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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.
Staub, der sich oben in der Blume erzeugt, so zweifle noch gar
sehr, ob die Sache auch ihre Richtigkeit hat und mit der Er-
fahrung übereinstimmen wird. Es entsteht aber nun die Haupt-
frage, woher die kleinen Pflänzchen in den Saft kommen: weil
sie nicht bloß eine äußerliche Figur, sondern auch eine innerliche
Struktur haben, so sieht man nicht, wie sie entweder durch bloße
innere Bewegung des Saftes oder durch Absonderung gewisser
Theile entstehen können. -- Und dieses ist allerdings glaublicher,
daß die kleinen Pflänzlein schon im Kleinen vorhanden gewesen,
ehe sie in dem Saft und der Pflanze durch einige Veränderung
in den Zustand gesetzt worden, wie sie im Samen und den
Augen anzutreffen. Allein es ist nun ferner die Frage, wo sie
denn vorher gewesen. Sie stecken demnach entweder in einer
kleinen Gestalt in einander, wie in Sonderheit Malebranche
behauptet oder werden aus der Luft und Erde mit dem Nahr-
ungssaft in die Pflanze gebracht, wie Honoratus Fabri vor-
gegeben und Perrault und Sturm nach ihm weiter ausge-
führt. Nach der ersten Meinung muß das erste Samenkörnlein
Alles in sich enthalten haben, was bis auf diese Stunde daraus
gewachsen ist." Diese Zumuthung geht jedoch selbst über Wolff's
Glauben hinaus; denn, sagt er, es mache der Einbildungskraft viel
zu schaffen, wie man sich diese Einschachtelung der Keime denken
solle. Es ist bekannt, daß derartige Vorstellungen im 18. Jahr-
hundert sehr verbreitet waren, und daß man die Spermatozoiden
der Thiere für eine wichtige Stütze derselben hielt; selbst Albert
Haller war noch in den sechziger Jahren Anhänger der Evo-
lutionstheorie. So confus auch der Gedankengang Wolff's im
Uebrigen ist, verdient doch die Hervorhebung des Gedankens
Beachtung, daß bei der Annahme der Evolution die sexuelle
Bedeutung der Staubgefäße eigentlich wegfällt. Wir werden
unten sehen, wie Koelreuter in ganz anderer Weise die Natur
der geschlechtlichen Fortpflanzung aufzufassen wußte. Ueberhaupt
wird die für die Sexualtheorie epochemachende Bedeutung Koel-
reuter's erst dann recht verstanden, wenn wir die theoretischen
Ansichten seiner Vorgänger und Zeitgenossen betrachten. Es wird

Geſchichte der Sexualtheorie.
Staub, der ſich oben in der Blume erzeugt, ſo zweifle noch gar
ſehr, ob die Sache auch ihre Richtigkeit hat und mit der Er-
fahrung übereinſtimmen wird. Es entſteht aber nun die Haupt-
frage, woher die kleinen Pflänzchen in den Saft kommen: weil
ſie nicht bloß eine äußerliche Figur, ſondern auch eine innerliche
Struktur haben, ſo ſieht man nicht, wie ſie entweder durch bloße
innere Bewegung des Saftes oder durch Abſonderung gewiſſer
Theile entſtehen können. — Und dieſes iſt allerdings glaublicher,
daß die kleinen Pflänzlein ſchon im Kleinen vorhanden geweſen,
ehe ſie in dem Saft und der Pflanze durch einige Veränderung
in den Zuſtand geſetzt worden, wie ſie im Samen und den
Augen anzutreffen. Allein es iſt nun ferner die Frage, wo ſie
denn vorher geweſen. Sie ſtecken demnach entweder in einer
kleinen Geſtalt in einander, wie in Sonderheit Malebranche
behauptet oder werden aus der Luft und Erde mit dem Nahr-
ungsſaft in die Pflanze gebracht, wie Honoratus Fabri vor-
gegeben und Perrault und Sturm nach ihm weiter ausge-
führt. Nach der erſten Meinung muß das erſte Samenkörnlein
Alles in ſich enthalten haben, was bis auf dieſe Stunde daraus
gewachſen iſt.“ Dieſe Zumuthung geht jedoch ſelbſt über Wolff's
Glauben hinaus; denn, ſagt er, es mache der Einbildungskraft viel
zu ſchaffen, wie man ſich dieſe Einſchachtelung der Keime denken
ſolle. Es iſt bekannt, daß derartige Vorſtellungen im 18. Jahr-
hundert ſehr verbreitet waren, und daß man die Spermatozoiden
der Thiere für eine wichtige Stütze derſelben hielt; ſelbſt Albert
Haller war noch in den ſechziger Jahren Anhänger der Evo-
lutionstheorie. So confus auch der Gedankengang Wolff's im
Uebrigen iſt, verdient doch die Hervorhebung des Gedankens
Beachtung, daß bei der Annahme der Evolution die ſexuelle
Bedeutung der Staubgefäße eigentlich wegfällt. Wir werden
unten ſehen, wie Koelreuter in ganz anderer Weiſe die Natur
der geſchlechtlichen Fortpflanzung aufzufaſſen wußte. Ueberhaupt
wird die für die Sexualtheorie epochemachende Bedeutung Koel-
reuter's erſt dann recht verſtanden, wenn wir die theoretiſchen
Anſichten ſeiner Vorgänger und Zeitgenoſſen betrachten. Es wird

