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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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hat, wie Paulus, Elemente für die Anfänger, und hö-
here Weisheit für die Vollkommnen. (I. Cor. II. 6.
Hebr. V. 11-34. VI. 1. 2. 3.) Und da die rechte, selig-
machende Wahrheit
für alle und jede, für die Unge-
lehrten wie die Gelehrten ist: so muss der Lehrer, wie
Jesus, seinen Zuhörer jedesmal so viel von ihr geben,
als sie tragen können (Joh. XVI. 12.), und immer die
einleuchtendsten Seiten derselben vorzeigen. Hat sich
doch das ewige Leben, das bey dem Vater war und
für uns unsichtbar, in der menschlichen Gestalt und Ge-
berde und Sprache offenbaret, damit es die Menschen
sehen, hören, betasten und von ihm zeugen konnten
(I. Joh. I. 1. 2. 3. 4.). Und diess Zeugniss war die ei-
gentliche Predigt der Apostel: wir haben Ihn ge-
hört, gesehen
. Da wir nun diess Zeugniss der Apo-
stel nicht wörtlich nachsagen können: wir haben
Ihn gehört, gesehen
:
so sollen wir wenigst die
Menschen auf das Zeugniss der Apostel aufmerksam
machen; sollen nach dem Beyspiele der Apostel die
Wahrheit von der Seite zeigen, von welcher sie am
meisten Licht für unsre Augen hat; sollen die göttli-
che Vollkommenheit nicht wie sie sich in unzugäng-
licher Tiefe verliert, sondern wie sie sich in Christus
zugänglich gemacht hat, uns und unsern Zuhörern dar-
zustellen suchen. Und wenn dieses von allen Men-
schen gilt, um wie viel mehr von dem Volke, dem
eigentlichen Publikum der Prediger? Wenn jedes
Menschenwort den Zweck hat oder haben soll, ver-
standen zu werden:
um wie vielmehr eine Rede an
Viele über ihre allerwichtigste Angelegenheit -- eine

Predigt?

hat, wie Paulus, Elemente für die Anfänger, und hö-
here Weisheit für die Vollkommnen. (I. Cor. II. 6.
Hebr. V. 11-34. VI. 1. 2. 3.) Und da die rechte, ſelig-
machende Wahrheit
für alle und jede, für die Unge-
lehrten wie die Gelehrten iſt: ſo muſs der Lehrer, wie
Jeſus, ſeinen Zuhörer jedesmal ſo viel von ihr geben,
als ſie tragen können (Joh. XVI. 12.), und immer die
einleuchtendſten Seiten derſelben vorzeigen. Hat ſich
doch das ewige Leben, das bey dem Vater war und
für uns unſichtbar, in der menſchlichen Geſtalt und Ge-
berde und Sprache offenbaret, damit es die Menſchen
ſehen, hören, betaſten und von ihm zeugen konnten
(I. Joh. I. 1. 2. 3. 4.). Und dieſs Zeugniſs war die ei-
gentliche Predigt der Apoſtel: wir haben Ihn ge-
hört, geſehen
. Da wir nun dieſs Zeugniſs der Apo-
ſtel nicht wörtlich nachſagen können: wir haben
Ihn gehört, geſehen
:
ſo ſollen wir wenigſt die
Menſchen auf das Zeugniſs der Apoſtel aufmerkſam
machen; ſollen nach dem Beyſpiele der Apoſtel die
Wahrheit von der Seite zeigen, von welcher ſie am
meiſten Licht für unſre Augen hat; ſollen die göttli-
che Vollkommenheit nicht wie ſie ſich in unzugäng-
licher Tiefe verliert, ſondern wie ſie ſich in Chriſtus
zugänglich gemacht hat, uns und unſern Zuhörern dar-
zuſtellen ſuchen. Und wenn dieſes von allen Men-
ſchen gilt, um wie viel mehr von dem Volke, dem
eigentlichen Publikum der Prediger? Wenn jedes
Menſchenwort den Zweck hat oder haben ſoll, ver-
ſtanden zu werden:
um wie vielmehr eine Rede an
Viele über ihre allerwichtigſte Angelegenheit — eine

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[14/0028] hat, wie Paulus, Elemente für die Anfänger, und hö- here Weisheit für die Vollkommnen. (I. Cor. II. 6. Hebr. V. 11-34. VI. 1. 2. 3.) Und da die rechte, ſelig- machende Wahrheit für alle und jede, für die Unge- lehrten wie die Gelehrten iſt: ſo muſs der Lehrer, wie Jeſus, ſeinen Zuhörer jedesmal ſo viel von ihr geben, als ſie tragen können (Joh. XVI. 12.), und immer die einleuchtendſten Seiten derſelben vorzeigen. Hat ſich doch das ewige Leben, das bey dem Vater war und für uns unſichtbar, in der menſchlichen Geſtalt und Ge- berde und Sprache offenbaret, damit es die Menſchen ſehen, hören, betaſten und von ihm zeugen konnten (I. Joh. I. 1. 2. 3. 4.). Und dieſs Zeugniſs war die ei- gentliche Predigt der Apoſtel: wir haben Ihn ge- hört, geſehen. Da wir nun dieſs Zeugniſs der Apo- ſtel nicht wörtlich nachſagen können: wir haben Ihn gehört, geſehen: ſo ſollen wir wenigſt die Menſchen auf das Zeugniſs der Apoſtel aufmerkſam machen; ſollen nach dem Beyſpiele der Apoſtel die Wahrheit von der Seite zeigen, von welcher ſie am meiſten Licht für unſre Augen hat; ſollen die göttli- che Vollkommenheit nicht wie ſie ſich in unzugäng- licher Tiefe verliert, ſondern wie ſie ſich in Chriſtus zugänglich gemacht hat, uns und unſern Zuhörern dar- zuſtellen ſuchen. Und wenn dieſes von allen Men- ſchen gilt, um wie viel mehr von dem Volke, dem eigentlichen Publikum der Prediger? Wenn jedes Menſchenwort den Zweck hat oder haben ſoll, ver- ſtanden zu werden: um wie vielmehr eine Rede an Viele über ihre allerwichtigſte Angelegenheit — eine Predigt?

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/28>, abgerufen am 24.11.2024.