der idealistischen Richtung, A. Braun bereits, wenn auch in unbestimmter Form, zur Annahme einer Entwicklung des Pflanzenreiches hingedrängt wurde; und in demselben Jahr, wo Darwin's erstes Buch über die Entstehung der Arten erschien; schrieb Nägeli (Beiträge II. p. 34): "Aeußere Gründe, gegeben durch die Vergleichung der Floren succesiver geologischer Perioden, und innere Gründe enthalten in physiologischen und morphologischen Entwicklungsgesetzen und in der Veränderlichkeit der Art, lassen kaum einen Zweifel darüber, daß auch die Arten aus einander hervorgegangen sind."
War auch in diesen Sätzen eine wissenschaftlich brauchbare Descendenztheorie noch nicht enthalten, so zeigen sie doch, daß die neueren Forschungen und die unbefangene Würdigung der Thatsachen gerade die hervorragendsten Vertreter der damaligen Botanik dahin drängten die Constanz der Formen aufzugeben. Zugleich aber lag in der genetischen Morphologie wie sie vor- wiegend unter Nägeli's Leitung seit 1844 sich entwickelt hatte; noch mehr in der Embryologie, welche bei Hofmeister zu Re- sultaten von größter systematischer Bedeutung führten, ein frucht- bares Element, welches dazu bestimmt war, Darwin's Descen- denzlehre in einem wesentlichen Punct zu berichtigen und zu bereichern. In ihrer ursprünglichen Form nämlich suchte Dar- win's Lehre den Gedanken durchzuführen, daß neben der immer fort stattfindenden Variation nur noch die durch den Kampf um's Dasein bewirkte Auswahl die fortschreitende Vervollkommnung der organischen Form bewirkte; gestützt auf die Ergebnisse der deutschen Morphologie konnte aber schon 1865 Nägeli auf das Ungenügende dieser Erklärung hinweisen, insoferne dieselbe morphologische Beziehungen, zumal zwischen den großen Abtheil- ungen des Pflanzenreichs unbeachtet läßt, welche durch die bloße Zuchtwahl kaum erkärlich scheinen. Indem Nägeli zugab, daß Darwin's Zuchtwahl sehr wohl geeignet sei, die Anpassung der Organismen an ihre Umgebung, das Zweckmäßige und physiologisch Eigenthümliche ihrer Structur vollgiltig zu erklären, wies er doch darauf hin, daß schon in der Natur der Pflanzen
Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
der idealiſtiſchen Richtung, A. Braun bereits, wenn auch in unbeſtimmter Form, zur Annahme einer Entwicklung des Pflanzenreiches hingedrängt wurde; und in demſelben Jahr, wo Darwin's erſtes Buch über die Entſtehung der Arten erſchien; ſchrieb Nägeli (Beiträge II. p. 34): „Aeußere Gründe, gegeben durch die Vergleichung der Floren ſucceſiver geologiſcher Perioden, und innere Gründe enthalten in phyſiologiſchen und morphologiſchen Entwicklungsgeſetzen und in der Veränderlichkeit der Art, laſſen kaum einen Zweifel darüber, daß auch die Arten aus einander hervorgegangen ſind.“
War auch in dieſen Sätzen eine wiſſenſchaftlich brauchbare Deſcendenztheorie noch nicht enthalten, ſo zeigen ſie doch, daß die neueren Forſchungen und die unbefangene Würdigung der Thatſachen gerade die hervorragendſten Vertreter der damaligen Botanik dahin drängten die Conſtanz der Formen aufzugeben. Zugleich aber lag in der genetiſchen Morphologie wie ſie vor- wiegend unter Nägeli's Leitung ſeit 1844 ſich entwickelt hatte; noch mehr in der Embryologie, welche bei Hofmeiſter zu Re- ſultaten von größter ſyſtematiſcher Bedeutung führten, ein frucht- bares Element, welches