Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Begründung der neuen Ernährungslehre etc.
linge allein im Sonnenlicht oder hellen Tageslicht Sauerstoff
aushauchen. -- Ingen-Houß hatte also nicht nur die Kohlen-
stoffassimilation und die eigentliche Athmung der Pflanzen ent-
deckt, sondern er wußte auch beide Erscheinungen nach ihren Be-
dingungen und in ihrer Bedeutung auseinander zu halten.
Dem entsprechend war ihm auch der große Unterschied zwischen
der Ernährung keimender und älterer grüner Pflanzen, die Un-
abhängigkeit jener, die Abhängigkeit dieser vom Licht vollkommen
klar und daß er die atmosphärische Kohlensäure als die haupt-
sächliche, wenn auch nicht alleinige Quelle des Kohlenstoffs der
Pflanzen betrachtete, zeigt seine Widerlegung einer unverstän-
digen Behauptung von Hassenfratz, wonach der Kohlenstoff durch
die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen werde, der er die
Bemerkung entgegenstellte: es sei schwer begreiflich, wie ein großer
Baum unter diesen Umständen seine Nahrung Jahrhunderte lang
an demselben Ort finden könne. Es lag damals eine gewisse
Kühnheit, ein großes Vertrauen auf die einmal gewonnene Ueber-
zeugung in diesen Aeußerungen von Ingen-Houß, da der
Kohlensäuregehalt der Luft noch wenig beobachtet und quanti-
tativ noch nicht sicher gestellt war, die relativ kleinen Quanti-
täten der atmosphärischen Kohlensäure aber manchen Anderen
gewiß davon abgeschreckt hätten, in ihnen das Reservoir der un-
geheuren Kohlenstoffmengen zu sehen, welche die Pflanzen in sich
anhäufen.

Noch bevor Ingen-Houß in der zuletzt genannten Schrift
die Resultate seiner 1779 gemachten Beobachtungen den neuen
chemischen Ansichten gemäß deutete, und so die wesentlichen
Grundlagen der Ernährungslehre schuf, machte Jean Senebier
in Genf 1) ausgedehnte Untersuchungen über den Einfluß des

1) Jean Senebier geb. zu Genf 1742, der Sohn eines Kaufmanns,
studirte Theologie und war seit 1765 evang. Pastor. Von einer Reise nach
Paris zurückgekehrt, schrieb er "moralische Erzählungen" und auf seines
Freundes Bonnet Rath bewarb er sich um die Harlemer Preisfrage:
worin die Kunst zu beobachten bestehe? er erhielt das Accessit. Nachdem
er seit 1769 Pastor in Chancy gewesen, wurde er Bibliothekar von Genf

Begründung der neuen Ernährungslehre etc.
linge allein im Sonnenlicht oder hellen Tageslicht Sauerſtoff
aushauchen. — Ingen-Houß hatte alſo nicht nur die Kohlen-
ſtoffaſſimilation und die eigentliche Athmung der Pflanzen ent-
deckt, ſondern er wußte auch beide Erſcheinungen nach ihren Be-
dingungen und in ihrer Bedeutung auseinander zu halten.
Dem entſprechend war ihm auch der große Unterſchied zwiſchen
der Ernährung keimender und älterer grüner Pflanzen, die Un-
abhängigkeit jener, die Abhängigkeit dieſer vom Licht vollkommen
klar und daß er die atmoſphäriſche Kohlenſäure als die haupt-
ſächliche, wenn auch nicht alleinige Quelle des Kohlenſtoffs der
Pflanzen betrachtete, zeigt ſeine Widerlegung einer unverſtän-
digen Behauptung von Haſſenfratz, wonach der Kohlenſtoff durch
die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen werde, der er die
Bemerkung entgegenſtellte: es ſei ſchwer begreiflich, wie ein großer
Baum unter dieſen Umſtänden ſeine Nahrung Jahrhunderte lang
an demſelben Ort finden könne. Es lag damals eine gewiſſe
Kühnheit, ein großes Vertrauen auf die einmal gewonnene Ueber-
zeugung in dieſen Aeußerungen von Ingen-Houß, da der
Kohlenſäuregehalt der Luft noch wenig beobachtet und quanti-
tativ noch nicht ſicher geſtellt war, die relativ kleinen Quanti-
täten der atmoſphäriſchen Kohlenſäure aber manchen Anderen
gewiß davon abgeſchreckt hätten, in ihnen das Reſervoir der un-
geheuren Kohlenſtoffmengen zu ſehen, welche die Pflanzen in ſich
anhäufen.

