achtungen, welche über die Art und Weise der Saftbewegung in den Pflanzen Auskunft geben sollten; da man jedoch die von Malpighi bereits erkannte Funktion der Blätter übersah, so gelangte man auch in dieser Beziehung nur zu unklaren und selbst widersprechenden Resultaten. Denn die gesammte Einsicht nicht nur in die chemischen Vorgänge der Pflanzenernährung, sondern auch in die Mechanik der Saftbewegung, überhaupt in den gesammten Haushalt der Pflanze hängt von der Kenntniß der Thatsache ab, daß nur die chlorophyllhaltigen Zellen, bei den höheren Pflanzen also die vorwiegend aus solchen bestehenden Blätter im Stande sind, unter Mithülfe der aus dem Boden aufgenommenen Stoffe die gasförmige Nahrungssubstanz der Atmosphäre in Pflanzenstoffe umzuwandeln. Diese Thatsache ist für die ganze Ernährungstheorie der Pflanzen von princi- pieller Bedeutung; ohne ihre Kenntniß ist die mit der Ernährung und dem Wachsthum verbundene Stoffbewegung, die Abhängig- keit der Vegetation vom Licht, und auch zum großen Theil die Wurzelfunction unerklärlich.
Dieses Princip der gesammten Ernährungstheorie der Pflanzen konnte aber erst aufgefunden werden, als an Stelle der älteren phlogistischen Chemie das neue chemische System von Lavoisier trat und merkwürdigerweise waren es im Wesentlichen dieselben Entdeckungen, welche im Lauf der siebziger und achtziger Jahre die Basis für die neuere Chemie und gleichzeitig für die Be- gründung der neueren Ernährungslehre der Pflanzen lieferten. Gestützt auf Lavoisier's antiphlogistische Ansichten über die Zusammensetzung der Luft, des Wassers, der mineralischen Säuren, gelang es Ingen-Houß zu zeigen, daß alle Pflanzentheile beständig Sauerstoff aufnehmen und Kohlensäure bilden, daß jedoch die grünen Organe unter dem Einfluß des Lichts um- gekehrt Kohlensäure aufnehmen und Sauerstoff dafür ausscheiden; und schon 1896 hielt es Ingen-Houß für wahrscheinlich, daß die Pflanzen die Gesammtmasse ihres Kohlenstoffs aus der atmosphärischen Kohlensäure aufnehmen. Bald darauf bewies Saussure (1804), daß die Pflanzen, indem sie Kohlensäure
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Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
achtungen, welche über die Art und Weiſe der Saftbewegung in den Pflanzen Auskunft geben ſollten; da man jedoch die von Malpighi bereits erkannte Funktion der Blätter überſah, ſo gelangte man auch in dieſer Beziehung nur zu unklaren und ſelbſt widerſprechenden Reſultaten. Denn die geſammte Einſicht nicht nur in die chemiſchen Vorgänge der Pflanzenernährung, ſondern auch in die Mechanik der Saftbewegung, überhaupt in den geſammten Haushalt der Pflanze hängt von der Kenntniß der Thatſache ab, daß nur die chlorophyllhaltigen Zellen, bei den höheren Pflanzen alſo die vorwiegend aus ſolchen beſtehenden Blätter im Stande ſind, unter Mithülfe der aus dem Boden aufgenommenen Stoffe die gasförmige Nahrungsſubſtanz der Atmoſphäre in Pflanzenſtoffe umzuwandeln. Dieſe Thatſache iſt für die ganze Ernährungstheorie der Pflanzen von princi- pieller Bedeutung; ohne ihre Kenntniß iſt die mit der Ernährung und dem Wachsthum verbundene Stoffbewegung, die Abhängig- keit der Vegetation vom Licht, und auch zum großen Theil die Wurzelfunction unerklärlich.
