Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.Geschichte der Phytodynamik. und daß für jede Pflanzenspecies ein solches constantes Productvon Vegetationszeit und Mitteltemperatur gelten müsse. Zudem bezeichnete man dieses Product mit dem unsinnigen Ausdruck Temperatursumme. Fände nun eine derartige Beziehung zwischen Vegetation und Temperatur statt, so würde ohne Weiteres daraus folgen, daß alle anderen Einwirkungen, die des Lichtes, der Feuchtigkeit, des Bodens u. s. w. auf die Vegetationszeit über- haupt gar keinen Einfluß ausüben, ganz abgesehen davon, daß schon die einfachsten Wachsthumsvorgänge in höchst complicirter Weise nicht nur von inneren Ursachen, sondern auch von der Temperatur abhängen. Es ist hier um so weniger der Ort, auf die in dem Begriff der Temperatursumme liegende Ungereimt- heit noch einmal hinzuweisen, als ich bereits 1860 (Jahrbücher für wiss. Bot. Bd. I. p. 370) das Nöthige gesagt habe. Es ist aber merkwürdig, daß ein solches Monstrum von Logik bis in die sechziger Jahre die Wissenschaft nach den verschiedensten Richt- ungen hin schädigen konnte. Es entstand sogar eine neue Wissen- schaft, die sogenannte Phaenologie, welche Tausende und aber Tausende von Zahlen aufhäufte, um die für jede Pflanze charak- teristische Temperatursumme aufzufinden, und als diese grobe Empirie zeigte, daß die einfache Multiplication von Vegetations- zeit und Temperatur keine constante Zahl liefere, so versuchte man es mit dem Quadrat der Temperatur und anderen Zahlen- spielereien. Obgleich Alphonse de Candolle schon 1850 sehr gegründete Einwürfe gegen diese ganze Behandlungsweise, in welcher die Mitteltemperaturen eine ganz ungerechtfertigte Rolle spielten, machte, konnte er sich doch selbst so wenig von der herrschenden Meinung befreien, daß er sogar die Wirkungen des Lichts durch eine Aequivalentzahl von Temperaturgraden glaubte ausdrücken und so das hypothetische Temperaturgesetz der Vegetation retten zu können. Von diesem Standpunct aus schrieb Alphonse de Candolle seine zweibändige Pflanzen- geographie 1855, in welcher übrigens ein reicher Schatz von Er- fahrung und Literaturkenntniß zusammengestellt ist. Geſchichte der Phytodynamik. und daß für jede Pflanzenſpecies ein ſolches conſtantes Productvon Vegetationszeit und Mitteltemperatur gelten müſſe. Zudem bezeichnete man dieſes Product mit dem unſinnigen Ausdruck Temperaturſumme. Fände nun eine derartige Beziehung zwiſchen Vegetation und Temperatur ſtatt, ſo würde ohne Weiteres daraus folgen, daß alle anderen Einwirkungen, die des Lichtes, der Feuchtigkeit, des Bodens u. ſ. w. auf die Vegetationszeit über- haupt gar keinen Einfluß ausüben, ganz abgeſehen davon, daß ſchon die einfachſten Wachsthumsvorgänge in höchſt complicirter Weiſe nicht nur von inneren Urſachen, ſondern auch von der Temperatur abhängen. Es iſt hier um ſo weniger der Ort, auf die in dem Begriff der Temperaturſumme liegende Ungereimt- heit noch einmal hinzuweiſen, als ich bereits 1860 (Jahrbücher für wiſſ. Bot. Bd. I. p. 370) das Nöthige geſagt habe. Es iſt aber merkwürdig, daß ein ſolches Monſtrum von Logik bis in die ſechziger Jahre die Wiſſenſchaft nach den verſchiedenſten Richt- ungen hin ſchädigen konnte. Es entſtand ſogar eine neue Wiſſen- ſchaft, die ſogenannte Phaenologie, welche Tauſende und aber Tauſende von Zahlen aufhäufte, um die für jede Pflanze