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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Phytodynamik.
Hedysarum gyrans, denen er auch die von Oscillatoria an-
reihte, "freiwillige" Bewegungen; daß er hierbei wohl noch dunkle
Reminiscenzen an die alte Pflanzenseele hegte, zeigt der Titel
des betreffenden Abschnitts seines Werkes, welcher: "Von den
Bewegungen und der Empfindung der Pflanzen" lautet; auch
ist diesem Abschnitt ein Schlußkapitel gewidmet, wo Meyen den
Pflanzen, wenn auch in sehr gewundenen Ausdrücken, doch eine
Art Empfindung zuschreibt, die er aus der offenbaren Zweck-
mäßigkeit ihrer Bewegungen folgert.

5) Mit dem Beginn der vierziger Jahre verschwanden auch
auf diesem Gebiet die Unklarheiten der Naturphilosophie und
der Lebenskraft; die inductive, methodisch naturwissenschaftliche
Forschung, die noch in den dreißiger Jahren mit ihnen zu kämpfen
hatte, galt wieder für die allein berechtigte; zwar fehlte es nicht
an einigen Nachzüglern, sie fanden aber keinen Anklang. Man
drang vor Allem auf genaue Untersuchung der einzelnen Facta,
um für spätere Theorieen eine festere Basis zu gewinnen. Zu
einem irgend wie abschließenden Resultat, oder zu ganz neuen
Gesichtspuncten, wie in der Phytotomie, Morphologie und Syste-
matik gelangte man jedoch bis 1860 in der Phytodynamik nicht,
da sich die besten Kräfte, die hervorragendsten Forscher der För-
derung jener Disciplinen fast ausschließlich widmeten und die
phytodynamischen Studien fast ganz aus dem Gesichtskreis der
meisten Botaniker verschwanden. Eine so dauernde, extensive
und intensive Bearbeitung, wie Dutrochet sie diesen Dingen
in den zwanziger und dreißiger Jahren zugewendet hatte, wurde
ihnen in den beiden folgenden Jahrzehnten nicht zu Theil; wohl
aber wirkte der von ihm gegebene Anstoß zunächst insofern kräftig
nach, als nunmehr die Endosmose neu bearbeitet, als ein spe-
cieller Fall der Molecularphysik behandelt wurde; der so erwei-
terte Geschichtskreis gestattete später eine freiere Bewegung bei der
mechanischen Behandlung phytodynamischer Fragen, die gleichzeitig
durch die Fortschritte der Phytotomie eine festere Basis gewannen.
Was aber, abgesehen von Brücke's Abhandlung über die Mi-
mose (1848) geleistet wurde, hatte doch mehr den Character des

Geſchichte der Phytodynamik.
Hedysarum gyrans, denen er auch die von Oscillatoria an-
reihte, „freiwillige“ Bewegungen; daß er hierbei wohl noch dunkle
Reminiscenzen an die alte Pflanzenſeele hegte, zeigt der Titel
des betreffenden Abſchnitts ſeines Werkes, welcher: „Von den
Bewegungen und der Empfindung der Pflanzen“ lautet; auch
iſt dieſem Abſchnitt ein Schlußkapitel gewidmet, wo Meyen den
Pflanzen, wenn auch in ſehr gewundenen Ausdrücken, doch eine
Art Empfindung zuſchreibt, die er aus der offenbaren Zweck-
mäßigkeit ihrer Bewegungen folgert.