Noch bevor Ingen-Houß in der zuletzt genannten Schrift
die Reſultate ſeiner 1779 gemachten Beobachtungen den neuen
chemiſchen Anſichten gemäß deutete, und ſo die weſentlichen
Grundlagen der Ernährungslehre ſchuf, machte Jean Senebier
in Genf 1) ausgedehnte Unterſuchungen über den Einfluß des

1) Jean Senebier geb. zu Genf 1742, der Sohn eines Kaufmanns,
ſtudirte Theologie und war ſeit 1765 evang. Paſtor. Von einer Reiſe nach
Paris zurückgekehrt, ſchrieb er „moraliſche Erzählungen“ und auf ſeines
Freundes Bonnet Rath bewarb er ſich um die Harlemer Preisfrage:
worin die Kunſt zu beobachten beſtehe? er erhielt das Acceſſit. Nachdem
er ſeit 1769 Paſtor in Chancy geweſen, wurde er Bibliothekar von Genf
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0547" n="535"/><fw place="top" type="header">Begründung der neuen Ernährungslehre etc.</fw><lb/>
linge allein im Sonnenlicht oder hellen Tageslicht Sauer&#x017F;toff<lb/>
aushauchen. &#x2014; <hi rendition="#g">Ingen</hi>-<hi rendition="#g">Houß</hi> hatte al&#x017F;o nicht nur die Kohlen-<lb/>
&#x017F;toffa&#x017F;&#x017F;imilation und die eigentliche Athmung der Pflanzen ent-<lb/>
deckt, &#x017F;ondern er wußte auch beide Er&#x017F;cheinungen nach ihren Be-<lb/>
dingungen und in ihrer Bedeutung auseinander zu halten.<lb/>
Dem ent&#x017F;prechend war ihm auch der große Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen<lb/>
der Ernährung keimender und älterer grüner Pflanzen, die Un-<lb/>
abhängigkeit jener, die Abhängigkeit die&#x017F;er vom Licht vollkommen<lb/>
klar und daß er die atmo&#x017F;phäri&#x017F;che Kohlen&#x017F;äure als die haupt-<lb/>
&#x017F;ächliche, wenn auch nicht alleinige Quelle des Kohlen&#x017F;toffs der<lb/>
Pflanzen betrachtete, zeigt &#x017F;eine Widerlegung einer unver&#x017F;tän-<lb/>
digen Behauptung von Ha&#x017F;&#x017F;enfratz, wonach der Kohlen&#x017F;toff durch<lb/>
die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen werde, der er die<lb/>
Bemerkung entgegen&#x017F;tellte: es &#x017F;ei &#x017F;chwer begreiflich, wie ein großer<lb/>
Baum unter die&#x017F;en Um&#x017F;tänden &#x017F;eine Nahrung Jahrhunderte lang<lb/>
an dem&#x017F;elben Ort finden könne. Es lag damals eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Kühnheit, ein großes Vertrauen auf die einmal gewonnene Ueber-<lb/>
zeugung in die&#x017F;en Aeußerungen von <hi rendition="#g">Ingen</hi>-<hi rendition="#g">Houß</hi>, da der<lb/>
Kohlen&#x017F;äuregehalt der Luft noch wenig beobachtet und quanti-<lb/>
tativ noch nicht &#x017F;icher ge&#x017F;tellt war, die relativ kleinen Quanti-<lb/>
täten der atmo&#x017F;phäri&#x017F;chen Kohlen&#x017F;äure aber manchen Anderen<lb/>
gewiß davon abge&#x017F;chreckt hätten, in ihnen das Re&#x017F;ervoir der un-<lb/>
geheuren Kohlen&#x017F;toffmengen zu &#x017F;ehen, welche die Pflanzen in &#x017F;ich<lb/>
anhäufen.</p><lb/>
            <p>Noch bevor <hi rendition="#g">Ingen</hi>-<hi rendition="#g">Houß</hi> in der zuletzt genannten Schrift<lb/>
die Re&#x017F;ultate &#x017F;einer 1779 gemachten Beobachtungen den neuen<lb/>
chemi&#x017F;chen An&#x017F;ichten gemäß deutete, und &#x017F;o die we&#x017F;entlichen<lb/>
