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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie
Geltung zu bringen suchte, erkennt man an den starken Aus-
drücken, welche er braucht, um zu zeigen, daß bei den Diöcisten
der Unterschied von männlicher und weiblicher Pflanze nicht bloß
bildlich zu verstehen sei. Sowie bei den Thieren entstehe auch
bei den Pflanzen der neue Fötus, das im Samen enthaltene
Pflänzchen, erst nach dem Abblühen innerhalb der Samenhaut.
Bezeichnend ist es dabei für die in jener Zeit noch immer gel-
tende Autorität der Alten, daß Camerarius es für nöthig
hält, ausdrücklich hervorzuheben, daß die Ansichten des Ari-
stoteles, Empedokles und Theophrast seiner eigenen
Sexualtheorie nicht im Wege stehen. Der ächte Naturforscher
und kritische Geist macht sich aber darin bei Camerarius
geltend, daß er den für die Thiere schon damals erhobenen
Streit, ob das Ei oder das Spermatozoid (vermis) den Fötus
erzeuge, auf sich beruhen läßt, da es einstweilen nur darauf an-
komme, die sexuelle Differenz zu konstatiren, aber nicht die Art
der Zeugung; wünschenswerth sei ihm allerdings, daß man unter-
suche, was die Pollenkörner enthalten, wie weit sie in die weib-
lichen Theile eindringen, ob sie unverletzt bis zu den empfangen-
den Samen vorrücken, oder was sie entlassen, wenn sie etwa
vorher zerspringen. Den Verdiensten Grew's um die Kenntniß
des Pollens und seiner Bedeutung läßt er volle Gerechtigkeit
widerfahren.

Dem naturwissenschaftlichen Sinn des Camerarius macht
es alle Ehre, daß er selbst eine Reihe von Einwänden gegen
seine Sexualtheorie hervorhebt; zu diesen gehört, daß die Lyco-
podien und Equiseten aus ihrem Staub, wie er glaubt, keine
jungen Pflanzen erzeugen; er vermuthete daher, daß ihnen die Samen
fehlen. Es ist aber zu beachten, daß die Keimung der Equi-
seten und Lycopodien überhaupt erst in unserem Jahr-
hundert beobachtet worden ist. Ein für jene Zeit wichtigerer
Einwand lag darin, daß ein dritter Kolben einer kastrirten Mais-
pflanze elf befruchtete Samen enthielt, über deren Entstehung
er keine Rechenschaft zu geben wußte. Noch ärgerlicher war ihm,
daß drei aus dem Feld genommene Hanfpflanzen, im Garten

Geſchichte der Sexualtheorie
Geltung zu bringen ſuchte, erkennt man an den ſtarken Aus-
drücken, welche er braucht, um zu zeigen, daß bei den Diöciſten
der Unterſchied von männlicher und weiblicher Pflanze nicht bloß
bildlich zu verſtehen ſei. Sowie bei den Thieren entſtehe auch
bei den Pflanzen der neue Fötus, das im Samen enthaltene
Pflänzchen, erſt nach dem Abblühen innerhalb der Samenhaut.
Bezeichnend iſt es dabei für die in jener Zeit noch immer gel-
tende Autorität der Alten, daß Camerarius es für nöthig
hält, ausdrücklich hervorzuheben, daß die Anſichten des Ari-
ſtoteles, Empedokles und Theophraſt ſeiner eigenen
Sexualtheorie nicht im Wege ſtehen. Der ächte Naturforſcher
und kritiſche Geiſt macht ſich aber darin bei Camerarius
geltend, daß er den für die Thiere ſchon damals erhobenen
Streit, ob das Ei oder das Spermatozoid (vermis) den Fötus
erzeuge, auf ſich beruhen läßt, da es einſtweilen nur darauf an-
komme, die ſexuelle Differenz zu konſtatiren, aber nicht die Art
der Zeugung; wünſchenswerth ſei ihm allerdings, daß man unter-
ſuche, was die Pollenkörner enthalten, wie weit ſie in die weib-
lichen Theile eindringen, ob ſie unverletzt bis zu den empfangen-
den Samen vorrücken, oder was ſie entlaſſen, wenn ſie etwa
vorher zerſpringen. Den Verdienſten Grew's um die Kenntniß
des Pollens und ſeiner Bedeutung läßt er volle Gerechtigkeit
widerfahren.

