Zellenlehre, Entwicklungsgeschichte und Kryptogamenkunde.
verwandtschaftlichen Beziehungen einer Kryptogamengattung oder die der größeren Gruppen der Phanerogamen festzustellen; das geistreiche Herumrathen und Probiren war vorbei; nur geduldige Untersuchung konnte helfen, aber jede solche ergab auch ein Re- sultat von bleibendem Werth.
Ganz anders stand es um 1850 noch mit den Thallophyten; das bereits vorliegende Sichere, was man von ihnen wußte, zeigte nur, wie unsicher das Uebrige war; der methodisch geord- neten Kenntniß der Muscineen und Gefäßpflanzen gegenüber boten die Algen, Pilze, Flechten eine chaotische Masse unverstan- dener Formen. War bei den Muscineen und Farnen die Ent- wicklungsfolge innerhalb der Species in ihre einzelnen Stufen so auseinandergelegt, daß alle Momente der fortschreitenden Ge- staltung deutlich zur Geltung kamen, indem der Generationswechsel die Hauptabschnitte der Entwicklung zugleich scharf sonderte und doch zusammenhielt; so schien dagegen die Entwicklung der Algen und Pilze regellos in ein buntes Gewirr von auftauchenden und wieder verschwindenden Formen zu zerfallen, deren gesetzmäßigen genetischen Zusammenhang aufzufinden, kaum möglich schien. Hier kam es vor Allem darauf an, zu bestimmen, welche der bekannten Formen in einen und denselben Entwicklungs- kreis zusammengehörten; denn auf den verschiedensten Entwick- lungsstufen gehen diese Pflanzen auf Absonderung einzelner Zellen zurück, aus denen die Entwicklung von Neuem wiederholend oder fortbildend beginnt. Entwicklungsanfänge der verschiedensten Algen- species lagen in demselben Wassertropfen durcheinander, die der verschiedensten Pilze wuchsen zwischen und auf einander auf dem- selben Substrat; bei den Flechten vermengte sich gar Pilz und Algenform. So war es bei den kleinen, mikroskopischen Arten; die großen Meeresalgen, die Hutpilze und großen Flechten waren wohl leichter specifisch auseinander zu halten, aber von ihrer Entwick- lung wußte man wo möglich noch weniger, als von der der mikroskopischen Thallophyten.
Trotz all' der Unsicherheit hatte sich bis 1850 eine sehr ausgedehnte Einzelkenntniß dieser Organismen ausgebildet.
Zellenlehre, Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
verwandtſchaftlichen Beziehungen einer Kryptogamengattung oder die der größeren Gruppen der Phanerogamen feſtzuſtellen; das geiſtreiche Herumrathen und Probiren war vorbei; nur geduldige Unterſuchung konnte helfen, aber jede ſolche ergab auch ein Re- ſultat von bleibendem Werth.