dazu beſtimmt war, Darwin's Deſcen- denzlehre in einem weſentlichen Punct zu berichtigen und zu bereichern. In ihrer urſprünglichen Form nämlich ſuchte Dar- win's Lehre den Gedanken durchzuführen, daß neben der immer fort ſtattfindenden Variation nur noch die durch den Kampf um's Daſein bewirkte Auswahl die fortſchreitende Vervollkommnung der organiſchen Form bewirkte; geſtützt auf die Ergebniſſe der deutſchen Morphologie konnte aber ſchon 1865 Nägeli auf das Ungenügende dieſer Erklärung hinweiſen, inſoferne dieſelbe morphologiſche Beziehungen, zumal zwiſchen den großen Abtheil- ungen des Pflanzenreichs unbeachtet läßt, welche durch die bloße Zuchtwahl kaum erkärlich ſcheinen. Indem Nägeli zugab, daß Darwin's Zuchtwahl ſehr wohl geeignet ſei, die Anpaſſung der Organismen an ihre Umgebung, das Zweckmäßige und phyſiologiſch Eigenthümliche ihrer Structur vollgiltig zu erklären, wies er doch darauf hin, daß ſchon in der Natur der Pflanzen
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[199/0211]
Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
der idealiſtiſchen Richtung, A. Braun bereits, wenn auch in
unbeſtimmter Form, zur Annahme einer Entwicklung des
Pflanzenreiches hingedrängt wurde; und in demſelben Jahr, wo
Darwin's erſtes Buch über die Entſtehung der Arten erſchien;
ſchrieb Nägeli (Beiträge II. p. 34): „Aeußere Gründe,
gegeben durch die Vergleichung der Floren ſucceſiver geologiſcher
Perioden, und innere Gründe enthalten in phyſiologiſchen und
morphologiſchen Entwicklungsgeſetzen und in der Veränderlichkeit
der Art, laſſen kaum einen Zweifel darüber, daß auch die Arten
aus einander hervorgegangen ſind.“
War auch in dieſen Sätzen eine wiſſenſchaftlich brauchbare
Deſcendenztheorie noch nicht enthalten, ſo zeigen ſie doch, daß
die neueren Forſchungen und die unbefangene Würdigung der
Thatſachen gerade die hervorragendſten Vertreter der damaligen
Botanik dahin drängten die Conſtanz der Formen aufzugeben.
Zugleich aber lag in der genetiſchen Morphologie wie ſie vor-
wiegend unter Nägeli's Leitung ſeit 1844 ſich entwickelt hatte;
noch mehr in der Embryologie, welche bei Hofmeiſter zu Re-
ſultaten von größter ſyſtematiſcher Bedeutung führten, ein frucht-
bares Element, welches dazu beſtimmt war, Darwin's Deſcen-
denzlehre in einem weſentlichen Punct zu berichtigen und zu
bereichern. In ihrer urſprünglichen Form nämlich ſuchte Dar-
win's Lehre den Gedanken durchzuführen, daß neben der immer fort
ſtattfindenden Variation nur noch die durch den Kampf um's
Daſein bewirkte Auswahl die fortſchreitende Vervollkommnung
der organiſchen Form bewirkte; geſtützt auf die Ergebniſſe der
deutſchen Morphologie konnte aber ſchon 1865 Nägeli auf
das Ungenügende dieſer Erklärung hinweiſen, inſoferne dieſelbe
morphologiſche Beziehungen, zumal zwiſchen den großen Abtheil-
ungen des Pflanzenreichs unbeachtet läßt, welche durch die bloße
Zuchtwahl kaum erkärlich ſcheinen. Indem Nägeli zugab,
daß Darwin's Zuchtwahl ſehr wohl geeignet ſei, die Anpaſſung
der Organismen an ihre Umgebung, das Zweckmäßige und
phyſiologiſch Eigenthümliche ihrer Structur vollgiltig zu erklären,
wies er doch darauf hin, daß ſchon in der Natur der Pflanzen
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/211>, abgerufen am 24.11.2024.
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