Dieſes Princip der geſammten Ernährungstheorie der Pflanzen konnte aber erſt aufgefunden werden, als an Stelle der älteren phlogiſtiſchen Chemie das neue chemiſche Syſtem von Lavoiſier trat und merkwürdigerweiſe waren es im Weſentlichen dieſelben Entdeckungen, welche im Lauf der ſiebziger und achtziger Jahre die Baſis für die neuere Chemie und gleichzeitig für die Be- gründung der neueren Ernährungslehre der Pflanzen lieferten. Geſtützt auf Lavoiſier's antiphlogiſtiſche Anſichten über die Zuſammenſetzung der Luft, des Waſſers, der mineraliſchen Säuren, gelang es Ingen-Houß zu zeigen, daß alle Pflanzentheile beſtändig Sauerſtoff aufnehmen und Kohlenſäure bilden, daß jedoch die grünen Organe unter dem Einfluß des Lichts um- gekehrt Kohlenſäure aufnehmen und Sauerſtoff dafür ausſcheiden; und ſchon 1896 hielt es Ingen-Houß für wahrſcheinlich, daß die Pflanzen die Geſammtmaſſe ihres Kohlenſtoffs aus der atmoſphäriſchen Kohlenſäure aufnehmen. Bald darauf bewies Sauſſure (1804), daß die Pflanzen, indem ſie Kohlenſäure
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Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
achtungen, welche über die Art und Weiſe der Saftbewegung
in den Pflanzen Auskunft geben ſollten; da man jedoch die von
Malpighi bereits erkannte Funktion der Blätter überſah, ſo
gelangte man auch in dieſer Beziehung nur zu unklaren und
ſelbſt widerſprechenden Reſultaten. Denn die geſammte Einſicht
nicht nur in die chemiſchen Vorgänge der Pflanzenernährung,
ſondern auch in die Mechanik der Saftbewegung, überhaupt in
den geſammten Haushalt der Pflanze hängt von der Kenntniß
der Thatſache ab, daß nur die chlorophyllhaltigen Zellen, bei
den höheren Pflanzen alſo die vorwiegend aus ſolchen beſtehenden
Blätter im Stande ſind, unter Mithülfe der aus dem Boden
aufgenommenen Stoffe die gasförmige Nahrungsſubſtanz der
Atmoſphäre in Pflanzenſtoffe umzuwandeln. Dieſe Thatſache
iſt für die ganze Ernährungstheorie der Pflanzen von princi-
pieller Bedeutung; ohne ihre Kenntniß iſt die mit der Ernährung
und dem Wachsthum verbundene Stoffbewegung, die Abhängig-
keit der Vegetation vom Licht, und auch zum großen Theil die
Wurzelfunction unerklärlich.
Dieſes Princip der geſammten Ernährungstheorie der Pflanzen
konnte aber erſt aufgefunden werden, als an Stelle der älteren
phlogiſtiſchen Chemie das neue chemiſche Syſtem von Lavoiſier
trat und merkwürdigerweiſe waren es im Weſentlichen dieſelben
Entdeckungen, welche im Lauf der ſiebziger und achtziger Jahre
die Baſis für die neuere Chemie und gleichzeitig für die Be-
gründung der neueren Ernährungslehre der Pflanzen lieferten.
Geſtützt auf Lavoiſier's antiphlogiſtiſche Anſichten über die
Zuſammenſetzung der Luft, des Waſſers, der mineraliſchen Säuren,
gelang es Ingen-Houß zu zeigen, daß alle Pflanzentheile
beſtändig Sauerſtoff aufnehmen und Kohlenſäure bilden, daß
jedoch die grünen Organe unter dem Einfluß des Lichts um-
gekehrt Kohlenſäure aufnehmen und Sauerſtoff dafür ausſcheiden;
und ſchon 1896 hielt es Ingen-Houß für wahrſcheinlich, daß
die Pflanzen die Geſammtmaſſe ihres Kohlenſtoffs aus der
atmoſphäriſchen Kohlenſäure aufnehmen. Bald darauf bewies
Sauſſure (1804), daß die Pflanzen, indem ſie Kohlenſäure
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/495>, abgerufen am 16.07.2024.
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