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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
führen. Zunächst wurde die von Liebig geleugnete Sauerstoff-
athmung der Pflanzen von Mohl und anderen wieder in ihr
Recht eingesetzt. Was Liebig über die Herkunft des Stickstoffs
der Pflanzen und über die Bedeutung der Aschenbestandtheile
gesagt hatte, stützte sich mehr auf allgemeine Betrachtungen und
Wahrnehmungen und auf Berechnungen und mußte nunmehr
durch methodisch eingeleitete Untersuchungen, namentlich durch
Vegetationsversuche im Einzelnen geprüft werden. Ganz vor-
wiegend war es nun Boussingault, der im Gegensatz zu
Liebig's deductivem Verfahren den rein induktiven Weg betrat,
die Methoden für Vegetationsversuche nach und nach verfeinerte
und bald dahin gelangte, Pflanzen in einem völlig humusfreien
rein mineralischen Boden so zu kultiviren, daß nicht nur die
Frage nach der Herkunft des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre,
sondern auch die Stickstofffrage definitiv gelöst wurde. An
solchen künstlich ernährten Pflanzen zeigte Boussingault unter
Beachtung aller hier so gefährlichen Fehlerquellen, daß der atmo-
sphärische, elementare Stickstoff für die Ernährung der Pflan-
zen gleichgiltig ist, daß aber eine normale Vermehrung der stick-
stoffhaltigen Pflanzensubstanz stattfindet, wenn die Wurzeln außer
den nöthigen Aschenbestandtheilen salpetersaure Salze aufnehmen.

Abgesehen von einigen Zweifeln, welche noch bezüglich der
Nothwendigkeit einzelner Aschenbestandtheile, wie des Natrons,
Chlors und der Kieselsäure bestehen blieben, wurde somit vor
1860 die Herkunft derjenigen Stoffe erkannt, welche sich bei
dem Chemismus der Pflanzenernährung betheiligen. Was
jedoch über die Vorgänge im Innern der Pflanze, über die
erste Entstehung organischer Substanz bei der Assimilation und
über die weiteren Umänderungen derselben zu Tage trat, blieb
auf Bruchstücke und Vermuthungen beschränkt, ohne noch zu einem
abschließenden Ergebniß zu führen.

Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
führen. Zunächſt wurde die von Liebig geleugnete Sauerſtoff-
athmung der Pflanzen von Mohl und anderen wieder in ihr
Recht eingeſetzt. Was Liebig über die Herkunft des Stickſtoffs
der Pflanzen und über die Bedeutung der Aſchenbeſtandtheile
geſagt hatte, ſtützte ſich mehr auf allgemeine Betrachtungen und
Wahrnehmungen und auf Berechnungen und mußte nunmehr
durch methodiſch eingeleitete Unterſuchungen, namentlich durch
Vegetationsverſuche im Einzelnen geprüft werden. Ganz vor-
wiegend war es nun Bouſſingault, der im Gegenſatz zu
Liebig's deductivem Verfahren den rein induktiven Weg betrat,
die Methoden für Vegetationsverſuche nach und nach verfeinerte
und bald dahin gelangte, Pflanzen in einem völlig humusfreien
rein mineraliſchen Boden ſo zu kultiviren, daß nicht nur die
Frage nach der Herkunft des Kohlenſtoffs aus der Atmoſphäre,
ſondern auch die Stickſtofffrage definitiv gelöſt wurde. An
ſolchen künſtlich ernährten Pflanzen zeigte Bouſſingault unter
Beachtung aller hier ſo gefährlichen Fehlerquellen, daß der atmo-
ſphäriſche, elementare Stickſtoff für die Ernährung der Pflan-
zen gleichgiltig iſt, daß aber eine normale Vermehrung der ſtick-
ſtoffhaltigen Pflanzenſubſtanz ſtattfindet, wenn die Wurzeln außer
den nöthigen Aſchenbeſtandtheilen ſalpeterſaure Salze aufnehmen.

Abgeſehen von einigen Zweifeln, welche noch bezüglich der
Nothwendigkeit einzelner Aſchenbeſtandtheile, wie des Natrons,
Chlors und der Kieſelſäure beſtehen blieben, wurde ſomit vor
1860 die Herkunft derjenigen Stoffe erkannt, welche ſich bei
dem Chemismus der Pflanzenernährung betheiligen. Was
jedoch über die Vorgänge im Innern der Pflanze, über die
erſte Entſtehung organiſcher Subſtanz bei der Aſſimilation und
über die weiteren Umänderungen derſelben zu Tage trat, blieb
auf Bruchſtücke und Vermuthungen beſchränkt, ohne noch zu einem
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[486/0498] Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen. führen. Zunächſt wurde die von Liebig geleugnete Sauerſtoff- athmung der Pflanzen von Mohl und anderen wieder in ihr Recht eingeſetzt. Was Liebig über die Herkunft des Stickſtoffs der Pflanzen und über die Bedeutung der Aſchenbeſtandtheile geſagt hatte, ſtützte ſich mehr auf allgemeine Betrachtungen und Wahrnehmungen und auf Berechnungen und mußte nunmehr durch methodiſch eingeleitete Unterſuchungen, namentlich durch Vegetationsverſuche im Einzelnen geprüft werden. Ganz vor- wiegend war es nun Bouſſingault, der im Gegenſatz zu Liebig's deductivem Verfahren den rein induktiven Weg betrat, die Methoden für Vegetationsverſuche nach und nach verfeinerte und bald dahin gelangte, Pflanzen in einem völlig humusfreien rein mineraliſchen Boden ſo zu kultiviren, daß nicht nur die Frage nach der Herkunft des Kohlenſtoffs aus der Atmoſphäre, ſondern auch die Stickſtofffrage definitiv gelöſt wurde. An ſolchen künſtlich ernährten Pflanzen zeigte Bouſſingault unter Beachtung aller hier ſo gefährlichen Fehlerquellen, daß der atmo- ſphäriſche, elementare Stickſtoff für die Ernährung der Pflan- zen gleichgiltig iſt, daß aber eine normale Vermehrung der ſtick- ſtoffhaltigen Pflanzenſubſtanz ſtattfindet, wenn die Wurzeln außer den nöthigen Aſchenbeſtandtheilen ſalpeterſaure Salze aufnehmen. Abgeſehen von einigen Zweifeln, welche noch bezüglich der Nothwendigkeit einzelner Aſchenbeſtandtheile, wie des Natrons, Chlors und der Kieſelſäure beſtehen blieben, wurde ſomit vor 1860 die Herkunft derjenigen Stoffe erkannt, welche ſich bei dem Chemismus der Pflanzenernährung betheiligen. Was jedoch über die Vorgänge im Innern der Pflanze, über die erſte Entſtehung organiſcher Subſtanz bei der Aſſimilation und über die weiteren Umänderungen derſelben zu Tage trat, blieb auf Bruchſtücke und Vermuthungen beſchränkt, ohne noch zu einem abſchließenden Ergebniß zu führen.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/498>, abgerufen am 25.11.2024.