der Naturwissenschaft wurde dieser Gedanke seit 1840 wie ein Axiom, wenn auch nicht immer ausgesprochen, so doch bei jedem Erklärungsversuch physiologischer Erscheinungen zu Grunde gelegt.
Von dieser Seite her also war der geistigen Bewegung schon vor dem Jahre 1840 eine freiere Bahn geöffnet, und wie auf dem Gebiet der Morphologie und Phytotomie um diese Zeit die streng inductive Forschung, vor Allem die Feststellung der Thatsachen und eine strengere Handhabung der Logik gefordert wurde, so geschah dasselbe auch auf dem Gebiet der Ernährungs- lehre. Hier handelte es sich aber zunächst weniger darum, neue Thatsachen zu entdecken, als vielmehr das bereits Bekannte, das, was Ingen-Houß, Senebier und Saussure geleistet, richtig zu würdigen und es von all den Verirrungen der letzten Jahrzehnte zu befreien. Die Hauptvertreter der Pflanzenphysio- logie, De Candolle, Treviranus, Meyen u. A. hatten sich die Aufgabe erschwert, indem sie die einzelnen Fragen der Ernährungsphysiologie, zumal die chemischen von den mechanischen nicht streng genug sonderten; über einem ganz überflüssigen Wust von Nebendingen war die nächstliegende Frage: aus was für Stoffen denn überhaupt die Nahrung der Pflanzen bestehe, mehr nebensächlich behandelt worden, und durch die von den Chemikern und Landwirthen ausgebildete Humustheorie, die sich bei Tre- viranus u. A. so leicht in die Lehre von der Lebenskraft ein- reihen ließ, wurde die Sache vollends verdorben. Es war Liebig's großes Verdienst, diese Unklarheiten und all den überflüssigen Ballast, der sich an die Frage nach den Nährstoffen der Pflanze nach und nach angehängt hatte, zu beseitigen und die hier in Betracht kommenden Fragepuncte vollkommen klar zu legen; war dieß einmal geschehen, so verstand sich ihre Beant- wortung fast von selbst, denn die vorliegenden Erfahrungen lieferten dazu genügendes empirisches Material. Manche sich hierbei ergebenden tiefer in das Einzelne eindringenden Fragen erforderten dagegen neue, ausgedehnte experimentelle Untersuchungen, welche im Lauf der vierziger und fünfziger Jahre an Boussin- gault ihren fruchtbarsten und befähigtsten Bearbeiter fanden.
Feſtſtellung des Nahrungsmaterials der Pflanzen.
der Naturwiſſenſchaft wurde dieſer Gedanke ſeit 1840 wie ein Axiom, wenn auch nicht immer ausgeſprochen, ſo doch bei jedem Erklärungsverſuch phyſiologiſcher Erſcheinungen zu Grunde gelegt.
Von dieſer Seite her alſo war der geiſtigen Bewegung ſchon vor dem Jahre 1840 eine freiere Bahn geöffnet, und wie auf dem Gebiet der Morphologie und Phytotomie um dieſe Zeit die ſtreng inductive Forſchung, vor Allem die Feſtſtellung der Thatſachen und eine ſtrengere Handhabung der Logik gefordert wurde, ſo geſchah dasſelbe auch auf dem Gebiet der Ernährungs- lehre. Hier handelte es ſich aber zunächſt weniger darum, neue Thatſachen zu entdecken, als vielmehr das bereits Bekannte, das, was Ingen-Houß, Senebier und Sauſſure geleiſtet, richtig zu würdigen und es von all den Verirrungen der letzten Jahrzehnte zu befreien. Die Hauptvertreter der Pflanzenphyſio- logie, De Candolle, Treviranus, Meyen u. A. hatten ſich die Aufgabe erſchwert, indem ſie die einzelnen Fragen der Ernährungsphyſiologie, zumal die chemiſchen von den mechaniſchen nicht ſtreng genug ſonderten; über einem ganz überflüſſigen Wuſt von Nebendingen war die nächſtliegende Frage: aus was für Stoffen denn überhaupt die Nahrung der Pflanzen beſtehe, mehr nebenſächlich behandelt worden, und durch die von den Chemikern und Landwirthen ausgebildete Humustheorie, die ſich bei Tre- viranus u. A. ſo leicht in die Lehre von der Lebenskraft ein- reihen ließ, wurde die Sache vollends verdorben. Es war Liebig's großes Verdienſt, dieſe Unklarheiten und all den überflüſſigen Ballaſt, der ſich an die Frage nach den Nährſtoffen der Pflanze nach und nach angehängt hatte, zu beſeitigen und die hier in Betracht kommenden Fragepuncte vollkommen klar zu legen; war dieß einmal geſchehen, ſo verſtand ſich ihre Beant- wortung faſt von ſelbſt, denn die vorliegenden Erfahrungen lieferten dazu genügendes empiriſches Material. Manche ſich hierbei ergebenden tiefer in das Einzelne eindringenden Fragen erforderten dagegen neue, ausgedehnte experimentelle Unterſuchungen, welche im Lauf der vierziger und fünfziger Jahre an Bouſſin- gault ihren fruchtbarſten und befähigtſten Bearbeiter fanden.
