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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Metamorphosenlehre und der Spiraltheorie.
(p. 69) "der verwirrte Knoten dadurch zerhauen, daß wir, wenn
wir sonst hinreichende Gründe haben, Zweige als Individuen zu
betrachten, uns entschließen, jeden Zweig, so sehr auch der
Anschein dagegen sein mag, als Individuum gelten zu lassen".
Der Sproß ist also das morphologische Individuum der Pflanze,
welches dem Individuum des Thieres analog ist. Freilich ist
dagegen zu bemerken, daß man den Knoten auch anders zerhauen
und dann mit Schleiden behaupten könnte, die Zellen seien
die Individuen des Pflanzenreiches, wenn man nicht etwa gar
auf diesem Wege dazu gelangt, entweder die Atome oder im
Gegensatz dazu eine ganze sich selbst ernährende Pflanze als ein
Individuum zu bezeichnen, denn für jede dieser Annahmen wür-
den sich ungefähr gleich schwer wiegende Gründe anführen lassen.
Es kommt eben ganz auf den Standpunct an, den man bei der-
artigen Betrachtungen einnimmt, und auf das Gewicht, welches
man dem Naturgefühl bei Aufstellung wissenschaftlicher Begriffe
einräumt. Sehr entschieden spricht sich Braun (p. 39) gegen
die Annahme aus, daß auch die unsichtbaren individua oder
Atome des todten Stoffes mit in die Betrachtung des Pflanzen-
individuums hineingezogen werden könnten, um die Pflanzen als
ein bloßes Phänomen sich anziehender und abstoßender Atome
darzustellen. Wolle man unter Individuum wirklich ein durchaus
Untheilbares verstehen, so sei dieß allerdings die letzte Zuflucht,
dann aber habe man eben kein Pflanzenindividuum. Zudem
habe kein Auge jene Atome gesehen, ihre Annahme sei eine bloße
Hypothese, welcher man auch die andere der Continuität und
Durchdringbarkeit der Materie entgegenstellen könne. Die Frage
sei daher die (p. 39), ob überhaupt von Individuen bei den
Pflanzen geredet werden könne, welche mit der anderen Frage
zusammenfalle, ob die Pflanze ein bloßes Product der Thätigkeit
der Materie, also eine an sich wesenlose, durch blinde Kräfte
bewirkte Erscheinung eines allgemeinen Naturkreislaufes sei, oder
ob sie ein ihr eigenes in sich selbst begründetes Dasein besitzt.
Durch die Annahme der Physiologen, welche unter Beseitigung
der Lebenskraft die Lebenserscheinungen aus physikalisch-chemischen

Sachs, Geschichte der Botanik. 13

Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie.
(p. 69) „der verwirrte Knoten dadurch zerhauen, daß wir, wenn
wir ſonſt hinreichende Gründe haben, Zweige als Individuen zu
betrachten, uns entſchließen, jeden Zweig, ſo ſehr auch der
Anſchein dagegen ſein mag, als Individuum gelten zu laſſen“.
Der Sproß iſt alſo das morphologiſche Individuum der Pflanze,
welches dem Individuum des Thieres analog iſt. Freilich iſt
dagegen zu bemerken, daß man den Knoten auch anders zerhauen
und dann mit Schleiden behaupten könnte, die Zellen ſeien
die Individuen des Pflanzenreiches, wenn man nicht etwa gar
auf dieſem Wege dazu gelangt, entweder die Atome oder im
Gegenſatz dazu eine ganze ſich ſelbſt ernährende Pflanze als ein
Individuum zu bezeichnen, denn für jede dieſer Annahmen wür-
den ſich ungefähr gleich ſchwer wiegende Gründe anführen laſſen.
Es kommt eben ganz auf den Standpunct an, den man bei der-
artigen Betrachtungen einnimmt, und auf das Gewicht, welches
man dem Naturgefühl bei Aufſtellung wiſſenſchaftlicher Begriffe
einräumt. Sehr entſchieden ſpricht ſich Braun (p. 39) gegen
die Annahme aus, daß auch die unſichtbaren individua oder
Atome des todten Stoffes mit in die Betrachtung des Pflanzen-
individuums hineingezogen werden könnten, um die Pflanzen als
ein bloßes Phänomen ſich anziehender und abſtoßender Atome
darzuſtellen. Wolle man unter Individuum wirklich ein durchaus
Untheilbares verſtehen, ſo ſei dieß allerdings die letzte Zuflucht,
dann aber habe man eben kein Pflanzenindividuum. Zudem
habe kein Auge jene Atome geſehen, ihre Annahme ſei eine bloße
Hypotheſe, welcher man auch die andere der Continuität und
Durchdringbarkeit der Materie entgegenſtellen könne. Die Frage
ſei daher die (p. 39), ob überhaupt von Individuen bei den
Pflanzen geredet werden könne, welche mit der anderen Frage
zuſammenfalle, ob die Pflanze ein bloßes Product der Thätigkeit
der Materie, alſo eine an ſich weſenloſe, durch blinde Kräfte
bewirkte Erſcheinung eines allgemeinen Naturkreislaufes ſei, oder
ob ſie ein ihr eigenes in ſich ſelbſt begründetes Daſein beſitzt.
Durch die Annahme der Phyſiologen, welche unter Beſeitigung
der Lebenskraft die Lebenserſcheinungen aus phyſikaliſch-chemiſchen

