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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die künstlichen Systeme und die Nomenclatur
durch die unverständige Forderung aufbürdete, daß jeder Botaniker
alle beschriebenen Pflanzen kennen müsse, drängte selbstverständlich
dahin, durch die systematische Anordnung eine Erleichterung zu
suchen. Allein die übermäßige Beschäftigung mit der Einzel-
beschreibung ließ eine gründliche, nachhaltige und fruchtbare
Beschäftigung mit den Grundlagen des Systems nicht aufkommen,
ja sie verdarb sogar die Befähigung zu den sehr schwierigen
Verstandesoperationen, aus denen ein wirklich natürliches System
mit wissenschaftlicher Begründung allein hervorgehen kann; man sah,
um es vulgär auszudrücken, schließlich den Wald vor lauter
Bäumen nicht. Vor Allem wurde die von Jungius begründete
Morphologie, wenn auch beachtet und benutzt, doch nicht in dem
Grade gefördert, daß sie zur Grundlage des Systems in seinen
großartigeren Zügen sich geeignet hätte, ein Vorwurf, der übrigens
den Systematikern mit wenigen Ausnahmen auch der folgenden
100 Jahre gemacht werden muß. Wie konnte es den Botanikern
des 17. Jahrhunderts gelingen, die größeren Verwandtschaftskreise
richtig zu erkennen, wenn man die von Jungius bereits beseitigte,
jeder konsequenten Formenlehre widersprechende alte Eintheilung
in Bäume und Kräuter beibehielt, wenn man so wenig Sorgfalt
auf den Bau des Samens und der Frucht verwendete, daß man
ganz allgemein die trocknen Schließfrüchte für nackte Samen
ansah und dergleichen mehr. Wurde solchergestalt Nichts prin-
cipiell Neues in die Systematik eingeführt, so wurde doch indessen
manches Gute im Einzelnen geleistet. Indem man verschiedene
Systeme aufstellte, mußte sich mehr und mehr zeigen, welche
Merkmale bei der Umgrenzung der natürlichen Gruppen unzulässig
sind, immer schärfer mußte auf diesem empirischen Wege der
Widerspruch zwischen der Methode und dem Zweck der Systematik
hervortreten, so daß später Linne denselben ganz deutlich
erkennen konnte, womit allerdings sehr viel gewonnen war.

Es würde die Darstellung nur verdunkeln, wenn ich hier
die zahlreichen Botaniker Englands, Frankreichs, Italiens, Deutsch-
lands und der Niederlande sämmtlich in Betracht ziehen wollte;
viel klarer tritt vielmehr das geschichtlich Wichtige hervor, wenn

Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
durch die unverſtändige Forderung aufbürdete, daß jeder Botaniker
alle beſchriebenen Pflanzen kennen müſſe, drängte ſelbſtverſtändlich
dahin, durch die ſyſtematiſche Anordnung eine Erleichterung zu
ſuchen. Allein die übermäßige Beſchäftigung mit der Einzel-
beſchreibung ließ eine gründliche, nachhaltige und fruchtbare
Beſchäftigung mit den Grundlagen des Syſtems nicht aufkommen,
ja ſie verdarb ſogar die Befähigung zu den ſehr ſchwierigen
Verſtandesoperationen, aus denen ein wirklich natürliches Syſtem
mit wiſſenſchaftlicher Begründung allein hervorgehen kann; man ſah,
um es vulgär auszudrücken, ſchließlich den Wald vor lauter
Bäumen nicht. Vor Allem wurde die von Jungius begründete
Morphologie, wenn auch beachtet und benutzt, doch nicht in dem
Grade gefördert, daß ſie zur Grundlage des Syſtems in ſeinen
großartigeren Zügen ſich geeignet hätte, ein Vorwurf, der übrigens
den Syſtematikern mit wenigen Ausnahmen auch der folgenden
100 Jahre gemacht werden muß. Wie konnte es den Botanikern
des 17. Jahrhunderts gelingen, die größeren Verwandtſchaftskreiſe
richtig zu erkennen, wenn man die von Jungius bereits beſeitigte,
jeder konſequenten Formenlehre widerſprechende alte Eintheilung
in Bäume und Kräuter beibehielt, wenn man ſo wenig Sorgfalt
auf den Bau des Samens und der Frucht verwendete, daß man
ganz allgemein die trocknen Schließfrüchte für nackte Samen
anſah und dergleichen mehr. Wurde ſolchergeſtalt Nichts prin-
cipiell Neues in die Syſtematik eingeführt, ſo wurde doch indeſſen
manches Gute im Einzelnen geleiſtet. Indem man verſchiedene
Syſteme aufſtellte, mußte ſich mehr und mehr zeigen, welche
Merkmale bei der Umgrenzung der natürlichen Gruppen unzuläſſig
ſind, immer ſchärfer mußte auf dieſem empiriſchen Wege der
Widerſpruch zwiſchen der Methode und dem Zweck der Syſtematik
hervortreten, ſo daß ſpäter Linné denſelben ganz deutlich
erkennen konnte, womit allerdings ſehr viel gewonnen war.