Ganz anders ſtand es um 1850 noch mit den Thallophyten; das bereits vorliegende Sichere, was man von ihnen wußte, zeigte nur, wie unſicher das Uebrige war; der methodiſch geord- neten Kenntniß der Muscineen und Gefäßpflanzen gegenüber boten die Algen, Pilze, Flechten eine chaotiſche Maſſe unverſtan- dener Formen. War bei den Muscineen und Farnen die Ent- wicklungsfolge innerhalb der Species in ihre einzelnen Stufen ſo auseinandergelegt, daß alle Momente der fortſchreitenden Ge- ſtaltung deutlich zur Geltung kamen, indem der Generationswechſel die Hauptabſchnitte der Entwicklung zugleich ſcharf ſonderte und doch zuſammenhielt; ſo ſchien dagegen die Entwicklung der Algen und Pilze regellos in ein buntes Gewirr von auftauchenden und wieder verſchwindenden Formen zu zerfallen, deren geſetzmäßigen genetiſchen Zuſammenhang aufzufinden, kaum möglich ſchien. Hier kam es vor Allem darauf an, zu beſtimmen, welche der bekannten Formen in einen und denſelben Entwicklungs- kreis zuſammengehörten; denn auf den verſchiedenſten Entwick- lungsſtufen gehen dieſe Pflanzen auf Abſonderung einzelner Zellen zurück, aus denen die Entwicklung von Neuem wiederholend oder fortbildend beginnt. Entwicklungsanfänge der verſchiedenſten Algen- ſpecies lagen in demſelben Waſſertropfen durcheinander, die der verſchiedenſten Pilze wuchſen zwiſchen und auf einander auf dem- ſelben Subſtrat; bei den Flechten vermengte ſich gar Pilz und Algenform. So war es bei den kleinen, mikroſkopiſchen Arten; die großen Meeresalgen, die Hutpilze und großen Flechten waren wohl leichter ſpecifiſch auseinander zu halten, aber von ihrer Entwick- lung wußte man wo möglich noch weniger, als von der der mikroſkopiſchen Thallophyten.
Trotz all' der Unſicherheit hatte ſich bis 1850 eine ſehr ausgedehnte Einzelkenntniß dieſer Organismen ausgebildet.
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Zellenlehre, Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
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die der größeren Gruppen der Phanerogamen feſtzuſtellen; das
geiſtreiche Herumrathen und Probiren war vorbei; nur geduldige
Unterſuchung konnte helfen, aber jede ſolche ergab auch ein Re-
ſultat von bleibendem Werth.
Ganz anders ſtand es um 1850 noch mit den Thallophyten;
das bereits vorliegende Sichere, was man von ihnen wußte,
zeigte nur, wie unſicher das Uebrige war; der methodiſch geord-
neten Kenntniß der Muscineen und Gefäßpflanzen gegenüber
boten die Algen, Pilze, Flechten eine chaotiſche Maſſe unverſtan-
dener Formen. War bei den Muscineen und Farnen die Ent-
wicklungsfolge innerhalb der Species in ihre einzelnen Stufen
ſo auseinandergelegt, daß alle Momente der fortſchreitenden Ge-
ſtaltung deutlich zur Geltung kamen, indem der Generationswechſel
die Hauptabſchnitte der Entwicklung zugleich ſcharf ſonderte und
doch zuſammenhielt; ſo ſchien dagegen die Entwicklung der Algen
und Pilze regellos in ein buntes Gewirr von auftauchenden und
wieder verſchwindenden Formen zu zerfallen, deren geſetzmäßigen
genetiſchen Zuſammenhang aufzufinden, kaum möglich ſchien.
Hier kam es vor Allem darauf an, zu beſtimmen, welche
der bekannten Formen in einen und denſelben Entwicklungs-
kreis zuſammengehörten; denn auf den verſchiedenſten Entwick-
lungsſtufen gehen dieſe Pflanzen auf Abſonderung einzelner Zellen
zurück, aus denen die Entwicklung von Neuem wiederholend oder
fortbildend beginnt. Entwicklungsanfänge der verſchiedenſten Algen-
ſpecies lagen in demſelben Waſſertropfen durcheinander, die der
verſchiedenſten Pilze wuchſen zwiſchen und auf einander auf dem-
ſelben Subſtrat; bei den Flechten vermengte ſich gar Pilz und
Algenform. So war es bei den kleinen, mikroſkopiſchen Arten;
die großen Meeresalgen, die Hutpilze und großen Flechten waren wohl
leichter ſpecifiſch auseinander zu halten, aber von ihrer Entwick-
lung wußte man wo möglich noch weniger, als von der der
mikroſkopiſchen Thallophyten.
Trotz all' der Unſicherheit hatte ſich bis 1850 eine ſehr
ausgedehnte Einzelkenntniß dieſer Organismen ausgebildet.
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/231>, abgerufen am 22.11.2024.
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