charak- teriſtiſche Temperaturſumme aufzufinden, und als dieſe grobe Empirie zeigte, daß die einfache Multiplication von Vegetations- zeit und Temperatur keine conſtante Zahl liefere, ſo verſuchte man es mit dem Quadrat der Temperatur und anderen Zahlen- ſpielereien. Obgleich Alphonſe de Candolle ſchon 1850 ſehr gegründete Einwürfe gegen dieſe ganze Behandlungsweiſe, in welcher die Mitteltemperaturen eine ganz ungerechtfertigte Rolle ſpielten, machte, konnte er ſich doch ſelbſt ſo wenig von der herrſchenden Meinung befreien, daß er ſogar die Wirkungen des Lichts durch eine Aequivalentzahl von Temperaturgraden glaubte ausdrücken und ſo das hypothetiſche Temperaturgeſetz der Vegetation retten zu können. Von dieſem Standpunct aus ſchrieb Alphonſe de Candolle ſeine zweibändige Pflanzen- geographie 1855, in welcher übrigens ein reicher Schatz von Er- fahrung und Literaturkenntniß zuſammengeſtellt iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0619" n="607"/><fw place="top" type="header">Geſchichte der Phytodynamik.</fw><lb/> und daß für jede Pflanzenſpecies ein ſolches conſtantes Product<lb/> von Vegetationszeit und Mitteltemperatur gelten müſſe. Zudem<lb/> bezeichnete man dieſes Product mit dem unſinnigen Ausdruck<lb/> Temperaturſumme. 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Geſchichte der Phytodynamik.
und daß für jede Pflanzenſpecies ein ſolches conſtantes Product
von Vegetationszeit und Mitteltemperatur gelten müſſe. Zudem
bezeichnete man dieſes Product mit dem unſinnigen Ausdruck
Temperaturſumme. Fände nun eine derartige Beziehung zwiſchen
Vegetation und Temperatur ſtatt, ſo würde ohne Weiteres daraus
folgen, daß alle anderen Einwirkungen, die des Lichtes, der
Feuchtigkeit, des Bodens u. ſ. w. auf die Vegetationszeit über-
haupt gar keinen Einfluß ausüben, ganz abgeſehen davon, daß
ſchon die einfachſten Wachsthumsvorgänge in höchſt complicirter
Weiſe nicht nur von inneren Urſachen, ſondern auch von der
Temperatur abhängen. Es iſt hier um ſo weniger der Ort,
auf die in dem Begriff der Temperaturſumme liegende Ungereimt-
heit noch einmal hinzuweiſen, als ich bereits 1860 (Jahrbücher
für wiſſ. Bot. Bd. I. p. 370) das Nöthige geſagt habe. Es iſt
aber merkwürdig, daß ein ſolches Monſtrum von Logik bis in
die ſechziger Jahre die Wiſſenſchaft nach den verſchiedenſten Richt-
ungen hin ſchädigen konnte. Es entſtand ſogar eine neue Wiſſen-
ſchaft, die ſogenannte Phaenologie, welche Tauſende und aber
Tauſende von Zahlen aufhäufte, um die für jede Pflanze charak-
teriſtiſche Temperaturſumme aufzufinden, und als dieſe grobe
Empirie zeigte, daß die einfache Multiplication von Vegetations-
zeit und Temperatur keine conſtante Zahl liefere, ſo verſuchte
man es mit dem Quadrat der Temperatur und anderen Zahlen-
ſpielereien. Obgleich Alphonſe de Candolle ſchon 1850
ſehr gegründete Einwürfe gegen dieſe ganze Behandlungsweiſe,
in welcher die Mitteltemperaturen eine ganz ungerechtfertigte
Rolle ſpielten, machte, konnte er ſich doch ſelbſt ſo wenig von der
herrſchenden Meinung befreien, daß er ſogar die Wirkungen
des Lichts durch eine Aequivalentzahl von Temperaturgraden
glaubte ausdrücken und ſo das hypothetiſche Temperaturgeſetz der
Vegetation retten zu können. Von dieſem Standpunct aus
ſchrieb Alphonſe de Candolle ſeine zweibändige Pflanzen-
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