Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
gemein für eine bedeutende Leistung gehalten werden konnte.
Bonnet erzählt, daß ihn Calandrini darauf aufmerksam
gemacht habe, daß wohl die Struktur der Unterseite der Blätter
den Zweck haben könne "den aus der Erde aufsteigenden Thau"
aufzusaugen und in die Pflanze einzuführen. Von dieser sinn-
reichen Vermuthung, wie es Bonnet nennt, ausgehend, machte
er nun allerlei wirklich sinnlose Experimente mit abgeschnittenen
Blättern, welche die Frage überhaupt gar nicht entscheiden konnten.
Die abgeschnittenen Blätter wurden bald mit der Ober- bald
mit der Unterseite auf Wasser gelegt, mit Oel oder anderen
schädlichen Dingen bestrichen und die Zeit ihres Verderbens
beobachtet. Es ist unmöglich, sich schlechter ausgedachte Vegeta-
tionsversuche vorzustellen; denn wenn Bonnet Calandrini's
"sinnreiche" Vermuthung prüfen wollte, so mußte er vor Allem die
Blätter an der lebenden Pflanze belassen und den Effekt beob-
achten, den die etwaige Aufsaugung von Thau auf die Vegeta-
tion hervorbringt. Zudem ist zu beachten, daß er unter dem auf-
steigenden Thau offenbar Wasserdampf verstand, denn der wirk-
liche Thau schlägt sich auf der Oberseite der Blätter vorwiegend
nieder; was konnte also für seine Frage herauskommen, wenn
er abgeschnittene Blätter auf Wasser legte? Sie bewiesen nicht
einmal im Entferntesten, daß die Blätter überhaupt den Thau
aufsaugen; trotzdem aber zog Bonnet den Schluß, daß die
wichtigste Verrichtung der Blätter eben in der Aufsaugung des
Thaues bestehe, und um dieses Resultat mit den Untersuchungen
von Hales über die Transspiration in Einklang zu bringen,
stellte er nun die Theorie auf: 1) "Der Nahrungssaft, welcher
am Tage aus den Wurzeln in den Stamm steigt, wird von den
Holzfasern mit Hilfe der Luftröhren vornehmlich in die untere
Seite der Blätter geführt, wo die Oeffnungen zu seinem Aus-
tritt (Verdunstung) in größerer Menge vorhanden sind. Bei
Hereinbrechen der Nacht, wenn die Wärme nicht mehr auf die
Blätter und die in den Luftröhren enthaltene Luft wirkt, kehrt

1) In der deutschen Uebersetzung von Arnold 1762 p. 35.

Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
gemein für eine bedeutende Leiſtung gehalten werden konnte.
Bonnet erzählt, daß ihn Calandrini darauf aufmerkſam
gemacht habe, daß wohl die Struktur der Unterſeite der Blätter
den Zweck haben könne „den aus der Erde aufſteigenden Thau“
aufzuſaugen und in die Pflanze einzuführen. Von dieſer ſinn-
reichen Vermuthung, wie es Bonnet nennt, ausgehend, machte
er nun allerlei wirklich ſinnloſe Experimente mit abgeſchnittenen
Blättern, welche die Frage überhaupt gar nicht entſcheiden konnten.
