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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Einleitung.
die Vegetationserscheinungen einfach aus physikalischen und chemi-
schen Lehren ableiten könnte. Das wäre ja vielleicht möglich,
wenn Physik und Chemie auf ihren Gebieten keine Frage mehr
zu lösen hätten; thatsächlich aber sind beide von diesem Ziel
noch ebensoweit entfernt, wie die Pflanzenphysiologie von dem
ihrigen. Es ist ja gewiß, daß die heutige Pflanzenphysiologie
ohne die heutige Physik und Chemie undenkbar wäre, daß ebenso
die erstere auch früher auf den jeweiligen Stand der Physik und
Chemie sich stützen mußte, wenn es darauf ankam, schon con-
statirte Vegetationserscheinungen als Wirkungen bekannter Ursachen
aufzufassen. Ebenso gewiß aber ist, daß alle Fortschritte, welche
Physik und Chemie bisher gemacht haben, für sich allein keine
Pflanzenphysiologie hervorgebracht haben würden, auch nicht in
Verbindung mit der Phytotomie; die Geschichte zeigt, daß man
im 17. und 18. Jahrhundert schon eine Reihe von Lebenser-
scheinungen der Pflanzen kennen gelernt hatte, zu einer Zeit, wo
die Physik und Chemie selbst noch wenig zu bieten hatten und
gänzlich außer Stande waren, den Physiologen irgend welche
Erklärungsgründe darzubieten. Die wahre Grundlage aller
Physiologie ist eben die unmittelbare Beobachtung der Lebens-
erscheinungen selbst, welche durch Experimente hervorgerufen oder
verändert, erst in ihrem Zusammenhang studirt werden müssen,
bevor man daran denken kann, sie auf physikalische und chemische
Ursachen zurückzuführen. Es ist daher wohl möglich, daß die
Pflanzenphysiologie einen gewissen Grad von Ausbildung erreicht,
auch ohne physikalische und chemische Erklärung der Vegetations-
erscheinungen, ja sogar trotz irrthümlicher Theorieen auf diesen
Gebieten. Was Malpighi, Hales, zum Theil Du Hamel
leisteten, war doch gewiß Pflanzenphysiologie und zwar bessere,
als manche Neuere glauben; was sie aber wußten, hatten sie
aus Beobachtungen an der lebenden Pflanze, und keineswegs
aus den chemischen und physikalischen Theorieen ihrer Zeit ab-
geleitet. Selbst die Feststellung der wichtigen Thatsache, daß
die grünen Blätter allein im Stande sind, solche Nahrungsstoffe
zu bilden, welche geeignet sind, das Wachsthum und die Bildung

Einleitung.
die Vegetationserſcheinungen einfach aus phyſikaliſchen und chemi-
ſchen Lehren ableiten könnte. Das wäre ja vielleicht möglich,
wenn Phyſik und Chemie auf ihren Gebieten keine Frage mehr
zu löſen hätten; thatſächlich aber ſind beide von dieſem Ziel
noch ebenſoweit entfernt, wie die Pflanzenphyſiologie von dem
ihrigen. Es iſt ja gewiß, daß die heutige Pflanzenphyſiologie
ohne die heutige Phyſik und Chemie undenkbar wäre, daß ebenſo
die erſtere auch früher auf den jeweiligen Stand der Phyſik und
Chemie ſich ſtützen mußte, wenn es darauf ankam, ſchon con-
ſtatirte Vegetationserſcheinungen als Wirkungen bekannter Urſachen
aufzufaſſen. Ebenſo gewiß aber iſt, daß alle Fortſchritte, welche
Phyſik und Chemie bisher gemacht haben, für ſich allein keine
Pflanzenphyſiologie hervorgebracht haben würden, auch nicht in
Verbindung mit der Phytotomie; die Geſchichte zeigt, daß man
im 17. und 18. Jahrhundert ſchon eine Reihe von Lebenser-
ſcheinungen der Pflanzen kennen gelernt hatte, zu einer Zeit, wo
die Phyſik und Chemie ſelbſt noch wenig zu bieten hatten und