Dem naturwiſſenſchaftlichen Sinn des Camerarius macht
es alle Ehre, daß er ſelbſt eine Reihe von Einwänden gegen
ſeine Sexualtheorie hervorhebt; zu dieſen gehört, daß die Lyco-
podien und Equiſeten aus ihrem Staub, wie er glaubt, keine
jungen Pflanzen erzeugen; er vermuthete daher, daß ihnen die Samen
fehlen. Es iſt aber zu beachten, daß die Keimung der Equi-
ſeten und Lycopodien überhaupt erſt in unſerem Jahr-
hundert beobachtet worden iſt. Ein für jene Zeit wichtigerer
Einwand lag darin, daß ein dritter Kolben einer kaſtrirten Mais-
pflanze elf befruchtete Samen enthielt, über deren Entſtehung
er keine Rechenſchaft zu geben wußte. Noch ärgerlicher war ihm,
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[420/0432] Geſchichte der Sexualtheorie Geltung zu bringen ſuchte, erkennt man an den ſtarken Aus- drücken, welche er braucht, um zu zeigen, daß bei den Diöciſten der Unterſchied von männlicher und weiblicher Pflanze nicht bloß bildlich zu verſtehen ſei. Sowie bei den Thieren entſtehe auch bei den Pflanzen der neue Fötus, das im Samen enthaltene Pflänzchen, erſt nach dem Abblühen innerhalb der Samenhaut. Bezeichnend iſt es dabei für die in jener Zeit noch immer gel- tende Autorität der Alten, daß Camerarius es für nöthig hält, ausdrücklich hervorzuheben, daß die Anſichten des Ari- ſtoteles, Empedokles und Theophraſt ſeiner eigenen Sexualtheorie nicht im Wege ſtehen. Der ächte Naturforſcher und kritiſche Geiſt macht ſich aber darin bei Camerarius geltend, daß er den für die Thiere ſchon damals erhobenen Streit, ob das Ei oder das Spermatozoid (vermis) den Fötus erzeuge, auf ſich beruhen läßt, da es einſtweilen nur darauf an- komme, die ſexuelle Differenz zu konſtatiren, aber nicht die Art der Zeugung; wünſchenswerth ſei ihm allerdings, daß man unter- ſuche, was die Pollenkörner enthalten, wie weit ſie in die weib- lichen Theile eindringen, ob ſie unverletzt bis zu den empfangen- den Samen vorrücken, oder was ſie entlaſſen, wenn ſie etwa vorher zerſpringen. Den Verdienſten Grew's um die Kenntniß des Pollens und ſeiner Bedeutung läßt er volle Gerechtigkeit widerfahren. Dem naturwiſſenſchaftlichen Sinn des Camerarius macht es alle Ehre, daß er ſelbſt eine Reihe von Einwänden gegen ſeine Sexualtheorie hervorhebt; zu dieſen gehört, daß die Lyco- podien und Equiſeten aus ihrem Staub, wie er glaubt, keine jungen Pflanzen erzeugen; er vermuthete daher, daß ihnen die Samen fehlen. Es iſt aber zu beachten, daß die Keimung der Equi- ſeten und Lycopodien überhaupt erſt in unſerem Jahr- hundert beobachtet worden iſt. Ein für jene Zeit wichtigerer Einwand lag darin, daß ein dritter Kolben einer kaſtrirten Mais- pflanze elf befruchtete Samen enthielt, über deren Entſtehung er keine Rechenſchaft zu geben wußte. Noch ärgerlicher war ihm, daß drei aus dem Feld genommene Hanfpflanzen, im Garten

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/432>, abgerufen am 27.11.2024.