Die abgeſchnittenen Blätter wurden bald mit der Ober- bald
mit der Unterſeite auf Waſſer gelegt, mit Oel oder anderen
ſchädlichen Dingen beſtrichen und die Zeit ihres Verderbens
beobachtet. Es iſt unmöglich, ſich ſchlechter ausgedachte Vegeta-
tionsverſuche vorzuſtellen; denn wenn Bonnet Calandrini's
„ſinnreiche“ Vermuthung prüfen wollte, ſo mußte er vor Allem die
Blätter an der lebenden Pflanze belaſſen und den Effekt beob-
achten, den die etwaige Aufſaugung von Thau auf die Vegeta-
tion hervorbringt. Zudem iſt zu beachten, daß er unter dem auf-
ſteigenden Thau offenbar Waſſerdampf verſtand, denn der wirk-
liche Thau ſchlägt ſich auf der Oberſeite der Blätter vorwiegend
nieder; was konnte alſo für ſeine Frage herauskommen, wenn
er abgeſchnittene Blätter auf Waſſer legte? Sie bewieſen nicht
einmal im Entfernteſten, daß die Blätter überhaupt den Thau
aufſaugen; trotzdem aber zog Bonnet den Schluß, daß die
wichtigſte Verrichtung der Blätter eben in der Aufſaugung des
Thaues beſtehe, und um dieſes Reſultat mit den Unterſuchungen
von Hales über die Transſpiration in Einklang zu bringen,
ſtellte er nun die Theorie auf: 1) „Der Nahrungsſaft, welcher
am Tage aus den Wurzeln in den Stamm ſteigt, wird von den
Holzfaſern mit Hilfe der Luftröhren vornehmlich in die untere
Seite der Blätter geführt, wo die Oeffnungen zu ſeinem Aus-
tritt (Verdunſtung) in größerer Menge vorhanden ſind. Bei
Hereinbrechen der Nacht, wenn die Wärme nicht mehr auf die
Blätter und die in den Luftröhren enthaltene Luft wirkt, kehrt

1) In der deutſchen Ueberſetzung von Arnold 1762 p. 35.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0538" n="526"/><fw place="top" type="header">Ge&#x017F;chichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.</fw><lb/>
gemein für eine bedeutende Lei&#x017F;tung gehalten werden konnte.<lb/><hi rendition="#g">Bonnet</hi> erzählt, daß ihn <hi rendition="#g">Calandrini</hi> darauf aufmerk&#x017F;am<lb/>
gemacht habe, daß wohl die Struktur der Unter&#x017F;eite der Blätter<lb/>
den Zweck haben könne &#x201E;den aus der Erde auf&#x017F;teigenden Thau&#x201C;<lb/>
aufzu&#x017F;augen und in die Pflanze einzuführen. Von die&#x017F;er &#x017F;inn-<lb/>
reichen Vermuthung, wie es <hi rendition="#g">Bonnet</hi> nennt, ausgehend, machte<lb/>
er nun allerlei wirklich &#x017F;innlo&#x017F;e Experimente mit abge&#x017F;chnittenen<lb/>
Blättern, welche die Frage überhaupt gar nicht ent&#x017F;cheiden konnten.<lb/>
Die abge&#x017F;chnittenen Blätter wurden bald mit der Ober- bald<lb/>
mit der Unter&#x017F;eite auf Wa&#x017F;&#x017F;er gelegt, mit Oel oder anderen<lb/>
&#x017F;chädlichen Dingen be&#x017F;trichen und die Zeit ihres Verderbens<lb/>
beobachtet. Es i&#x017F;t unmöglich, &#x017F;ich &#x017F;chlechter ausgedachte Vegeta-<lb/>
tionsver&#x017F;uche vorzu&#x017F;tellen; denn wenn <hi rendition="#g">Bonnet Calandrini</hi>'s<lb/>
&#x201E;&#x017F;innreiche&#x201C; Vermuthung prüfen wollte, &#x017F;o mußte er vor Allem die<lb/>
Blätter an der lebenden Pflanze bela&#x017F;&#x017F;en und den Effekt beob-<lb/>
achten, den die etwaige Auf&#x017F;augung von Thau auf die Vegeta-<lb/>
tion hervorbringt. Zudem i&#x017F;t zu beachten, daß er unter dem auf-<lb/>
&#x017F;teigenden Thau offenbar Wa&#x017F;&#x017F;erdampf ver&#x017F;tand, denn der wirk-<lb/>
liche Thau &#x017F;chlägt &#x017F;ich auf der Ober&#x017F;eite der Blätter vorwiegend<lb/>
nieder; was konnte al&#x017F;o für &#x017F;eine Frage herauskommen, wenn<lb/>
