Verbreitung der neuen Lehre ihre Anhänger und Gegner.
4. Evolutionstheorie und Epigenesis.
Dem Einfluß der Evolutionstheorie auf die Befruchtungs- lehre der Pflanzen begegneten wir schon oben bei Morland und Geoffroy. Ausführlicheres erfahren wir darüber in dem schon früher genannten Werk des Philosophen Christian Wolff "Ver- nünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur" (Magde- burg 1723), dessen betreffende Aeußerungen ich hier auch deßhalb citire, um zu zeigen, was selbst ein so gebildeter und belesener Mann im Vaterlande des Camerarius und 30 Jahre nach dessen Schrift über die Sexualität der Pflanzen wußte. Im 2. Capitel des 4. Theils, welches über Leben, Tod und Er- zeugung der Pflanzen handelt, sagt Wolff: "Ordentlicher Weise werden die Pflanzen aus Samen erzeugt, denn der Same ent- hält nicht allein die Pflänzlein im Kleinen in sich, sondern auch zugleich die erste Nahrung." Ebenso natürlich sei die Fort- pflanzung durch Augen, deren jedes einen Zweig im Kleinen enthält. "Man findet in der Blüthe inwendig allerlei Stengel rings herum, daran oben Etwas zu sehen so ganz staubig ist und den Staub auf den obern Theil des Behältnisses von den Samen fallen läßt, das einige mit dem Geburtsglied der Thiere und den Staub mit dem männlichen Samen vergleichen. Nach ihrer Meinung wird der Same durch den Staub fruchtbar ge- macht und müssen demnach die kleinen Pflänzlein durch den Staub in das Samenbehältniß und darinnen in den Samen gebracht werden. Ich habe mir zwar vorgenommen gehabt, die Sache zu untersuchen, allein ich habe es immer wieder vergessen." -- -- -- "Da Dieses Alles, was bisher beigebracht worden, auch bei den Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wachsen, und gleichwohl gewiß ist, daß die Blätter der Zwiebeln folgends auch Pflänzlein in sich haben -- -- -- so sieht man leicht, daß die jungen Pflänzlein (Embryonen) aus den Blättern der Zwie- beln kommen müssen. Weil sie nun daraus so leicht mit dem Safte in die Samenkörnlein können gebracht werden, als in den
28*
Verbreitung der neuen Lehre ihre Anhänger und Gegner.
4. Evolutionstheorie und Epigeneſis.
Dem Einfluß der Evolutionstheorie auf die Befruchtungs- lehre der Pflanzen begegneten wir ſchon oben bei Morland und Geoffroy. Ausführlicheres erfahren wir darüber in dem ſchon früher genannten Werk des Philoſophen Chriſtian Wolff „Ver- nünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur“ (Magde- burg 1723), deſſen betreffende Aeußerungen ich hier auch deßhalb citire, um zu zeigen, was ſelbſt ein ſo gebildeter und beleſener Mann im Vaterlande des Camerarius und 30 Jahre nach deſſen Schrift über die Sexualität der Pflanzen wußte. Im 2. Capitel des 4. Theils, welches über Leben, Tod und Er- zeugung der Pflanzen handelt, ſagt Wolff: „Ordentlicher Weiſe werden die Pflanzen aus Samen erzeugt, denn der Same ent- hält nicht allein die Pflänzlein im Kleinen in ſich, ſondern auch zugleich die erſte Nahrung.“ Ebenſo natürlich ſei die Fort- pflanzung durch Augen, deren jedes einen Zweig im Kleinen enthält. „Man findet in der Blüthe inwendig allerlei Stengel rings herum, daran oben Etwas zu ſehen ſo ganz ſtaubig iſt und den Staub auf den obern Theil des Behältniſſes von den Samen fallen läßt, das einige mit dem Geburtsglied der Thiere und den Staub mit dem männlichen Samen vergleichen. Nach ihrer Meinung wird der Same durch den Staub fruchtbar ge- macht und müſſen demnach die kleinen Pflänzlein durch den Staub in das Samenbehältniß und darinnen in den Samen gebracht werden. Ich habe mir zwar vorgenommen gehabt, die Sache zu unterſuchen, allein ich habe es immer wieder vergeſſen.“ — — — „Da Dieſes Alles, was bisher beigebracht worden, auch bei den Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wachſen, und gleichwohl gewiß iſt, daß die Blätter der Zwiebeln folgends auch Pflänzlein in ſich haben — — — ſo ſieht man leicht, daß die jungen Pflänzlein (Embryonen) aus den Blättern der Zwie- beln kommen müſſen. Weil ſie nun daraus ſo leicht mit dem Safte in die Samenkörnlein können gebracht werden, als in den
28*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0447"n="435"/><fwplace="top"type="header">Verbreitung der neuen Lehre ihre Anhänger und Gegner.</fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#c">4.<lb/><hirendition="#b">Evolutionstheorie und Epigeneſis.</hi></hi></head><lb/><p>Dem Einfluß der Evolutionstheorie auf die Befruchtungs-<lb/>
