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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die Morphologie unter dem Einfluß der
im Pflanzenreich ein Individuum zu nennen habe, ist nun in
Kürze ungefähr folgender: Was der Auffassung des Pflanzen-
Individuums als eines einheitlichen Gestaltungskreises oder eines
morphologischen Ganzen zunächst in den Weg trete, sei die in
den verschiedensten Abstufungen des organischen Baues der Pflan-
zen vorhandene "Getheiltheit und Theilbarkeit". Es komme nun
darauf an, den Mittelweg zu finden zwischen der nach unten
hin zersplitternden morphologischen und der nach oben hin über
alle Grenzen erweiternden physiologischen Betrachtung des Pflanzen-
Individuums. Weder die blättertragenden Sprosse, obgleich sie
sich zu selbstständigen Pflanzen entwickeln können, noch die Theile
derselben, welche dasselbe leisten, weder die einzelnen Zellen,
noch die Inhaltskörnchen derselben, am allerwenigsten aber die
von blinden Kräften beherrschten Atome des todten Stoffes wür-
den dem Begriff des pflanzlichen Individuums entsprechen. Es
komme nun darauf an, zu entscheiden, welches Glied aus dieser
mehrfach abgestuften Potenzenreihe der der Species untergeord-
neten Entwicklungskreise den Namen des Individuums vorzugs-
weise verdiene (p. 48). Es wird also ein Compromiß geschlossen,
es genügt einen Theil der Pflanze zu finden, welcher vorzugs-
weise dem Begriff des Individuums entspricht, denn in diesem
Begriff sollen zwei Momente liegen, das der Vielheit und das
der Einheit. Braun entscheidet sich nun für den Sproß oder
die Knospe. "Schon das bloße Naturgefühl erwecke bei der
Betrachtung des meist verzweigten Pflanzenstockes, namentlich eines
Baumes mit seinen zahlreichen Zweigen -- -- die Ahnung, daß
dieß nicht ein Einzelwesen und Einzelleben sei, dem Individuum
des Thieres oder des Menschen gleichzusetzen, sondern vielmehr
eine Welt vereinter Individuen, die in einer Folge von Genera-
tionen aus einander hervorsprossen u. s. w." Im Weiteren soll
nun dargethan werden, daß diese aus gesundem Naturgefühl
stammende Auffassung auch durch die wissenschaftliche Prüfung
bestätigt wird. Im Verlauf der Darstellung zeigt sich jedoch,
daß manche Erscheinungen im Wachsthum der Pflanzen zu die-
sem Naturgefühl nicht recht passen wollen und so wird denn

Die Morphologie unter dem Einfluß der
im Pflanzenreich ein Individuum zu nennen habe, iſt nun in
Kürze ungefähr folgender: Was der Auffaſſung des Pflanzen-
Individuums als eines einheitlichen Geſtaltungskreiſes oder eines
morphologiſchen Ganzen zunächſt in den Weg trete, ſei die in
den verſchiedenſten Abſtufungen des organiſchen Baues der Pflan-
zen vorhandene „Getheiltheit und Theilbarkeit“. Es komme nun
darauf an, den Mittelweg zu finden zwiſchen der nach unten
hin zerſplitternden morphologiſchen und der nach oben hin über
alle Grenzen erweiternden phyſiologiſchen Betrachtung des Pflanzen-
Individuums. Weder die blättertragenden Sproſſe, obgleich ſie
ſich zu ſelbſtſtändigen Pflanzen entwickeln können, noch die Theile
derſelben, welche dasſelbe leiſten, weder die einzelnen Zellen,
noch die Inhaltskörnchen derſelben, am allerwenigſten aber die
von blinden Kräften beherrſchten Atome des todten Stoffes wür-
den dem Begriff des pflanzlichen Individuums entſprechen. Es
komme nun darauf an, zu entſcheiden, welches Glied aus dieſer
