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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Untersuchung des fertigen
der Interzellularsubstanz 1836 und in seiner frühesten Ansicht
über die Natur der Pollenzellhaut 1834 sich finden. Diese und
einige andere Mißgriffe eines so begabten rein induktiven For-
schers sind lehrreich, insofern sie zeigen, daß Beobachtung ohne
jede theoretische Grundlage überhaupt psychologisch unmöglich ist;
es ist eine Täuschung, zu glauben, ein Beobachter könne die Er-
scheinungen in sich aufnehmen etwa wie ein photographisches
Papier das Bild; vielmehr trifft die sinnliche Wahrnehmung
immer schon auf vorhandene Ansichten des Beobachters, auf Vor-
urtheile, mit welchen sich die Wahrnehmung unwillkürlich ver-
knüpft. Das einzige Mittel, Irrthümern in dieser Beziehung zu
entgehen, liegt darin, daß diese Vorurtheile zu klarem Bewußt-
sein erhoben, ihre logische Brauchbarkeit geprüft, die vorhandenen
Begriffe scharf definirt wurden. Als Mohl seine Theorie von
der Interzellularsubstanz aufstellte, schwebten ihm offenbar unbe-
stimmte, halb unbewußte Vorstellungen von der Art vor, wie
Wolff und Mirbel sie vom Zellenbau der Pflanzen hegten;
und als er die Pollenzellhaut aus einer Zellenschicht bestehen
ließ, subsummirte er unklare Strukturverhältnisse derselben dem
damals noch sehr unklaren Begriff Zelle. Als ächter Natur-
forscher, der sich überall streng an die Ergebnisse der weiteren
Beobachtung hält, seine Begriffe durch dieselbe zu klären sucht,
der jeder Ansicht nur einen relativen Werth einräumt, kam Mohl
indessen über diese Irrthümer bald hinaus und er selbst lieferte
die Beweise für die Unrichtigkeit seiner früheren Behauptung.
Uebrigens ist, verglichen mit der sehr großen Zahl seiner Unter-
suchungen die Anzahl wirklich irriger Angaben außerordentlich
gering.

Betrachten wir Mohl's Bedeutung für die gesammte Ent-
wicklung der Phytotomie, so können wir in seiner wissenschaft-
lichen Laufbahn deutlich genug zwei Perioden erkennen, deren
erste von 1827 bis ungefähr 1845 reicht. Vor 1845 war er
unbestritten der größte Phytotom, allen Mitstrebenden entschieden
überlegen; seine Autorität, obwohl von Unbedeutenderen viel-
fach angefochten, wuchs von Jahr zu Jahr. Einen gewissen Ab-

Unterſuchung des fertigen
der Interzellularſubſtanz 1836 und in ſeiner früheſten Anſicht
über die Natur der Pollenzellhaut 1834 ſich finden. Dieſe und
einige andere Mißgriffe eines ſo begabten rein induktiven For-
ſchers ſind lehrreich, inſofern ſie zeigen, daß Beobachtung ohne
jede theoretiſche Grundlage überhaupt pſychologiſch unmöglich iſt;
es iſt eine Täuſchung, zu glauben, ein Beobachter könne die Er-
ſcheinungen in ſich aufnehmen etwa wie ein photographiſches
Papier das Bild; vielmehr trifft die ſinnliche Wahrnehmung
immer ſchon auf vorhandene Anſichten des Beobachters, auf Vor-
urtheile, mit welchen ſich die Wahrnehmung unwillkürlich ver-
knüpft. Das einzige Mittel, Irrthümern in dieſer Beziehung zu
entgehen, liegt darin, daß dieſe Vorurtheile zu klarem Bewußt-
ſein erhoben, ihre logiſche Brauchbarkeit geprüft, die vorhandenen
Begriffe ſcharf definirt wurden. Als Mohl ſeine Theorie von
der Interzellularſubſtanz aufſtellte, ſchwebten ihm offenbar unbe-
ſtimmte, halb unbewußte Vorſtellungen von der Art vor, wie
Wolff und Mirbel ſie vom Zellenbau der Pflanzen hegten;
und als er die Pollenzellhaut aus einer Zellenſchicht beſtehen
ließ, ſubſummirte er unklare Strukturverhältniſſe derſelben dem
damals noch ſehr unklaren Begriff Zelle. Als ächter Natur-
forſcher, der ſich überall ſtreng an die Ergebniſſe der weiteren
Beobachtung hält, ſeine Begriffe durch dieſelbe zu klären ſucht,
der jeder Anſicht nur einen relativen Werth einräumt, kam Mohl
indeſſen über dieſe Irrthümer bald hinaus und er ſelbſt lieferte
die Beweiſe für die Unrichtigkeit ſeiner früheren Behauptung.
Uebrigens iſt, verglichen mit der ſehr großen Zahl ſeiner Unter-
ſuchungen die Anzahl wirklich irriger Angaben außerordentlich
gering.

