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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.
sein pflegt, welche ohne hinlängliche Vorbereitung sich plötzlich
mit dieser oder jener Frage der Pflanzenphysiologie beschäftigen;
die Darstellung Spallanzani's ist flüchtig, die Kritik Anderer
rechthaberisch und bissig, ohne dem Leser das Gefühl des Zu-
trauens zu seiner eigenen Geschicklichkeit und Urtheilsfähigkeit zu
erwecken. Seine oft mit Hast und wenig Ueberlegung unter-
nommenen Vegetationsversuche führte er zum Theil an Pflanzen
aus, die wie z. B. Günster, Bohnen, Erbsen, Rettig, Basi-
licum, Delphinium
gerade für derartige Untersuchungen unge-
eignet sind. So kann denn auch das Resultat nicht überraschen,
daß er bei einigen, wie Mercurialis und Basilicum die Noth-
wendigkeit der Einwirkung des Pollens zur Bildung keimfähiger
Samen konstatirte, während andere Pflanzen, wie der Kürbiß,
die Wassermelone, der Hanf und Spinat auch ohne Befruchtung
dasselbe leisten sollen. Schon sein größerer Landsmann Volta,
der Spallanzani's Experimente wiederholte, bestritt dieses
Resultat.

So waren die Versuche beschaffen, auf welche sich Franz
Joseph Schelver, Professor der Medicin in Heidelberg, in seiner
"Kritik der Lehre von dem Geschlecht der Pflanzen" 1812 berief.
Es ist nicht nöthig, ausführlich auf dieses wunderliche Product
eines irre geleiteten Verstandes näher einzugehen, wenn auch
immerhin bis in die zwanziger Jahre hinein eine beträchtliche
Zahl deutscher Botaniker den Unsinn für tiefe Weisheit nahm.
Die Untersuchungen des Camerarius erledigte Schelver mit
vier Zeilen; als den wichtigsten Autor aber empfahl er Spal-
lanzani, während Koelreuter hochmüthig abgefertigt wurde.
Die Erfahrungen dieser Männer, sagte er, sind richtig, aber die
Befruchtung beweisen sie nicht. Ihm kommt es vielmehr darauf
an, die Frage aus der Natur des vegetativen Lebens zu ent-
scheiden; aus dieser von ihm selbst construirten Natur aber
folgert er, daß die Pflanzenorgane überhaupt keinen Nutzen
haben, daß sie noch nicht den Trieb haben können, einander zu
nutzen und in Gemeinschaft das Leben fortzuzeugen, weil dieses
eine Ziel des Wirkens nur da lebendig werden kann, wo alle

Geſchichte der Sexualtheorie.
ſein pflegt, welche ohne hinlängliche Vorbereitung ſich plötzlich
mit dieſer oder jener Frage der Pflanzenphyſiologie beſchäftigen;
die Darſtellung Spallanzani's iſt flüchtig, die Kritik Anderer
rechthaberiſch und biſſig, ohne dem Leſer das Gefühl des Zu-
trauens zu ſeiner eigenen Geſchicklichkeit und Urtheilsfähigkeit zu
erwecken. Seine oft mit Haſt und wenig Ueberlegung unter-
nommenen Vegetationsverſuche führte er zum Theil an Pflanzen
aus, die wie z. B. Günſter, Bohnen, Erbſen, Rettig, Basi-
licum, Delphinium
gerade für derartige Unterſuchungen unge-
eignet ſind. So kann denn auch das Reſultat nicht überraſchen,
daß er bei einigen, wie Mercurialis und Basilicum die Noth-
wendigkeit der Einwirkung des Pollens zur Bildung keimfähiger
Samen konſtatirte, während andere Pflanzen, wie der Kürbiß,
die Waſſermelone, der Hanf und Spinat auch ohne Befruchtung
dasſelbe leiſten ſollen. Schon ſein größerer Landsmann Volta,
der Spallanzani's Experimente wiederholte, beſtritt dieſes
Reſultat.

