Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Morphologie und Systematik unter dem Einfluß der
ein botanisches Lehrbuch durch eine 131 Seiten lange methodo-
logische Einleitung über das Wesen der inductiven Forschung
im Gegensatz zur dogmatischen Philosophie eingeführt zu sehen,
an den verschiedensten Stellen des Buches selbst immer wieder
die Grundsätze der Induction hervorgehoben zu finden. Man
kann auch an dem Inhalt dieser Einleitung sehr viel aussetzen;
daß manche philosophische Sätze darin mißverstanden sind, daß
Schleiden selbst vielfach gegen die dort gestellten Forderungen
verstieß, wenn er z. B. an Stelle der von ihm abgewiesenen
Lebenskraft den Gestaltungstrieb nisus formativus setzt, der
eben die Lebenskraft nur unter anderem Namen wieder einführt,
man kann es überflüssig finden, daß er die Entwicklungsgeschichte
als eine "Maxime" im Kantischen Sinne hinstellt, statt zu zeigen,
daß die Entwicklungsgeschichte eben in der inductiven Forschung
sich ganz von selbst darbietet u. dergl. m.; mit all dem aber
würde man die historische Bedeutung dieser philosophischen Ein-
leitung nicht abschwächen: die Art, wie damals die descriptive
Botanik tradirt wurde, war so durch und durch dogmatisch scho-
lastisch, trivial und unkritisch, daß den Jüngeren wenigstens
ausführlich gesagt werden mußte, daß dies nicht die Methode
naturwissenschaftlicher Forschung sei.

Specieller auf die Aufgaben botanischer Forschung über-
gehend, betonte dann Schleiden überall die Entwicklungs-
geschichte als die Grundlage jeder morphologischen Einsicht, wo-
bei er freilich über das Ziel hinausschoß, wenn er die bloß ver-
gleichende Methode, die doch bei De Candolle namhafte Re-
sultate ergeben hatte, und welche im Grunde auch das fruchtbare
Element in der Schimper-Braun'schen Blattstellungslehre ist,
als eine unfruchtbare abwies. Dafür ist aber hervorzuheben,
daß Schleiden selbst an der Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
energisch sich betheiligte, vor Allem auch die Embryologie in den
Vordergrund zog, in der Metamorphosenlehre den entwicklungs-
geschichtlichen Standpunct vertrat, gegenüber der von Goethe
eingeführten Behandlung der Metamorphose auf die viel klarere
Caspar Friedrich Wolff's hinwies u. s. w. Endlich gehört

Morphologie und Syſtematik unter dem Einfluß der
ein botaniſches Lehrbuch durch eine 131 Seiten lange methodo-
logiſche Einleitung über das Weſen der inductiven Forſchung
im Gegenſatz zur dogmatiſchen Philoſophie eingeführt zu ſehen,
an den verſchiedenſten Stellen des Buches ſelbſt immer wieder
die Grundſätze der Induction hervorgehoben zu finden. Man
kann auch an dem Inhalt dieſer Einleitung ſehr viel ausſetzen;
daß manche philoſophiſche Sätze darin mißverſtanden ſind, daß
Schleiden ſelbſt vielfach gegen die dort geſtellten Forderungen
verſtieß, wenn er z. B. an Stelle der von ihm abgewieſenen
Lebenskraft den Geſtaltungstrieb nisus formativus ſetzt, der
eben die Lebenskraft nur unter anderem Namen wieder einführt,
man kann es überflüſſig finden, daß er die Entwicklungsgeſchichte
als eine „Maxime“ im Kantiſchen Sinne hinſtellt, ſtatt zu zeigen,
daß die Entwicklungsgeſchichte eben in der inductiven Forſchung
ſich ganz von ſelbſt darbietet u. dergl. m.; mit all dem aber
würde man die hiſtoriſche Bedeutung dieſer philoſophiſchen Ein-
leitung nicht abſchwächen: die Art, wie damals die deſcriptive
Botanik tradirt wurde, war ſo durch und durch dogmatiſch ſcho-
laſtiſch, trivial und unkritiſch, daß den Jüngeren wenigſtens
ausführlich geſagt werden mußte, daß dies nicht die Methode
naturwiſſenſchaftlicher Forſchung ſei.