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Feſtſtellung des Nahrungsmaterials der Pflanzen.
der Naturwiſſenſchaft wurde dieſer Gedanke ſeit 1840 wie ein
Axiom, wenn auch nicht immer ausgeſprochen, ſo doch bei jedem
Erklärungsverſuch phyſiologiſcher Erſcheinungen zu Grunde gelegt.
Von dieſer Seite her alſo war der geiſtigen Bewegung
ſchon vor dem Jahre 1840 eine freiere Bahn geöffnet, und wie
auf dem Gebiet der Morphologie und Phytotomie um dieſe Zeit
die ſtreng inductive Forſchung, vor Allem die Feſtſtellung der
Thatſachen und eine ſtrengere Handhabung der Logik gefordert
wurde, ſo geſchah dasſelbe auch auf dem Gebiet der Ernährungs-
lehre. Hier handelte es ſich aber zunächſt weniger darum, neue
Thatſachen zu entdecken, als vielmehr das bereits Bekannte, das,
was Ingen-Houß, Senebier und Sauſſure geleiſtet,
richtig zu würdigen und es von all den Verirrungen der letzten
Jahrzehnte zu befreien. Die Hauptvertreter der Pflanzenphyſio-
logie, De Candolle, Treviranus, Meyen u. A. hatten
ſich die Aufgabe erſchwert, indem ſie die einzelnen Fragen der
Ernährungsphyſiologie, zumal die chemiſchen von den mechaniſchen
nicht ſtreng genug ſonderten; über einem ganz überflüſſigen Wuſt
von Nebendingen war die nächſtliegende Frage: aus was für
Stoffen denn überhaupt die Nahrung der Pflanzen beſtehe, mehr
nebenſächlich behandelt worden, und durch die von den Chemikern
und Landwirthen ausgebildete Humustheorie, die ſich bei Tre-
viranus u. A. ſo leicht in die Lehre von der Lebenskraft ein-
reihen ließ, wurde die Sache vollends verdorben. Es war
Liebig's großes Verdienſt, dieſe Unklarheiten und all den
überflüſſigen Ballaſt, der ſich an die Frage nach den Nährſtoffen
der Pflanze nach und nach angehängt hatte, zu beſeitigen und
die hier in Betracht kommenden Fragepuncte vollkommen klar zu
legen; war dieß einmal geſchehen, ſo verſtand ſich ihre Beant-
wortung faſt von ſelbſt, denn die vorliegenden Erfahrungen
lieferten dazu genügendes empiriſches Material. Manche ſich
hierbei ergebenden tiefer in das Einzelne eindringenden Fragen
erforderten dagegen neue, ausgedehnte experimentelle Unterſuchungen,
welche im Lauf der vierziger und fünfziger Jahre an Bouſſin-
gault ihren fruchtbarſten und befähigtſten Bearbeiter fanden.
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/579>, abgerufen am 22.11.2024.
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