So waren die Verſuche beſchaffen, auf welche ſich Franz
Joſeph Schelver, Profeſſor der Medicin in Heidelberg, in ſeiner
„Kritik der Lehre von dem Geſchlecht der Pflanzen“ 1812 berief.
Es iſt nicht nöthig, ausführlich auf dieſes wunderliche Product
eines irre geleiteten Verſtandes näher einzugehen, wenn auch
immerhin bis in die zwanziger Jahre hinein eine beträchtliche
Zahl deutſcher Botaniker den Unſinn für tiefe Weisheit nahm.
Die Unterſuchungen des Camerarius erledigte Schelver mit
vier Zeilen; als den wichtigſten Autor aber empfahl er Spal-
lanzani, während Koelreuter hochmüthig abgefertigt wurde.
Die Erfahrungen dieſer Männer, ſagte er, ſind richtig, aber die
Befruchtung beweiſen ſie nicht. Ihm kommt es vielmehr darauf
an, die Frage aus der Natur des vegetativen Lebens zu ent-
ſcheiden; aus dieſer von ihm ſelbſt conſtruirten Natur aber
folgert er, daß die Pflanzenorgane überhaupt keinen Nutzen
haben, daß ſie noch nicht den Trieb haben können, einander zu
nutzen und in Gemeinſchaft das Leben fortzuzeugen, weil dieſes
eine Ziel des Wirkens nur da lebendig werden kann, wo alle

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[458/0470] Geſchichte der Sexualtheorie. ſein pflegt, welche ohne hinlängliche Vorbereitung ſich plötzlich mit dieſer oder jener Frage der Pflanzenphyſiologie beſchäftigen; die Darſtellung Spallanzani's iſt flüchtig, die Kritik Anderer rechthaberiſch und biſſig, ohne dem Leſer das Gefühl des Zu- trauens zu ſeiner eigenen Geſchicklichkeit und Urtheilsfähigkeit zu erwecken. Seine oft mit Haſt und wenig Ueberlegung unter- nommenen Vegetationsverſuche führte er zum Theil an Pflanzen aus, die wie z. B. Günſter, Bohnen, Erbſen, Rettig, Basi- licum, Delphinium gerade für derartige Unterſuchungen unge- eignet ſind. So kann denn auch das Reſultat nicht überraſchen, daß er bei einigen, wie Mercurialis und Basilicum die Noth- wendigkeit der Einwirkung des Pollens zur Bildung keimfähiger Samen konſtatirte, während andere Pflanzen, wie der Kürbiß, die Waſſermelone, der Hanf und Spinat auch ohne Befruchtung dasſelbe leiſten ſollen. Schon ſein größerer Landsmann Volta, der Spallanzani's Experimente wiederholte, beſtritt dieſes Reſultat. So waren die Verſuche beſchaffen, auf welche ſich Franz Joſeph Schelver, Profeſſor der Medicin in Heidelberg, in ſeiner „Kritik der Lehre von dem Geſchlecht der Pflanzen“ 1812 berief. Es iſt nicht nöthig, ausführlich auf dieſes wunderliche Product eines irre geleiteten Verſtandes näher einzugehen, wenn auch immerhin bis in die zwanziger Jahre hinein eine beträchtliche Zahl deutſcher Botaniker den Unſinn für tiefe Weisheit nahm. Die Unterſuchungen des Camerarius erledigte Schelver mit vier Zeilen; als den wichtigſten Autor aber empfahl er Spal- lanzani, während Koelreuter hochmüthig abgefertigt wurde. Die Erfahrungen dieſer Männer, ſagte er, ſind richtig, aber die Befruchtung beweiſen ſie nicht. Ihm kommt es vielmehr darauf an, die Frage aus der Natur des vegetativen Lebens zu ent- ſcheiden; aus dieſer von ihm ſelbſt conſtruirten Natur aber folgert er, daß die Pflanzenorgane überhaupt keinen Nutzen haben, daß ſie noch nicht den Trieb haben können, einander zu nutzen und in Gemeinſchaft das Leben fortzuzeugen, weil dieſes eine Ziel des Wirkens nur da lebendig werden kann, wo alle

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/470>, abgerufen am 25.11.2024.