lehre der Pflanzen begegneten wir ſchon oben bei Morland und<lb/>
Geoffroy. Ausführlicheres erfahren wir darüber in dem ſchon<lb/>
früher genannten Werk des Philoſophen Chriſtian <hirendition="#g">Wolff</hi>„Ver-<lb/>
nünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur“ (Magde-<lb/>
burg 1723), deſſen betreffende Aeußerungen ich hier auch deßhalb<lb/>
citire, um zu zeigen, was ſelbſt ein ſo gebildeter und beleſener<lb/>
Mann im Vaterlande des <hirendition="#g">Camerarius</hi> und 30 Jahre nach<lb/>
deſſen Schrift über die Sexualität der Pflanzen wußte. Im<lb/>
2. Capitel des 4. Theils, welches über Leben, Tod und Er-<lb/>
zeugung der Pflanzen handelt, ſagt Wolff: „Ordentlicher Weiſe<lb/>
werden die Pflanzen aus Samen erzeugt, denn der Same ent-<lb/>
hält nicht allein die Pflänzlein im Kleinen in ſich, ſondern auch<lb/>
zugleich die erſte Nahrung.“ Ebenſo natürlich ſei die Fort-<lb/>
pflanzung durch Augen, deren jedes einen Zweig im Kleinen<lb/>
enthält. „Man findet in der Blüthe inwendig allerlei Stengel<lb/>
rings herum, daran oben Etwas zu ſehen ſo ganz ſtaubig iſt<lb/>
und den Staub auf den obern Theil des Behältniſſes von den<lb/>
Samen fallen läßt, das einige mit dem Geburtsglied der Thiere<lb/>
und den Staub mit dem männlichen Samen vergleichen. Nach<lb/>
ihrer Meinung wird der Same durch den Staub fruchtbar ge-<lb/>
macht und müſſen demnach die kleinen Pflänzlein durch den Staub<lb/>
in das Samenbehältniß und darinnen in den Samen gebracht<lb/>
werden. Ich habe mir zwar vorgenommen gehabt, die Sache<lb/>
zu unterſuchen, allein ich habe es immer wieder vergeſſen.“—<lb/>——„Da Dieſes Alles, was bisher beigebracht worden, auch<lb/>
bei den Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wachſen, und<lb/>
gleichwohl gewiß iſt, daß die Blätter der Zwiebeln folgends<lb/>
auch Pflänzlein in ſich haben ———ſo ſieht man leicht, daß<lb/>
die jungen Pflänzlein (Embryonen) aus den Blättern der Zwie-<lb/>
beln kommen müſſen. Weil ſie nun daraus ſo leicht mit dem<lb/>
Safte in die Samenkörnlein können gebracht werden, als in den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">28*</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[435/0447]
Verbreitung der neuen Lehre ihre Anhänger und Gegner.
4.
Evolutionstheorie und Epigeneſis.
Dem Einfluß der Evolutionstheorie auf die Befruchtungs-
lehre der Pflanzen begegneten wir ſchon oben bei Morland und
Geoffroy. Ausführlicheres erfahren wir darüber in dem ſchon
früher genannten Werk des Philoſophen Chriſtian Wolff „Ver-
nünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur“ (Magde-
burg 1723), deſſen betreffende Aeußerungen ich hier auch deßhalb
citire, um zu zeigen, was ſelbſt ein ſo gebildeter und beleſener
Mann im Vaterlande des Camerarius und 30 Jahre nach
deſſen Schrift über die Sexualität der Pflanzen wußte. Im
2. Capitel des 4. Theils, welches über Leben, Tod und Er-
zeugung der Pflanzen handelt, ſagt Wolff: „Ordentlicher Weiſe
werden die Pflanzen aus Samen erzeugt, denn der Same ent-
hält nicht allein die Pflänzlein im Kleinen in ſich, ſondern auch
zugleich die erſte Nahrung.“ Ebenſo natürlich ſei die Fort-
pflanzung durch Augen, deren jedes einen Zweig im Kleinen
enthält. „Man findet in der Blüthe inwendig allerlei Stengel
rings herum, daran oben Etwas zu ſehen ſo ganz ſtaubig iſt
und den Staub auf den obern Theil des Behältniſſes von den
Samen fallen läßt, das einige mit dem Geburtsglied der Thiere
und den Staub mit dem männlichen Samen vergleichen. Nach
ihrer Meinung wird der Same durch den Staub fruchtbar ge-
macht und müſſen demnach die kleinen Pflänzlein durch den Staub
in das Samenbehältniß und darinnen in den Samen gebracht
werden. Ich habe mir zwar vorgenommen gehabt, die Sache
zu unterſuchen, allein ich habe es immer wieder vergeſſen.“ —
— — „Da Dieſes Alles, was bisher beigebracht worden, auch
bei den Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wachſen, und
gleichwohl gewiß iſt, daß die Blätter der Zwiebeln folgends
auch Pflänzlein in ſich haben — — — ſo ſieht man leicht, daß
die jungen Pflänzlein (Embryonen) aus den Blättern der Zwie-
beln kommen müſſen. Weil ſie nun daraus ſo leicht mit dem
Safte in die Samenkörnlein können gebracht werden, als in den
28*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/447>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.