Es würde die Darſtellung nur verdunkeln, wenn ich hier
die zahlreichen Botaniker Englands, Frankreichs, Italiens, Deutſch-
lands und der Niederlande ſämmtlich in Betracht ziehen wollte;
viel klarer tritt vielmehr das geſchichtlich Wichtige hervor, wenn

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[70/0082] Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur durch die unverſtändige Forderung aufbürdete, daß jeder Botaniker alle beſchriebenen Pflanzen kennen müſſe, drängte ſelbſtverſtändlich dahin, durch die ſyſtematiſche Anordnung eine Erleichterung zu ſuchen. Allein die übermäßige Beſchäftigung mit der Einzel- beſchreibung ließ eine gründliche, nachhaltige und fruchtbare Beſchäftigung mit den Grundlagen des Syſtems nicht aufkommen, ja ſie verdarb ſogar die Befähigung zu den ſehr ſchwierigen Verſtandesoperationen, aus denen ein wirklich natürliches Syſtem mit wiſſenſchaftlicher Begründung allein hervorgehen kann; man ſah, um es vulgär auszudrücken, ſchließlich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Vor Allem wurde die von Jungius begründete Morphologie, wenn auch beachtet und benutzt, doch nicht in dem Grade gefördert, daß ſie zur Grundlage des Syſtems in ſeinen großartigeren Zügen ſich geeignet hätte, ein Vorwurf, der übrigens den Syſtematikern mit wenigen Ausnahmen auch der folgenden 100 Jahre gemacht werden muß. Wie konnte es den Botanikern des 17. Jahrhunderts gelingen, die größeren Verwandtſchaftskreiſe richtig zu erkennen, wenn man die von Jungius bereits beſeitigte, jeder konſequenten Formenlehre widerſprechende alte Eintheilung in Bäume und Kräuter beibehielt, wenn man ſo wenig Sorgfalt auf den Bau des Samens und der Frucht verwendete, daß man ganz allgemein die trocknen Schließfrüchte für nackte Samen anſah und dergleichen mehr. Wurde ſolchergeſtalt Nichts prin- cipiell Neues in die Syſtematik eingeführt, ſo wurde doch indeſſen manches Gute im Einzelnen geleiſtet. Indem man verſchiedene Syſteme aufſtellte, mußte ſich mehr und mehr zeigen, welche Merkmale bei der Umgrenzung der natürlichen Gruppen unzuläſſig ſind, immer ſchärfer mußte auf dieſem empiriſchen Wege der Widerſpruch zwiſchen der Methode und dem Zweck der Syſtematik hervortreten, ſo daß ſpäter Linné denſelben ganz deutlich erkennen konnte, womit allerdings ſehr viel gewonnen war. Es würde die Darſtellung nur verdunkeln, wenn ich hier die zahlreichen Botaniker Englands, Frankreichs, Italiens, Deutſch- lands und der Niederlande ſämmtlich in Betracht ziehen wollte; viel klarer tritt vielmehr das geſchichtlich Wichtige hervor, wenn

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/82>, abgerufen am 27.11.2024.