mit dem sich rechnen ließ, wenn auch seine Anwendung anders als bisher versucht werden mußte.
Bevor ich nun über die weiteren theoretischen Bestrebungen auf diesem Gebiet zwischen 1840 und 1860 berichte, ist noch darauf hinzuweisen, daß man unterdessen auch wieder neue Fälle verschiedener Pflanzenbewegungen auffand. Dutrochet hatte den Keimstengel von Viscum als ein negativ heliotropisches Organ erkannt und sein Verhalten sorgfältig studirt; der alten Ansicht, daß die geotropische Abwärtskrümmung ein Vorrecht der Hauptwurzeln sei, und daß sie dadurch in "polarem" Gegen- satz zum Stamm stehen, trat er mit dem Hinweis auf die Rhizom- sprosse von Sagittaria, Sparganium, Typha u. a. entgegen, welche wenigstens in ihrer Jugend mit Gewalt sich abwärts krümmen; und indem er Knight's Rotationsversuche erweiterte, fand er, daß auch die Blätter einen eigenthümlichen Geotropismus zeigen. -- Diese Wahrnehmungen und manche neue Beispiele periodischer und Reizbewegung traten nun ohne Schwierigkeit in Verbindung mit den längst bekannten Bewegungsformen im Pflanzenreiche, indem sie zugleich zur Berichtigung der Ansichten über diese beitrugen. Nicht so war es einstweilen mit zwei an- deren in das Gebiet der Phytodynamik gehörigen Erscheinungen: mit dem normalen Wachsthum einer-, mit den Protoplasmabe- wegungen anderseits, in denen so zu sagen die beiden entgegen- gesetzten Extreme der hierher gehörigen Thatsachen auftreten. Ueber das Wachsthum hatte man seit dem Beginn des Jahr- hunderts verschiedene Messungen gemacht, seine Abhängigkeit von Licht und Wärme ohne nennenswerthen Erfolg zu constatiren versucht; die Bewegungen des Protoplasmas hatte 1811 Tre- viranus wieder in den Nitellen aufgefunden; durch Amici, Meyen und Schleiden wurden ähnliche Bewegungen auch in den Zellen höherer Pflanzen vielfach nachgewiesen, aber für Strömungen des Zellsaftes gehalten; daß es sich hier um Be- wegungen derselben organisirten Substanz handelt, welche in Form von Schwärmsporen ganz frei im Wasser herumschwimmt, war noch unbekannt. Alle diese Erscheinungen, zumal auch die
Geſchichte der Phytodynamik.
mit dem ſich rechnen ließ, wenn auch ſeine Anwendung anders als bisher verſucht werden mußte.
Bevor ich nun über die weiteren theoretiſchen Beſtrebungen auf dieſem Gebiet zwiſchen 1840 und 1860 berichte, iſt noch darauf hinzuweiſen, daß man unterdeſſen auch wieder neue Fälle verſchiedener Pflanzenbewegungen auffand. Dutrochet hatte den Keimſtengel von Viscum als ein negativ heliotropiſches Organ erkannt und ſein Verhalten ſorgfältig ſtudirt; der alten Anſicht, daß die geotropiſche Abwärtskrümmung ein Vorrecht der Hauptwurzeln ſei, und daß ſie dadurch in „polarem“ Gegen- ſatz zum Stamm ſtehen, trat er mit dem Hinweis auf die Rhizom- ſproſſe von Sagittaria, Sparganium, Typha u. a. entgegen, welche wenigſtens in ihrer Jugend mit Gewalt ſich abwärts krümmen; und indem er Knight's Rotationsverſuche erweiterte, fand er, daß auch die Blätter einen eigenthümlichen Geotropismus zeigen. — Dieſe Wahrnehmungen und manche neue Beiſpiele periodiſcher und Reizbewegung traten nun ohne Schwierigkeit in Verbindung mit den längſt bekannten Bewegungsformen im Pflanzenreiche, indem ſie zugleich zur Berichtigung der Anſichten über dieſe