Betrachten wir Mohl's Bedeutung für die geſammte Ent-
wicklung der Phytotomie, ſo können wir in ſeiner wiſſenſchaft-
lichen Laufbahn deutlich genug zwei Perioden erkennen, deren
erſte von 1827 bis ungefähr 1845 reicht. Vor 1845 war er
unbeſtritten der größte Phytotom, allen Mitſtrebenden entſchieden
überlegen; ſeine Autorität, obwohl von Unbedeutenderen viel-
fach angefochten, wuchs von Jahr zu Jahr. Einen gewiſſen Ab-

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[320/0332] Unterſuchung des fertigen der Interzellularſubſtanz 1836 und in ſeiner früheſten Anſicht über die Natur der Pollenzellhaut 1834 ſich finden. Dieſe und einige andere Mißgriffe eines ſo begabten rein induktiven For- ſchers ſind lehrreich, inſofern ſie zeigen, daß Beobachtung ohne jede theoretiſche Grundlage überhaupt pſychologiſch unmöglich iſt; es iſt eine Täuſchung, zu glauben, ein Beobachter könne die Er- ſcheinungen in ſich aufnehmen etwa wie ein photographiſches Papier das Bild; vielmehr trifft die ſinnliche Wahrnehmung immer ſchon auf vorhandene Anſichten des Beobachters, auf Vor- urtheile, mit welchen ſich die Wahrnehmung unwillkürlich ver- knüpft. Das einzige Mittel, Irrthümern in dieſer Beziehung zu entgehen, liegt darin, daß dieſe Vorurtheile zu klarem Bewußt- ſein erhoben, ihre logiſche Brauchbarkeit geprüft, die vorhandenen Begriffe ſcharf definirt wurden. Als Mohl ſeine Theorie von der Interzellularſubſtanz aufſtellte, ſchwebten ihm offenbar unbe- ſtimmte, halb unbewußte Vorſtellungen von der Art vor, wie Wolff und Mirbel ſie vom Zellenbau der Pflanzen hegten; und als er die Pollenzellhaut aus einer Zellenſchicht beſtehen ließ, ſubſummirte er unklare Strukturverhältniſſe derſelben dem damals noch ſehr unklaren Begriff Zelle. Als ächter Natur- forſcher, der ſich überall ſtreng an die Ergebniſſe der weiteren Beobachtung hält, ſeine Begriffe durch dieſelbe zu klären ſucht, der jeder Anſicht nur einen relativen Werth einräumt, kam Mohl indeſſen über dieſe Irrthümer bald hinaus und er ſelbſt lieferte die Beweiſe für die Unrichtigkeit ſeiner früheren Behauptung. Uebrigens iſt, verglichen mit der ſehr großen Zahl ſeiner Unter- ſuchungen die Anzahl wirklich irriger Angaben außerordentlich gering. Betrachten wir Mohl's Bedeutung für die geſammte Ent- wicklung der Phytotomie, ſo können wir in ſeiner wiſſenſchaft- lichen Laufbahn deutlich genug zwei Perioden erkennen, deren erſte von 1827 bis ungefähr 1845 reicht. Vor 1845 war er unbeſtritten der größte Phytotom, allen Mitſtrebenden entſchieden überlegen; ſeine Autorität, obwohl von Unbedeutenderen viel- fach angefochten, wuchs von Jahr zu Jahr. Einen gewiſſen Ab-

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/332>, abgerufen am 22.11.2024.