Wort, Nägeli's Betrachtungen über die "gegenwärtige Aufgabe der Naturgeschichte" 1. c. sind nicht nur logisch vollkommen consequent im Sinne der inductiven Methode, sie sind es auch da noch, wo die Annahme der Constanz der Arten Andere so leicht zu logischen Sprüngen verleitet hatte.
Nägeli machte nun Ernst mit den von ihm aufgestellten Forderungen an die inductive Forschung und zwar im weitesten Sinne des Wortes, wie er diesen Forderungen bei der Wider- legung von Schleiden's und der Begründung seiner eigenen Zellenlehre, wie er ihnen später bei der Begründung seiner Theorie der Molekularstructur und des Wachsthums der organi- sirten Gebilde, gerecht wurde, in diesen Untersuchungen wahre Musterbeispiele ächt inductiver Forschung aufstellte, werde ich in der Geschichte der Phytotomie ausführlich zeigen. Hier soll nur hervorgehoben werden, was Nägeli auf diesem Wege für die Morphologie und Systematik erreichte; es waren auf diesem Gebiet vorwiegend zwei Neuerungen von der tiefgehendsten Bedeutung, welche Nägeli einführte und durch welche Ziel und Methode der Forschung auf Jahrzehnte hinaus bestimmt wurden. Vor Allem knüpfte er seine morpho- logischen Untersuchungen wo irgend möglich an die niederen Kryptogamen an, um sie an den höheren und an den Pha- nerogamen weiter zu führen, d. h. er ging von den einfachen, klaren Thatsachen zu den schwierigeren über, zugleich aber wur- den so die Kryptogamen nicht nur in den Bereich methodischer Forschung hineingezogen, sondern geradezu zum Ausgangspunct derselben erhoben. Die Morphologie gewann damit nicht bloß eine streng entwicklungsgeschichtliche Grundlage, sie erhielt vielmehr schon dadurch ein ganz anderes Ansehen, daß die bisher an den Phanerogamen abstrahirten morphologischen Begriffe hier an den niederen Kryptogamen entwicklungsgeschichtlich untersucht wurden. Das war die eine Neuerung, die zweite eng damit zusammen- hängende lag in der Art, wie Nägeli nun die neue Zellenlehre zum Ausgangspunct der Morphologie machte. Die erste Ent- stehung der Organe nicht nur, sondern auch das weitere Wachs-
Morphologie und Syſtematik unter dem Einfluß der
Wort, Nägeli's Betrachtungen über die „gegenwärtige Aufgabe der Naturgeſchichte“ 1. c. ſind nicht nur logiſch vollkommen conſequent im Sinne der inductiven Methode, ſie ſind es auch da noch, wo die Annahme der Conſtanz der Arten Andere ſo leicht zu logiſchen Sprüngen verleitet hatte.
Nägeli machte nun Ernſt mit den von ihm aufgeſtellten Forderungen an die inductive Forſchung und zwar im weiteſten Sinne des Wortes, wie er dieſen Forderungen bei der Wider- legung von Schleiden's und der Begründung ſeiner eigenen Zellenlehre, wie er ihnen ſpäter bei der Begründung ſeiner Theorie der Molekularſtructur und des Wachsthums der organi- ſirten Gebilde, gerecht wurde, in dieſen Unterſuchungen wahre Muſterbeiſpiele ächt inductiver Forſchung aufſtellte, werde ich in der Geſchichte der Phytotomie ausführlich zeigen. Hier ſoll nur hervorgehoben werden, was Nägeli auf dieſem Wege für die Morphologie und Syſtematik erreichte; es waren auf dieſem Gebiet vorwiegend zwei Neuerungen von der tiefgehendſten Bedeutung, welche Nägeli einführte und durch welche Ziel und Methode der Forſchung auf Jahrzehnte hinaus beſtimmt wurden. Vor Allem knüpfte er ſeine morpho- logiſchen Unterſuchungen wo irgend möglich an die niederen Kryptogamen an, um ſie an den höheren und an den Pha- nerogamen weiter zu führen, d. h. er ging von den einfachen, klaren Thatſachen zu den ſchwierigeren über, zugleich aber wur- den ſo die Kryptogamen nicht nur in den Bereich methodiſcher Forſchung hineingezogen, ſondern geradezu zum Ausgangspunct derſelben erhoben. Die Morphologie gewann damit nicht bloß eine ſtreng entwicklungsgeſchichtliche Grundlage, ſie erhielt vielmehr ſchon dadurch ein ganz anderes Anſehen, daß die bisher an den Phanerogamen abſtrahirten morphologiſchen Begriffe hier an den niederen Kryptogamen entwicklungsgeſchichtlich unterſucht wurden. Das war die eine Neuerung, die zweite eng damit zuſammen- hängende lag in der Art, wie Nägeli nun die neue Zellenlehre zum Ausgangspunct der Morphologie machte. Die erſte Ent- ſtehung der Organe nicht nur, ſondern auch das weitere Wachs-
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[210/0222]
Morphologie und Syſtematik unter dem Einfluß der
Wort, Nägeli's Betrachtungen über die „gegenwärtige Aufgabe
der Naturgeſchichte“ 1. c. ſind nicht nur logiſch vollkommen
conſequent im Sinne der inductiven Methode, ſie ſind es auch
da noch, wo die Annahme der Conſtanz der Arten Andere ſo
leicht zu logiſchen Sprüngen verleitet hatte.
Nägeli machte nun Ernſt mit den von ihm aufgeſtellten
Forderungen an die inductive Forſchung und zwar im weiteſten
Sinne des Wortes, wie er dieſen Forderungen bei der Wider-
legung von Schleiden's und der Begründung ſeiner eigenen
Zellenlehre, wie er ihnen ſpäter bei der Begründung ſeiner
Theorie der Molekularſtructur und des Wachsthums der organi-
ſirten Gebilde, gerecht wurde, in dieſen Unterſuchungen wahre
Muſterbeiſpiele ächt inductiver Forſchung aufſtellte, werde
ich in der Geſchichte der Phytotomie ausführlich zeigen. Hier
ſoll nur hervorgehoben werden, was Nägeli auf dieſem
Wege für die Morphologie und Syſtematik erreichte; es waren
auf dieſem Gebiet vorwiegend zwei Neuerungen von der
tiefgehendſten Bedeutung, welche Nägeli einführte und durch
welche Ziel und Methode der Forſchung auf Jahrzehnte
hinaus beſtimmt wurden. Vor Allem knüpfte er ſeine morpho-
logiſchen Unterſuchungen wo irgend möglich an die niederen
Kryptogamen an, um ſie an den höheren und an den Pha-
nerogamen weiter zu führen, d. h. er ging von den einfachen,
klaren Thatſachen zu den ſchwierigeren über, zugleich aber wur-
den ſo die Kryptogamen nicht nur in den Bereich methodiſcher
Forſchung hineingezogen, ſondern geradezu zum Ausgangspunct
derſelben erhoben. Die Morphologie gewann damit nicht bloß eine
ſtreng entwicklungsgeſchichtliche Grundlage, ſie erhielt vielmehr
ſchon dadurch ein ganz anderes Anſehen, daß die bisher an den
Phanerogamen abſtrahirten morphologiſchen Begriffe hier an den
niederen Kryptogamen entwicklungsgeſchichtlich unterſucht wurden.
Das war die eine Neuerung, die zweite eng damit zuſammen-
hängende lag in der Art, wie Nägeli nun die neue Zellenlehre
zum Ausgangspunct der Morphologie machte. Die erſte Ent-
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/222>, abgerufen am 25.11.2024.
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