mehrfach abgeſtuften Potenzenreihe der der Species untergeord-
neten Entwicklungskreiſe den Namen des Individuums vorzugs-
weiſe verdiene (p. 48). Es wird alſo ein Compromiß geſchloſſen,
es genügt einen Theil der Pflanze zu finden, welcher vorzugs-
weiſe dem Begriff des Individuums entſpricht, denn in dieſem
Begriff ſollen zwei Momente liegen, das der Vielheit und das
der Einheit. Braun entſcheidet ſich nun für den Sproß oder
die Knoſpe. „Schon das bloße Naturgefühl erwecke bei der
Betrachtung des meiſt verzweigten Pflanzenſtockes, namentlich eines
Baumes mit ſeinen zahlreichen Zweigen — — die Ahnung, daß
dieß nicht ein Einzelweſen und Einzelleben ſei, dem Individuum
des Thieres oder des Menſchen gleichzuſetzen, ſondern vielmehr
eine Welt vereinter Individuen, die in einer Folge von Genera-
tionen aus einander hervorſproſſen u. ſ. w.“ Im Weiteren ſoll
nun dargethan werden, daß dieſe aus geſundem Naturgefühl
ſtammende Auffaſſung auch durch die wiſſenſchaftliche Prüfung
beſtätigt wird. Im Verlauf der Darſtellung zeigt ſich jedoch,
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[192/0204] Die Morphologie unter dem Einfluß der im Pflanzenreich ein Individuum zu nennen habe, iſt nun in Kürze ungefähr folgender: Was der Auffaſſung des Pflanzen- Individuums als eines einheitlichen Geſtaltungskreiſes oder eines morphologiſchen Ganzen zunächſt in den Weg trete, ſei die in den verſchiedenſten Abſtufungen des organiſchen Baues der Pflan- zen vorhandene „Getheiltheit und Theilbarkeit“. Es komme nun darauf an, den Mittelweg zu finden zwiſchen der nach unten hin zerſplitternden morphologiſchen und der nach oben hin über alle Grenzen erweiternden phyſiologiſchen Betrachtung des Pflanzen- Individuums. Weder die blättertragenden Sproſſe, obgleich ſie ſich zu ſelbſtſtändigen Pflanzen entwickeln können, noch die Theile derſelben, welche dasſelbe leiſten, weder die einzelnen Zellen, noch die Inhaltskörnchen derſelben, am allerwenigſten aber die von blinden Kräften beherrſchten Atome des todten Stoffes wür- den dem Begriff des pflanzlichen Individuums entſprechen. Es komme nun darauf an, zu entſcheiden, welches Glied aus dieſer mehrfach abgeſtuften Potenzenreihe der der Species untergeord- neten Entwicklungskreiſe den Namen des Individuums vorzugs- weiſe verdiene (p. 48). Es wird alſo ein Compromiß geſchloſſen, es genügt einen Theil der Pflanze zu finden, welcher vorzugs- weiſe dem Begriff des Individuums entſpricht, denn in dieſem Begriff ſollen zwei Momente liegen, das der Vielheit und das der Einheit. Braun entſcheidet ſich nun für den Sproß oder die Knoſpe. „Schon das bloße Naturgefühl erwecke bei der Betrachtung des meiſt verzweigten Pflanzenſtockes, namentlich eines Baumes mit ſeinen zahlreichen Zweigen — — die Ahnung, daß dieß nicht ein Einzelweſen und Einzelleben ſei, dem Individuum des Thieres oder des Menſchen gleichzuſetzen, ſondern vielmehr eine Welt vereinter Individuen, die in einer Folge von Genera- tionen aus einander hervorſproſſen u. ſ. w.“ Im Weiteren ſoll nun dargethan werden, daß dieſe aus geſundem Naturgefühl ſtammende Auffaſſung auch durch die wiſſenſchaftliche Prüfung beſtätigt wird. Im Verlauf der Darſtellung zeigt ſich jedoch, daß manche Erſcheinungen im Wachsthum der Pflanzen zu die- ſem Naturgefühl nicht recht paſſen wollen und ſo wird denn

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/204>, abgerufen am 28.11.2024.