er abge&#x017F;chnittene Blätter auf Wa&#x017F;&#x017F;er legte? Sie bewie&#x017F;en nicht<lb/>
einmal im Entfernte&#x017F;ten, daß die Blätter überhaupt den Thau<lb/>
auf&#x017F;augen; trotzdem aber zog <hi rendition="#g">Bonnet</hi> den Schluß, daß die<lb/>
wichtig&#x017F;te Verrichtung der Blätter eben in der Auf&#x017F;augung des<lb/>
Thaues be&#x017F;tehe, und um die&#x017F;es Re&#x017F;ultat mit den Unter&#x017F;uchungen<lb/>
von <hi rendition="#g">Hales</hi> über die Trans&#x017F;piration in Einklang zu bringen,<lb/>
&#x017F;tellte er nun die Theorie auf: <note place="foot" n="1)">In der deut&#x017F;chen Ueber&#x017F;etzung von Arnold 1762 <hi rendition="#aq">p.</hi> 35.</note> &#x201E;Der Nahrungs&#x017F;aft, welcher<lb/>
am Tage aus den Wurzeln in den Stamm &#x017F;teigt, wird von den<lb/>
Holzfa&#x017F;ern mit Hilfe der Luftröhren vornehmlich in die untere<lb/>
Seite der Blätter geführt, wo die Oeffnungen zu &#x017F;einem Aus-<lb/>
tritt (Verdun&#x017F;tung) in größerer Menge vorhanden &#x017F;ind. Bei<lb/>
Hereinbrechen der Nacht, wenn die Wärme nicht mehr auf die<lb/>
Blätter und die in den Luftröhren enthaltene Luft wirkt, kehrt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[526/0538] Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen. gemein für eine bedeutende Leiſtung gehalten werden konnte. Bonnet erzählt, daß ihn Calandrini darauf aufmerkſam gemacht habe, daß wohl die Struktur der Unterſeite der Blätter den Zweck haben könne „den aus der Erde aufſteigenden Thau“ aufzuſaugen und in die Pflanze einzuführen. Von dieſer ſinn- reichen Vermuthung, wie es Bonnet nennt, ausgehend, machte er nun allerlei wirklich ſinnloſe Experimente mit abgeſchnittenen Blättern, welche die Frage überhaupt gar nicht entſcheiden konnten. Die abgeſchnittenen Blätter wurden bald mit der Ober- bald mit der Unterſeite auf Waſſer gelegt, mit Oel oder anderen ſchädlichen Dingen beſtrichen und die Zeit ihres Verderbens beobachtet. Es iſt unmöglich, ſich ſchlechter ausgedachte Vegeta- tionsverſuche vorzuſtellen; denn wenn Bonnet Calandrini's „ſinnreiche“ Vermuthung prüfen wollte, ſo mußte er vor Allem die Blätter an der lebenden Pflanze belaſſen und den Effekt beob- achten, den die etwaige Aufſaugung von Thau auf die Vegeta- tion hervorbringt. Zudem iſt zu beachten, daß er unter dem auf- ſteigenden Thau offenbar Waſſerdampf verſtand, denn der wirk- liche Thau ſchlägt ſich auf der Oberſeite der Blätter vorwiegend nieder; was konnte alſo für ſeine Frage herauskommen, wenn er abgeſchnittene Blätter auf Waſſer legte? Sie bewieſen nicht einmal im Entfernteſten, daß die Blätter überhaupt den Thau aufſaugen; trotzdem aber zog Bonnet den Schluß, daß die wichtigſte Verrichtung der Blätter eben in der Aufſaugung des Thaues beſtehe, und um dieſes Reſultat mit den Unterſuchungen von Hales über die Transſpiration in Einklang zu bringen, ſtellte er nun die Theorie auf: 1) „Der Nahrungsſaft, welcher am Tage aus den Wurzeln in den Stamm ſteigt, wird von den Holzfaſern mit Hilfe der Luftröhren vornehmlich in die untere Seite der Blätter geführt, wo die Oeffnungen zu ſeinem Aus- tritt (Verdunſtung) in größerer Menge vorhanden ſind. Bei Hereinbrechen der Nacht, wenn die Wärme nicht mehr auf die Blätter und die in den Luftröhren enthaltene Luft wirkt, kehrt 1) In der deutſchen Ueberſetzung von Arnold 1762 p. 35.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/538
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/538>, abgerufen am 25.11.2024.