Das Hauptwerk des Camerarius über die Sexualität der Pflanzen ist jedoch seine vielgenannte, aber wie es scheint, von sehr Wenigen gelesene De sexu plantarum expistola, die er am 25. August 1694 an Valentin Professor in Gießen richtete. Dieser Brief ist das Umfangreichste, was bis dahin und selbst bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts über die Sexualität der Pflanzen geschrieben wurde; er enthält aber auch das bei Weitem Gründlichste in dieser Richtung vor Koelreuter. Die Darstellungsweise weicht sehr zu ihrem Vortheil von der jener Zeit weit ab und ist durchaus im modern naturwissenschaftlichen Sinn gehalten: eine vollständige Kenntniß der einschlägigen Li- teratur wird hier mit sorgfältiger Kritik gehandhabt; der Blüthen- bau klarer als jemals vorher und lange nach ihm dargestellt und zwar ausdrücklich in der Absicht, den Sinn seiner Experi- mente über die Sexualität verständlich zu machen. Man sieht es der ganzen Haltung des Briefes an, daß Camerarius von der außerordentlichen Wichtigkeit der Frage durchdrungen war und daß es ihm darauf ankam, die Existenz der Sexualität auf jede mögliche Weise festzustellen.
Nach der ausführlichen Betrachtung der Blüthentheile, der Antheren mit ihrem Pollen, des Verhaltens der befruchteten und unbefruchteten Samenanlagen, der Erscheinungen an gefüllten Blumen u. dgl., woraus er mit vieler Umsicht die Bedeutung der Antheren (apices) ableitet, geht er nun zum directen Be- weis über: "In der zweiten Abtheilung von Pflanzen sagt er, bei welcher die männlichen Blüthen von den weiblichen auf der- selben Pflanze getrennt sind, habe ich auch zwei Beispiele davon kennen gelernt, welch' schlimme Wirkung die Entfernung der Antheren ausübt. Als ich nämlich zunächst von dem Ricinus die männlichen Blüthen (globulos), bevor die Antheren sich aus- breiteten, wegnahm und das Auftreten jüngerer verhinderte, während ich zugleich die vorhandenen Fruchtstände schonte, erhielt ich niemals vollständigen Samen, sondern ich sah leere Blasen, welche endlich erschöpft und vertrocknet zu Grunde gingen. Ebenso wurden von dem Mais die bereits herabhängenden Narben
Geſchichte der Sexualtheorie.
Das Hauptwerk des Camerarius über die Sexualität der Pflanzen iſt jedoch ſeine vielgenannte, aber wie es ſcheint, von ſehr Wenigen geleſene De sexu plantarum expistola, die er am 25. Auguſt 1694 an Valentin Profeſſor in Gießen richtete. Dieſer Brief iſt das Umfangreichſte, was bis dahin und ſelbſt bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts über die Sexualität der Pflanzen geſchrieben wurde; er enthält aber auch das bei Weitem Gründlichſte in dieſer Richtung vor Koelreuter. Die Darſtellungsweiſe weicht ſehr zu ihrem Vortheil von der jener Zeit weit ab und iſt durchaus im modern naturwiſſenſchaftlichen Sinn gehalten: eine vollſtändige Kenntniß der einſchlägigen Li- teratur wird hier mit ſorgfältiger Kritik gehandhabt; der Blüthen- bau klarer als jemals vorher und lange nach ihm dargeſtellt und zwar ausdrücklich in der Abſicht, den Sinn ſeiner Experi- mente über die Sexualität verſtändlich zu machen. Man ſieht es der ganzen Haltung des Briefes an, daß Camerarius von der außerordentlichen Wichtigkeit der Frage durchdrungen war und daß es ihm darauf ankam, die Exiſtenz der Sexualität auf jede mögliche Weiſe feſtzuſtellen.
Nach der ausführlichen Betrachtung der Blüthentheile, der Antheren mit ihrem Pollen, des Verhaltens der befruchteten und unbefruchteten Samenanlagen, der Erſcheinungen an gefüllten Blumen u. dgl., woraus er mit vieler Umſicht die Bedeutung der Antheren (apices) ableitet, geht er nun zum directen Be- weis über: „In der zweiten Abtheilung von Pflanzen ſagt er, bei welcher die männlichen Blüthen von den weiblichen auf der- ſelben Pflanze getrennt ſind, habe ich auch zwei Beiſpiele davon kennen gelernt, welch' ſchlimme Wirkung die Entfernung der Antheren ausübt. Als ich nämlich zunächſt von dem Ricinus die männlichen Blüthen (globulos), bevor die Antheren ſich aus- breiteten, wegnahm und das Auftreten jüngerer verhinderte, während ich zugleich die vorhandenen Fruchtſtände ſchonte, erhielt ich niemals vollſtändigen Samen, ſondern ich ſah leere Blaſen, welche endlich erſchöpft und vertrocknet zu Grunde gingen. Ebenſo wurden von dem Mais die bereits herabhängenden Narben
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Geſchichte der Sexualtheorie.
Das Hauptwerk des Camerarius über die Sexualität der
Pflanzen iſt jedoch ſeine vielgenannte, aber wie es ſcheint, von
ſehr Wenigen geleſene De sexu plantarum expistola, die er
am 25. Auguſt 1694 an Valentin Profeſſor in Gießen richtete.
Dieſer Brief iſt das Umfangreichſte, was bis dahin und ſelbſt
bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts über die Sexualität
der Pflanzen geſchrieben wurde; er enthält aber auch das bei
Weitem Gründlichſte in dieſer Richtung vor Koelreuter. Die
Darſtellungsweiſe weicht ſehr zu ihrem Vortheil von der jener
Zeit weit ab und iſt durchaus im modern naturwiſſenſchaftlichen
Sinn gehalten: eine vollſtändige Kenntniß der einſchlägigen Li-
teratur wird hier mit ſorgfältiger Kritik gehandhabt; der Blüthen-
bau klarer als jemals vorher und lange nach ihm dargeſtellt
und zwar ausdrücklich in der Abſicht, den Sinn ſeiner Experi-
mente über die Sexualität verſtändlich zu machen. Man ſieht
es der ganzen Haltung des Briefes an, daß Camerarius
von der außerordentlichen Wichtigkeit der Frage durchdrungen
war und daß es ihm darauf ankam, die Exiſtenz der Sexualität
auf jede mögliche Weiſe feſtzuſtellen.
Nach der ausführlichen Betrachtung der Blüthentheile, der
Antheren mit ihrem Pollen, des Verhaltens der befruchteten und
unbefruchteten Samenanlagen, der Erſcheinungen an gefüllten
Blumen u. dgl., woraus er mit vieler Umſicht die Bedeutung
der Antheren (apices) ableitet, geht er nun zum directen Be-
weis über: „In der zweiten Abtheilung von Pflanzen ſagt er,
bei welcher die männlichen Blüthen von den weiblichen auf der-
ſelben Pflanze getrennt ſind, habe ich auch zwei Beiſpiele davon
kennen gelernt, welch' ſchlimme Wirkung die Entfernung der
Antheren ausübt. Als ich nämlich zunächſt von dem Ricinus
die männlichen Blüthen (globulos), bevor die Antheren ſich aus-
breiteten, wegnahm und das Auftreten jüngerer verhinderte,
während ich zugleich die vorhandenen Fruchtſtände ſchonte, erhielt
ich niemals vollſtändigen Samen, ſondern ich ſah leere Blaſen,
welche endlich erſchöpft und vertrocknet zu Grunde gingen.
Ebenſo wurden von dem Mais die bereits herabhängenden Narben
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/430>, abgerufen am 27.11.2024.
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