Sachs, Geſchichte der Botanik. 13
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[193/0205] Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie. (p. 69) „der verwirrte Knoten dadurch zerhauen, daß wir, wenn wir ſonſt hinreichende Gründe haben, Zweige als Individuen zu betrachten, uns entſchließen, jeden Zweig, ſo ſehr auch der Anſchein dagegen ſein mag, als Individuum gelten zu laſſen“. Der Sproß iſt alſo das morphologiſche Individuum der Pflanze, welches dem Individuum des Thieres analog iſt. Freilich iſt dagegen zu bemerken, daß man den Knoten auch anders zerhauen und dann mit Schleiden behaupten könnte, die Zellen ſeien die Individuen des Pflanzenreiches, wenn man nicht etwa gar auf dieſem Wege dazu gelangt, entweder die Atome oder im Gegenſatz dazu eine ganze ſich ſelbſt ernährende Pflanze als ein Individuum zu bezeichnen, denn für jede dieſer Annahmen wür- den ſich ungefähr gleich ſchwer wiegende Gründe anführen laſſen. Es kommt eben ganz auf den Standpunct an, den man bei der- artigen Betrachtungen einnimmt, und auf das Gewicht, welches man dem Naturgefühl bei Aufſtellung wiſſenſchaftlicher Begriffe einräumt. Sehr entſchieden ſpricht ſich Braun (p. 39) gegen die Annahme aus, daß auch die unſichtbaren individua oder Atome des todten Stoffes mit in die Betrachtung des Pflanzen- individuums hineingezogen werden könnten, um die Pflanzen als ein bloßes Phänomen ſich anziehender und abſtoßender Atome darzuſtellen. Wolle man unter Individuum wirklich ein durchaus Untheilbares verſtehen, ſo ſei dieß allerdings die letzte Zuflucht, dann aber habe man eben kein Pflanzenindividuum. Zudem habe kein Auge jene Atome geſehen, ihre Annahme ſei eine bloße Hypotheſe, welcher man auch die andere der Continuität und Durchdringbarkeit der Materie entgegenſtellen könne. Die Frage ſei daher die (p. 39), ob überhaupt von Individuen bei den Pflanzen geredet werden könne, welche mit der anderen Frage zuſammenfalle, ob die Pflanze ein bloßes Product der Thätigkeit der Materie, alſo eine an ſich weſenloſe, durch blinde Kräfte bewirkte Erſcheinung eines allgemeinen Naturkreislaufes ſei, oder ob ſie ein ihr eigenes in ſich ſelbſt begründetes Daſein beſitzt. Durch die Annahme der Phyſiologen, welche unter Beſeitigung der Lebenskraft die Lebenserſcheinungen aus phyſikaliſch-chemiſchen Sachs, Geſchichte der Botanik. 13

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/205>, abgerufen am 24.11.2024.