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[436/0448] Geſchichte der Sexualtheorie. Staub, der ſich oben in der Blume erzeugt, ſo zweifle noch gar ſehr, ob die Sache auch ihre Richtigkeit hat und mit der Er- fahrung übereinſtimmen wird. Es entſteht aber nun die Haupt- frage, woher die kleinen Pflänzchen in den Saft kommen: weil ſie nicht bloß eine äußerliche Figur, ſondern auch eine innerliche Struktur haben, ſo ſieht man nicht, wie ſie entweder durch bloße innere Bewegung des Saftes oder durch Abſonderung gewiſſer Theile entſtehen können. — Und dieſes iſt allerdings glaublicher, daß die kleinen Pflänzlein ſchon im Kleinen vorhanden geweſen, ehe ſie in dem Saft und der Pflanze durch einige Veränderung in den Zuſtand geſetzt worden, wie ſie im Samen und den Augen anzutreffen. Allein es iſt nun ferner die Frage, wo ſie denn vorher geweſen. Sie ſtecken demnach entweder in einer kleinen Geſtalt in einander, wie in Sonderheit Malebranche behauptet oder werden aus der Luft und Erde mit dem Nahr- ungsſaft in die Pflanze gebracht, wie Honoratus Fabri vor- gegeben und Perrault und Sturm nach ihm weiter ausge- führt. Nach der erſten Meinung muß das erſte Samenkörnlein Alles in ſich enthalten haben, was bis auf dieſe Stunde daraus gewachſen iſt.“ Dieſe Zumuthung geht jedoch ſelbſt über Wolff's Glauben hinaus; denn, ſagt er, es mache der Einbildungskraft viel zu ſchaffen, wie man ſich dieſe Einſchachtelung der Keime denken ſolle. Es iſt bekannt, daß derartige Vorſtellungen im 18. Jahr- hundert ſehr verbreitet waren, und daß man die Spermatozoiden der Thiere für eine wichtige Stütze derſelben hielt; ſelbſt Albert Haller war noch in den ſechziger Jahren Anhänger der Evo- lutionstheorie. So confus auch der Gedankengang Wolff's im Uebrigen iſt, verdient doch die Hervorhebung des Gedankens Beachtung, daß bei der Annahme der Evolution die ſexuelle Bedeutung der Staubgefäße eigentlich wegfällt. Wir werden unten ſehen, wie Koelreuter in ganz anderer Weiſe die Natur der geſchlechtlichen Fortpflanzung aufzufaſſen wußte. Ueberhaupt wird die für die Sexualtheorie epochemachende Bedeutung Koel- reuter's erſt dann recht verſtanden, wenn wir die theoretiſchen Anſichten ſeiner Vorgänger und Zeitgenoſſen betrachten. Es wird

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/448>, abgerufen am 23.11.2024.