beitrugen. Nicht ſo war es einſtweilen mit zwei an- deren in das Gebiet der Phytodynamik gehörigen Erſcheinungen: mit dem normalen Wachsthum einer-, mit den Protoplasmabe- wegungen anderſeits, in denen ſo zu ſagen die beiden entgegen- geſetzten Extreme der hierher gehörigen Thatſachen auftreten. Ueber das Wachsthum hatte man ſeit dem Beginn des Jahr- hunderts verſchiedene Meſſungen gemacht, ſeine Abhängigkeit von Licht und Wärme ohne nennenswerthen Erfolg zu conſtatiren verſucht; die Bewegungen des Protoplasmas hatte 1811 Tre- viranus wieder in den Nitellen aufgefunden; durch Amici, Meyen und Schleiden wurden ähnliche Bewegungen auch in den Zellen höherer Pflanzen vielfach nachgewieſen, aber für Strömungen des Zellſaftes gehalten; daß es ſich hier um Be- wegungen derſelben organiſirten Subſtanz handelt, welche in Form von Schwärmſporen ganz frei im Waſſer herumſchwimmt, war noch unbekannt. Alle dieſe Erſcheinungen, zumal auch die
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Geſchichte der Phytodynamik.
mit dem ſich rechnen ließ, wenn auch ſeine Anwendung anders
als bisher verſucht werden mußte.
Bevor ich nun über die weiteren theoretiſchen Beſtrebungen
auf dieſem Gebiet zwiſchen 1840 und 1860 berichte, iſt noch
darauf hinzuweiſen, daß man unterdeſſen auch wieder neue Fälle
verſchiedener Pflanzenbewegungen auffand. Dutrochet hatte
den Keimſtengel von Viscum als ein negativ heliotropiſches
Organ erkannt und ſein Verhalten ſorgfältig ſtudirt; der alten
Anſicht, daß die geotropiſche Abwärtskrümmung ein Vorrecht
der Hauptwurzeln ſei, und daß ſie dadurch in „polarem“ Gegen-
ſatz zum Stamm ſtehen, trat er mit dem Hinweis auf die Rhizom-
ſproſſe von Sagittaria, Sparganium, Typha u. a. entgegen,
welche wenigſtens in ihrer Jugend mit Gewalt ſich abwärts
krümmen; und indem er Knight's Rotationsverſuche erweiterte,
fand er, daß auch die Blätter einen eigenthümlichen Geotropismus
zeigen. — Dieſe Wahrnehmungen und manche neue Beiſpiele
periodiſcher und Reizbewegung traten nun ohne Schwierigkeit in
Verbindung mit den längſt bekannten Bewegungsformen im
Pflanzenreiche, indem ſie zugleich zur Berichtigung der Anſichten
über dieſe beitrugen. Nicht ſo war es einſtweilen mit zwei an-
deren in das Gebiet der Phytodynamik gehörigen Erſcheinungen:
mit dem normalen Wachsthum einer-, mit den Protoplasmabe-
wegungen anderſeits, in denen ſo zu ſagen die beiden entgegen-
geſetzten Extreme der hierher gehörigen Thatſachen auftreten.
Ueber das Wachsthum hatte man ſeit dem Beginn des Jahr-
hunderts verſchiedene Meſſungen gemacht, ſeine Abhängigkeit von
Licht und Wärme ohne nennenswerthen Erfolg zu conſtatiren
verſucht; die Bewegungen des Protoplasmas hatte 1811 Tre-
viranus wieder in den Nitellen aufgefunden; durch Amici,
Meyen und Schleiden wurden ähnliche Bewegungen auch
in den Zellen höherer Pflanzen vielfach nachgewieſen, aber für
Strömungen des Zellſaftes gehalten; daß es ſich hier um Be-
wegungen derſelben organiſirten Subſtanz handelt, welche in
Form von Schwärmſporen ganz frei im Waſſer herumſchwimmt,
war noch unbekannt. Alle dieſe Erſcheinungen, zumal auch die
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/610>, abgerufen am 24.11.2024.
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