Specieller auf die Aufgaben botaniſcher Forſchung über-
gehend, betonte dann Schleiden überall die Entwicklungs-
geſchichte als die Grundlage jeder morphologiſchen Einſicht, wo-
bei er freilich über das Ziel hinausſchoß, wenn er die bloß ver-
gleichende Methode, die doch bei De Candolle namhafte Re-
ſultate ergeben hatte, und welche im Grunde auch das fruchtbare
Element in der Schimper-Braun'ſchen Blattſtellungslehre iſt,
als eine unfruchtbare abwies. Dafür iſt aber hervorzuheben,
daß Schleiden ſelbſt an der Entwicklungsgeſchichte der Pflanzen
energiſch ſich betheiligte, vor Allem auch die Embryologie in den
Vordergrund zog, in der Metamorphoſenlehre den entwicklungs-
geſchichtlichen Standpunct vertrat, gegenüber der von Goethe
eingeführten Behandlung der Metamorphoſe auf die viel klarere
Caspar Friedrich Wolff's hinwies u. ſ. w. Endlich gehört

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="204"/><fw place="top" type="header">Morphologie und Sy&#x017F;tematik unter dem Einfluß der</fw><lb/>
ein botani&#x017F;ches Lehrbuch durch eine 131 Seiten lange methodo-<lb/>
logi&#x017F;che Einleitung über das We&#x017F;en der inductiven For&#x017F;chung<lb/>
im Gegen&#x017F;atz zur dogmati&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie eingeführt zu &#x017F;ehen,<lb/>
an den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Stellen des Buches &#x017F;elb&#x017F;t immer wieder<lb/>
die Grund&#x017F;ätze der Induction hervorgehoben zu finden. Man<lb/>
kann auch an dem Inhalt die&#x017F;er Einleitung &#x017F;ehr viel aus&#x017F;etzen;<lb/>
daß manche philo&#x017F;ophi&#x017F;che Sätze darin mißver&#x017F;tanden &#x017F;ind, daß<lb/><hi rendition="#g">Schleiden</hi> &#x017F;elb&#x017F;t vielfach gegen die dort ge&#x017F;tellten Forderungen<lb/>
ver&#x017F;tieß, wenn er z. B. an Stelle der von ihm abgewie&#x017F;enen<lb/>
Lebenskraft den Ge&#x017F;taltungstrieb <hi rendition="#aq">nisus formativus</hi> &#x017F;etzt, der<lb/>
eben die Lebenskraft nur unter anderem Namen wieder einführt,<lb/>
man kann es überflü&#x017F;&#x017F;ig finden, daß er die Entwicklungsge&#x017F;chichte<lb/>
als eine &#x201E;Maxime&#x201C; im Kanti&#x017F;chen Sinne hin&#x017F;tellt, &#x017F;tatt zu zeigen,<lb/>
daß die Entwicklungsge&#x017F;chichte eben in der inductiven For&#x017F;chung<lb/>
&#x017F;ich ganz von &#x017F;elb&#x017F;t darbietet u. dergl. m.; mit all dem aber<lb/>
würde man die hi&#x017F;tori&#x017F;che Bedeutung die&#x017F;er philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Ein-<lb/>
leitung nicht ab&#x017F;chwächen: die Art, wie damals die de&#x017F;criptive<lb/>
Botanik tradirt wurde, war &#x017F;o durch und durch dogmati&#x017F;ch &#x017F;cho-<lb/>
la&#x017F;ti&#x017F;ch, trivial und unkriti&#x017F;ch, daß den Jüngeren wenig&#x017F;tens<lb/>
ausführlich ge&#x017F;agt werden mußte, daß dies nicht die Methode<lb/>
naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher For&#x017F;chung &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>Specieller auf die Aufgaben botani&#x017F;cher For&#x017F;chung über-<lb/>
gehend, betonte dann <hi rendition="#g">Schleiden</hi> überall die Entwicklungs-<lb/>
ge&#x017F;chichte als die Grundlage jeder morphologi&#x017F;chen Ein&#x017F;icht, wo-<lb/>
bei er freilich über das Ziel hinaus&#x017F;choß, wenn er die bloß ver-<lb/>
