früher trotz aller Gegengründe der Philosophie ganz unentbehr- lich schien.
Wenn die Vergleichung der Pflanzen mit den Thieren und ebenso die teleologische Auffassung der Organismen den ersten Anfang pflanzenphysiologischer Forschung überhaupt ermöglichten, so waren dagegen andere Momente von entscheidender Bedeutung, als es sich später darum handelte, die wenigstens in ihren gröberen Zügen erkannten Functionen der Pflanzenorgane ur- sächlich zu begreifen und zu erklären. Vor Allem kam hier die Phytotomie in Betracht. In dem Grade wie die innere Struktur der Pflanzen näher bekannt, die verschiedenen Gewebeformen unterschieden wurden, gelang es auch, die bereits durch Experi- mente entdeckten Funktionen der Organe mit ihrer mikroskopischen Struktur in Zusammenhang zu bringen; die Phytotomie zerlegte die lebende Maschiene in ihre einzelnen Bestandtheile und konnte es nun der Physiologie überlassen, aus der Struktur und dem Inhalt der Gewebeformen zu erkennen, in wie weit dieselben geeignet sind, bestimmten Funktionen zu dienen. Dieß war selbstverständlich erst dann möglich, wenn die Vegetationser- scheinungen vorher an der lebenden Pflanze selbst studirt worden waren. So konnte z. B. die mikroskopische Untersuchung der bei der Befruchtung stattfindenden Vorgänge erst dann zu weiteren Aufschlüssen führen, wenn vorher durch Experimente die Sexualität selbst, die Nothwendigkeit des Pollens zur Erzeugung keimfähiger Samen constatirt war; ebenso die anatomische Untersuchung des Holzes erst dann zur Erklärung der Art und Weise, wie das Wasser in ihm emporsteigt, Anhaltspuncte darbieten, wenn vor- her experimentell festgestellt war, daß dieses überhaupt nur im Holzkörper geschieht u. s. w.
Zu ganz ähnlichen Erwägungen veranlaßt uns das Ver- hältniß der Physiologie zur Physik und Chemie, worüber hier schon deßhalb einige orientirende Bemerkungen vorausgeschickt werden sollen, weil man nicht selten, und gerade in neuester Zeit der Ansicht begegnet, die Pflanzenphysiologie sei wesentlich nichts Anderes als angewandte Physik und Chemie, als ob man
Einleitung.
früher trotz aller Gegengründe der Philoſophie ganz unentbehr- lich ſchien.
Wenn die Vergleichung der Pflanzen mit den Thieren und ebenſo die teleologiſche Auffaſſung der Organismen den erſten Anfang pflanzenphyſiologiſcher Forſchung überhaupt ermöglichten, ſo waren dagegen andere Momente von entſcheidender Bedeutung, als es ſich ſpäter darum handelte, die wenigſtens in ihren gröberen Zügen erkannten Functionen der Pflanzenorgane ur- ſächlich zu begreifen und zu erklären. Vor Allem kam hier die Phytotomie in Betracht. In dem Grade wie die innere Struktur der Pflanzen näher bekannt, die verſchiedenen Gewebeformen unterſchieden wurden, gelang es auch, die bereits durch Experi- mente entdeckten Funktionen der Organe mit ihrer mikroskopiſchen Struktur in Zuſammenhang zu bringen; die Phytotomie zerlegte die lebende Maſchiene in ihre einzelnen Beſtandtheile und konnte es nun der Phyſiologie überlaſſen, aus der Struktur und dem Inhalt der Gewebeformen zu erkennen, in wie weit dieſelben geeignet ſind, beſtimmten Funktionen zu dienen. Dieß war ſelbſtverſtändlich erſt dann möglich, wenn die Vegetationser- ſcheinungen vorher an der lebenden Pflanze ſelbſt ſtudirt worden waren. So konnte z. B. die mikroſkopiſche Unterſuchung der bei der Befruchtung ſtattfindenden Vorgänge erſt dann zu weiteren Aufſchlüſſen führen, wenn vorher durch Experimente die Sexualität ſelbſt, die Nothwendigkeit des Pollens zur Erzeugung keimfähiger Samen conſtatirt war; ebenſo die anatomiſche Unterſuchung des Holzes erſt dann zur Erklärung der Art und Weiſe, wie das Waſſer in ihm emporſteigt, Anhaltspuncte darbieten, wenn vor- her experimentell feſtgeſtellt war, daß dieſes überhaupt nur im Holzkörper geſchieht u. ſ. w.
Zu ganz ähnlichen Erwägungen veranlaßt uns das Ver- hältniß der Phyſiologie zur Phyſik und Chemie, worüber hier ſchon deßhalb einige orientirende Bemerkungen vorausgeſchickt werden ſollen, weil man nicht ſelten, und gerade in neueſter Zeit der Anſicht begegnet, die Pflanzenphyſiologie ſei weſentlich nichts Anderes als angewandte Phyſik und Chemie, als ob man
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Einleitung.
früher trotz aller Gegengründe der Philoſophie ganz unentbehr-
lich ſchien.
Wenn die Vergleichung der Pflanzen mit den Thieren und
ebenſo die teleologiſche Auffaſſung der Organismen den erſten
Anfang pflanzenphyſiologiſcher Forſchung überhaupt ermöglichten,
ſo waren dagegen andere Momente von entſcheidender Bedeutung,
als es ſich ſpäter darum handelte, die wenigſtens in ihren
gröberen Zügen erkannten Functionen der Pflanzenorgane ur-
ſächlich zu begreifen und zu erklären. Vor Allem kam hier die
Phytotomie in Betracht. In dem Grade wie die innere Struktur
der Pflanzen näher bekannt, die verſchiedenen Gewebeformen
unterſchieden wurden, gelang es auch, die bereits durch Experi-
mente entdeckten Funktionen der Organe mit ihrer mikroskopiſchen
Struktur in Zuſammenhang zu bringen; die Phytotomie zerlegte
die lebende Maſchiene in ihre einzelnen Beſtandtheile und konnte
es nun der Phyſiologie überlaſſen, aus der Struktur und dem
Inhalt der Gewebeformen zu erkennen, in wie weit dieſelben
geeignet ſind, beſtimmten Funktionen zu dienen. Dieß war
ſelbſtverſtändlich erſt dann möglich, wenn die Vegetationser-
ſcheinungen vorher an der lebenden Pflanze ſelbſt ſtudirt worden
waren. So konnte z. B. die mikroſkopiſche Unterſuchung der
bei der Befruchtung ſtattfindenden Vorgänge erſt dann zu weiteren
Aufſchlüſſen führen, wenn vorher durch Experimente die Sexualität
ſelbſt, die Nothwendigkeit des Pollens zur Erzeugung keimfähiger
Samen conſtatirt war; ebenſo die anatomiſche Unterſuchung des
Holzes erſt dann zur Erklärung der Art und Weiſe, wie das
Waſſer in ihm emporſteigt, Anhaltspuncte darbieten, wenn vor-
her experimentell feſtgeſtellt war, daß dieſes überhaupt nur im
Holzkörper geſchieht u. ſ. w.
Zu ganz ähnlichen Erwägungen veranlaßt uns das Ver-
hältniß der Phyſiologie zur Phyſik und Chemie, worüber hier
ſchon deßhalb einige orientirende Bemerkungen vorausgeſchickt
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/405>, abgerufen am 24.11.2024.
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