Grundlagen der Ernährungslehre &#x017F;chuf, machte <hi rendition="#b">Jean Senebier</hi><lb/>
in Genf <note xml:id="seg2pn_12_1" next="#seg2pn_12_2" place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Jean Senebier</hi> geb. zu Genf 1742, der Sohn eines Kaufmanns,<lb/>
&#x017F;tudirte Theologie und war &#x017F;eit 1765 evang. Pa&#x017F;tor. Von einer Rei&#x017F;e nach<lb/>
Paris zurückgekehrt, &#x017F;chrieb er &#x201E;morali&#x017F;che Erzählungen&#x201C; und auf &#x017F;eines<lb/>
Freundes <hi rendition="#g">Bonnet</hi> Rath bewarb er &#x017F;ich um die Harlemer Preisfrage:<lb/>
worin die Kun&#x017F;t zu beobachten be&#x017F;tehe? er erhielt das Acce&#x017F;&#x017F;it. Nachdem<lb/>
er &#x017F;eit 1769 Pa&#x017F;tor in Chancy gewe&#x017F;en, wurde er Bibliothekar von Genf</note> ausgedehnte Unter&#x017F;uchungen über den Einfluß des<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0547] Begründung der neuen Ernährungslehre etc. linge allein im Sonnenlicht oder hellen Tageslicht Sauerſtoff aushauchen. — Ingen-Houß hatte alſo nicht nur die Kohlen- ſtoffaſſimilation und die eigentliche Athmung der Pflanzen ent- deckt, ſondern er wußte auch beide Erſcheinungen nach ihren Be- dingungen und in ihrer Bedeutung auseinander zu halten. Dem entſprechend war ihm auch der große Unterſchied zwiſchen der Ernährung keimender und älterer grüner Pflanzen, die Un- abhängigkeit jener, die Abhängigkeit dieſer vom Licht vollkommen klar und daß er die atmoſphäriſche Kohlenſäure als die haupt- ſächliche, wenn auch nicht alleinige Quelle des Kohlenſtoffs der Pflanzen betrachtete, zeigt ſeine Widerlegung einer unverſtän- digen Behauptung von Haſſenfratz, wonach der Kohlenſtoff durch die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen werde, der er die Bemerkung entgegenſtellte: es ſei ſchwer begreiflich, wie ein großer Baum unter dieſen Umſtänden ſeine Nahrung Jahrhunderte lang an demſelben Ort finden könne. Es lag damals eine gewiſſe Kühnheit, ein großes Vertrauen auf die einmal gewonnene Ueber- zeugung in dieſen Aeußerungen von Ingen-Houß, da der Kohlenſäuregehalt der Luft noch wenig beobachtet und quanti- tativ noch nicht ſicher geſtellt war, die relativ kleinen Quanti- täten der atmoſphäriſchen Kohlenſäure aber manchen Anderen gewiß davon abgeſchreckt hätten, in ihnen das Reſervoir der un- geheuren Kohlenſtoffmengen zu ſehen, welche die Pflanzen in ſich anhäufen. Noch bevor Ingen-Houß in der zuletzt genannten Schrift die Reſultate ſeiner 1779 gemachten Beobachtungen den neuen chemiſchen Anſichten gemäß deutete, und ſo die weſentlichen Grundlagen der Ernährungslehre ſchuf, machte Jean Senebier in Genf 1) ausgedehnte Unterſuchungen über den Einfluß des 1) Jean Senebier geb. zu Genf 1742, der Sohn eines Kaufmanns, ſtudirte Theologie und war ſeit 1765 evang. Paſtor. Von einer Reiſe nach Paris zurückgekehrt, ſchrieb er „moraliſche Erzählungen“ und auf ſeines Freundes Bonnet Rath bewarb er ſich um die Harlemer Preisfrage: worin die Kunſt zu beobachten beſtehe? er erhielt das Acceſſit. Nachdem er ſeit 1769 Paſtor in Chancy geweſen, wurde er Bibliothekar von Genf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/547
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/547>, abgerufen am 25.11.2024.