gänzlich außer Stande waren, den Phyſiologen irgend welche
Erklärungsgründe darzubieten. Die wahre Grundlage aller
Phyſiologie iſt eben die unmittelbare Beobachtung der Lebens-
erſcheinungen ſelbſt, welche durch Experimente hervorgerufen oder
verändert, erſt in ihrem Zuſammenhang ſtudirt werden müſſen,
bevor man daran denken kann, ſie auf phyſikaliſche und chemiſche
Urſachen zurückzuführen. Es iſt daher wohl möglich, daß die
Pflanzenphyſiologie einen gewiſſen Grad von Ausbildung erreicht,
auch ohne phyſikaliſche und chemiſche Erklärung der Vegetations-
erſcheinungen, ja ſogar trotz irrthümlicher Theorieen auf dieſen
Gebieten. Was Malpighi, Hales, zum Theil Du Hamel
leiſteten, war doch gewiß Pflanzenphyſiologie und zwar beſſere,
als manche Neuere glauben; was ſie aber wußten, hatten ſie
aus Beobachtungen an der lebenden Pflanze, und keineswegs
aus den chemiſchen und phyſikaliſchen Theorieen ihrer Zeit ab-
geleitet. Selbſt die Feſtſtellung der wichtigen Thatſache, daß
die grünen Blätter allein im Stande ſind, ſolche Nahrungsſtoffe
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[394/0406] Einleitung. die Vegetationserſcheinungen einfach aus phyſikaliſchen und chemi- ſchen Lehren ableiten könnte. Das wäre ja vielleicht möglich, wenn Phyſik und Chemie auf ihren Gebieten keine Frage mehr zu löſen hätten; thatſächlich aber ſind beide von dieſem Ziel noch ebenſoweit entfernt, wie die Pflanzenphyſiologie von dem ihrigen. Es iſt ja gewiß, daß die heutige Pflanzenphyſiologie ohne die heutige Phyſik und Chemie undenkbar wäre, daß ebenſo die erſtere auch früher auf den jeweiligen Stand der Phyſik und Chemie ſich ſtützen mußte, wenn es darauf ankam, ſchon con- ſtatirte Vegetationserſcheinungen als Wirkungen bekannter Urſachen aufzufaſſen. Ebenſo gewiß aber iſt, daß alle Fortſchritte, welche Phyſik und Chemie bisher gemacht haben, für ſich allein keine Pflanzenphyſiologie hervorgebracht haben würden, auch nicht in Verbindung mit der Phytotomie; die Geſchichte zeigt, daß man im 17. und 18. Jahrhundert ſchon eine Reihe von Lebenser- ſcheinungen der Pflanzen kennen gelernt hatte, zu einer Zeit, wo die Phyſik und Chemie ſelbſt noch wenig zu bieten hatten und gänzlich außer Stande waren, den Phyſiologen irgend welche Erklärungsgründe darzubieten. Die wahre Grundlage aller Phyſiologie iſt eben die unmittelbare Beobachtung der Lebens- erſcheinungen ſelbſt, welche durch Experimente hervorgerufen oder verändert, erſt in ihrem Zuſammenhang ſtudirt werden müſſen, bevor man daran denken kann, ſie auf phyſikaliſche und chemiſche Urſachen zurückzuführen. Es iſt daher wohl möglich, daß die Pflanzenphyſiologie einen gewiſſen Grad von Ausbildung erreicht, auch ohne phyſikaliſche und chemiſche Erklärung der Vegetations- erſcheinungen, ja ſogar trotz irrthümlicher Theorieen auf dieſen Gebieten. Was Malpighi, Hales, zum Theil Du Hamel leiſteten, war doch gewiß Pflanzenphyſiologie und zwar beſſere, als manche Neuere glauben; was ſie aber wußten, hatten ſie aus Beobachtungen an der lebenden Pflanze, und keineswegs aus den chemiſchen und phyſikaliſchen Theorieen ihrer Zeit ab- geleitet. Selbſt die Feſtſtellung der wichtigen Thatſache, daß die grünen Blätter allein im Stande ſind, ſolche Nahrungsſtoffe zu bilden, welche geeignet ſind, das Wachsthum und die Bildung

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/406>, abgerufen am 24.11.2024.