlehre begreift unter der
Liebe gegen Gott 6) auch die Liebe gegen Jesus Chri-
stus, den Sohn Gottes
. Die Liebe gegen Jesus, und
zwar die Liebe von ganzem Herzen, ist ein Gesetz
für Christen: wer Vater oder Mutter mehr liebet, als
Mich, der ist Meiner nicht werth; wer Sohn oder
Tochter mehr liebet, als Mich, der ist Meiner nicht
werth (Matth. X. 37.). Und was Jesus von Petrus
foderte, das fodert er, nach Fähigkeit des Christen,
von jedem Christen: Simon, liebst du mich? Joh. XXI. 16.
Diese Liebe gegen Jesus hat den nämlichen Prüfstein:
Wer meine Gebote hat und hält sie, der ists, der Mich
lieb hat (Joh. XIV. 21.): und nun, Kinder, bleibt

bey

die nämliche Sache. Muſs denn in den Händen der Un-
reinen nicht auch das Reinſte unrein werden? Und was
kann ſelbſt die Vernunft von Dingen, die auſſer ihrem
Kreiſe liegen, anders als ſchweigen, vermuthen oder
dichten? Da ſie nun das Schweigen ſo oft zu hart und
das Vermuthen zu unanſehnlich findet: was wollen wir
uns an ihren Dichtungen ärgern, und vor Aerger die
Sache verſchreyen? Und, wenn ſelbſt die Vernunft
hierinn keinen Beſcheid geben kann, was ſoll die Ein-
bildungskraft, die nicht einmal dem Unſinn das Färb-
lein der Weisheit leihen kann? Paulus konnte aus
Erfahrung ſprechen, und ſein Wort ſoll gelten, und
wird gelten, ſo lange die Wahrheit Wahrheit iſt:
Wer Gott anhängt, iſt Ein Geiſt mit Ihm. Zu dieſem
Einsſeyn und zu keinem andern führt uns die Liebe
rechter Art, und von dieſem und von keinem andern
ward hier das Nöthigſte berühret.

Die chriſtliche Sittenlehre begreift unter der
Liebe gegen Gott 6) auch die Liebe gegen Jeſus Chri-
ſtus, den Sohn Gottes
. Die Liebe gegen Jeſus, und
zwar die Liebe von ganzem Herzen, iſt ein Geſetz
für Chriſten: wer Vater oder Mutter mehr liebet, als
Mich, der iſt Meiner nicht werth; wer Sohn oder
Tochter mehr liebet, als Mich, der iſt Meiner nicht
werth (Matth. X. 37.). Und was Jeſus von Petrus
foderte, das fodert er, nach Fähigkeit des Chriſten,
von jedem Chriſten: Simon, liebſt du mich? Joh. XXI. 16.
Dieſe Liebe gegen Jeſus hat den nämlichen Prüfſtein:
Wer meine Gebote hat und hält ſie, der iſts, der Mich
lieb hat (Joh. XIV. 21.): und nun, Kinder, bleibt

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[63/0077] die nämliche Sache. Muſs denn in den Händen der Un- reinen nicht auch das Reinſte unrein werden? Und was kann ſelbſt die Vernunft von Dingen, die auſſer ihrem Kreiſe liegen, anders als ſchweigen, vermuthen oder dichten? Da ſie nun das Schweigen ſo oft zu hart und das Vermuthen zu unanſehnlich findet: was wollen wir uns an ihren Dichtungen ärgern, und vor Aerger die Sache verſchreyen? Und, wenn ſelbſt die Vernunft hierinn keinen Beſcheid geben kann, was ſoll die Ein- bildungskraft, die nicht einmal dem Unſinn das Färb- lein der Weisheit leihen kann? Paulus konnte aus Erfahrung ſprechen, und ſein Wort ſoll gelten, und wird gelten, ſo lange die Wahrheit Wahrheit iſt: Wer Gott anhängt, iſt Ein Geiſt mit Ihm. Zu dieſem Einsſeyn und zu keinem andern führt uns die Liebe rechter Art, und von dieſem und von keinem andern ward hier das Nöthigſte berühret. Die chriſtliche Sittenlehre begreift unter der Liebe gegen Gott 6) auch die Liebe gegen Jeſus Chri- ſtus, den Sohn Gottes. Die Liebe gegen Jeſus, und zwar die Liebe von ganzem Herzen, iſt ein Geſetz für Chriſten: wer Vater oder Mutter mehr liebet, als Mich, der iſt Meiner nicht werth; wer Sohn oder Tochter mehr liebet, als Mich, der iſt Meiner nicht werth (Matth. X. 37.). Und was Jeſus von Petrus foderte, das fodert er, nach Fähigkeit des Chriſten, von jedem Chriſten: Simon, liebſt du mich? Joh. XXI. 16. Dieſe Liebe gegen Jeſus hat den nämlichen Prüfſtein: Wer meine Gebote hat und hält ſie, der iſts, der Mich lieb hat (Joh. XIV. 21.): und nun, Kinder, bleibt bey

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/77>, abgerufen am 22.11.2024.