5) Mit dem Beginn der vierziger Jahre verſchwanden auch
auf dieſem Gebiet die Unklarheiten der Naturphiloſophie und
der Lebenskraft; die inductive, methodiſch naturwiſſenſchaftliche
Forſchung, die noch in den dreißiger Jahren mit ihnen zu kämpfen
hatte, galt wieder für die allein berechtigte; zwar fehlte es nicht
an einigen Nachzüglern, ſie fanden aber keinen Anklang. Man
drang vor Allem auf genaue Unterſuchung der einzelnen Facta,
um für ſpätere Theorieen eine feſtere Baſis zu gewinnen. Zu
einem irgend wie abſchließenden Reſultat, oder zu ganz neuen
Geſichtspuncten, wie in der Phytotomie, Morphologie und Syſte-
matik gelangte man jedoch bis 1860 in der Phytodynamik nicht,
da ſich die beſten Kräfte, die hervorragendſten Forſcher der För-
derung jener Disciplinen faſt ausſchließlich widmeten und die
phytodynamiſchen Studien faſt ganz aus dem Geſichtskreis der
meiſten Botaniker verſchwanden. Eine ſo dauernde, extenſive
und intenſive Bearbeitung, wie Dutrochet ſie dieſen Dingen
in den zwanziger und dreißiger Jahren zugewendet hatte, wurde
ihnen in den beiden folgenden Jahrzehnten nicht zu Theil; wohl
aber wirkte der von ihm gegebene Anſtoß zunächſt inſofern kräftig
nach, als nunmehr die Endosmoſe neu bearbeitet, als ein ſpe-
cieller Fall der Molecularphyſik behandelt wurde; der ſo erwei-
terte Geſchichtskreis geſtattete ſpäter eine freiere Bewegung bei der
mechaniſchen Behandlung phytodynamiſcher Fragen, die gleichzeitig
durch die Fortſchritte der Phytotomie eine feſtere Baſis gewannen.
Was aber, abgeſehen von Brücke's Abhandlung über die Mi-
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[600/0612] Geſchichte der Phytodynamik. Hedysarum gyrans, denen er auch die von Oscillatoria an- reihte, „freiwillige“ Bewegungen; daß er hierbei wohl noch dunkle Reminiscenzen an die alte Pflanzenſeele hegte, zeigt der Titel des betreffenden Abſchnitts ſeines Werkes, welcher: „Von den Bewegungen und der Empfindung der Pflanzen“ lautet; auch iſt dieſem Abſchnitt ein Schlußkapitel gewidmet, wo Meyen den Pflanzen, wenn auch in ſehr gewundenen Ausdrücken, doch eine Art Empfindung zuſchreibt, die er aus der offenbaren Zweck- mäßigkeit ihrer Bewegungen folgert. 5) Mit dem Beginn der vierziger Jahre verſchwanden auch auf dieſem Gebiet die Unklarheiten der Naturphiloſophie und der Lebenskraft; die inductive, methodiſch naturwiſſenſchaftliche Forſchung, die noch in den dreißiger Jahren mit ihnen zu kämpfen hatte, galt wieder für die allein berechtigte; zwar fehlte es nicht an einigen Nachzüglern, ſie fanden aber keinen Anklang. Man drang vor Allem auf genaue Unterſuchung der einzelnen Facta, um für ſpätere Theorieen eine feſtere Baſis zu gewinnen. Zu einem irgend wie abſchließenden Reſultat, oder zu ganz neuen Geſichtspuncten, wie in der Phytotomie, Morphologie und Syſte- matik gelangte man jedoch bis 1860 in der Phytodynamik nicht, da ſich die beſten Kräfte, die hervorragendſten Forſcher der För- derung jener Disciplinen faſt ausſchließlich widmeten und die phytodynamiſchen Studien faſt ganz aus dem Geſichtskreis der meiſten Botaniker verſchwanden. Eine ſo dauernde, extenſive und intenſive Bearbeitung, wie Dutrochet ſie dieſen Dingen in den zwanziger und dreißiger Jahren zugewendet hatte, wurde ihnen in den beiden folgenden Jahrzehnten nicht zu Theil; wohl aber wirkte der von ihm gegebene Anſtoß zunächſt inſofern kräftig nach, als nunmehr die Endosmoſe neu bearbeitet, als ein ſpe- cieller Fall der Molecularphyſik behandelt wurde; der ſo erwei- terte Geſchichtskreis geſtattete ſpäter eine freiere Bewegung bei der mechaniſchen Behandlung phytodynamiſcher Fragen, die gleichzeitig durch die Fortſchritte der Phytotomie eine feſtere Baſis gewannen. Was aber, abgeſehen von Brücke's Abhandlung über die Mi- moſe (1848) geleiſtet wurde, hatte doch mehr den Character des

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/612>, abgerufen am 22.11.2024.