gleichende Methode, die doch bei <hi rendition="#g">De Candolle</hi> namhafte Re-<lb/>
&#x017F;ultate ergeben hatte, und welche im Grunde auch das fruchtbare<lb/>
Element in der <hi rendition="#g">Schimper</hi>-<hi rendition="#g">Braun</hi>'&#x017F;chen Blatt&#x017F;tellungslehre i&#x017F;t,<lb/>
als eine unfruchtbare abwies. Dafür i&#x017F;t aber hervorzuheben,<lb/>
daß <hi rendition="#g">Schleiden</hi> &#x017F;elb&#x017F;t an der Entwicklungsge&#x017F;chichte der Pflanzen<lb/>
energi&#x017F;ch &#x017F;ich betheiligte, vor Allem auch die Embryologie in den<lb/>
Vordergrund zog, in der Metamorpho&#x017F;enlehre den entwicklungs-<lb/>
ge&#x017F;chichtlichen Standpunct vertrat, gegenüber der von <hi rendition="#g">Goethe</hi><lb/>
eingeführten Behandlung der Metamorpho&#x017F;e auf die viel klarere<lb/><hi rendition="#g">Caspar Friedrich Wolff</hi>'s hinwies u. &#x017F;. w. Endlich gehört<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0216] Morphologie und Syſtematik unter dem Einfluß der ein botaniſches Lehrbuch durch eine 131 Seiten lange methodo- logiſche Einleitung über das Weſen der inductiven Forſchung im Gegenſatz zur dogmatiſchen Philoſophie eingeführt zu ſehen, an den verſchiedenſten Stellen des Buches ſelbſt immer wieder die Grundſätze der Induction hervorgehoben zu finden. Man kann auch an dem Inhalt dieſer Einleitung ſehr viel ausſetzen; daß manche philoſophiſche Sätze darin mißverſtanden ſind, daß Schleiden ſelbſt vielfach gegen die dort geſtellten Forderungen verſtieß, wenn er z. B. an Stelle der von ihm abgewieſenen Lebenskraft den Geſtaltungstrieb nisus formativus ſetzt, der eben die Lebenskraft nur unter anderem Namen wieder einführt, man kann es überflüſſig finden, daß er die Entwicklungsgeſchichte als eine „Maxime“ im Kantiſchen Sinne hinſtellt, ſtatt zu zeigen, daß die Entwicklungsgeſchichte eben in der inductiven Forſchung ſich ganz von ſelbſt darbietet u. dergl. m.; mit all dem aber würde man die hiſtoriſche Bedeutung dieſer philoſophiſchen Ein- leitung nicht abſchwächen: die Art, wie damals die deſcriptive Botanik tradirt wurde, war ſo durch und durch dogmatiſch ſcho- laſtiſch, trivial und unkritiſch, daß den Jüngeren wenigſtens ausführlich geſagt werden mußte, daß dies nicht die Methode naturwiſſenſchaftlicher Forſchung ſei. Specieller auf die Aufgaben botaniſcher Forſchung über- gehend, betonte dann Schleiden überall die Entwicklungs- geſchichte als die Grundlage jeder morphologiſchen Einſicht, wo- bei er freilich über das Ziel hinausſchoß, wenn er die bloß ver- gleichende Methode, die doch bei De Candolle namhafte Re- ſultate ergeben hatte, und welche im Grunde auch das fruchtbare Element in der Schimper-Braun'ſchen Blattſtellungslehre iſt, als eine unfruchtbare abwies. Dafür iſt aber hervorzuheben, daß Schleiden ſelbſt an der Entwicklungsgeſchichte der Pflanzen energiſch ſich betheiligte, vor Allem auch die Embryologie in den Vordergrund zog, in der Metamorphoſenlehre den entwicklungs- geſchichtlichen Standpunct vertrat, gegenüber der von Goethe eingeführten Behandlung der Metamorphoſe auf die viel klarere Caspar Friedrich Wolff's hinwies u. ſ. w. Endlich gehört

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/216
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/216>, abgerufen am 22.11.2024.