Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.Die Morphologie unter dem Einfluß der Betrachtung und Vergleichung nicht nur der Blüthen und Blüthen-stände, sondern auch der vegetativen Sprosse und ihrer Verzwei- gung zu einer großen formalen Vollendung gelangte. Von dem Princip dieser Lehre durchdrungen gelang es den Beobachtern, die verwickeltsten Pflanzengestalten dem Leser oder Hörer in einer Weise zu demonstriren, daß dieselben das Gesetz ihres Werdens offenbarend so zu sagen vor den Augen emporwuchsen, während zugleich die verborgensten Beziehungen der Organe derselben oder verschiedener Pflanzen in elegantester Ausdrucksweise klar hervortraten. Verband sich diese Darstellungsweise außerdem mit De Candolle's Anschauungen von Abortus, den Degene- rationen und Verwachsungen, nahm sie zugleich Rücksicht auf die physiologischen Hauptformen der Blattgebilde, je nachdem die- selben als Niederblätter, Laub- und Hochblätter, als Blüthen- hüllen, Staubblätter und Fruchtblätter ausgebildet sind, so ließ sich von jeder Pflanzengestalt eine künstlerische Beschreibung liefern, welche bei vollständiger sinnlicher Anschaulichkeit zugleich das morphologische Gesetz der Gestalt vorführte. Wer die Schriften Alexander Braun's, Wydler's ganz besonders auch die von Thilo Irmisch (seit 1843), welcher mit dieser Beschrei- bung zugleich die biologischen Verhältnisse der Pflanzen in bezieh- ungsreicher Weise zu verbinden wußte, liest, wird nicht umhin können, die außerordentliche Virtuosität zu bewundern, mit welcher diese Männer die Pflanzenbeschreibung zu handhaben wußten. Den trockenen Diagnosen der Systematiker gegenüber gewann hier die Beschreibung die Bedeutung einer Kunst, welche dem Leser auch die gemeinsten Pflanzenformen in einem neuen Licht an- regend vorführte. Zu all' dem aber kam noch ein Vorzug: die Blattstellungslehre schien nicht blos die fertige Form der Pflanze darzustellen, vielmehr dieselbe genetisch zu behandeln, und in der That lag ein entwicklungsgeschichtliches Element in dieser Lehre, indem sie die genetische Reihenfolge der Blätter und ihrer Axelsprosse, welche ja zugleich die Reihenfolge von der Basis nach dem Gipfel hin ist, jeder Betrachtung der Pflanzen- form zu Grunde legte. Aber freilich lag auch gerade hierin Die Morphologie unter dem Einfluß der Betrachtung und Vergleichung nicht nur der Blüthen und Blüthen-ſtände, ſondern auch der vegetativen Sproſſe und ihrer Verzwei- gung zu einer großen formalen Vollendung gelangte. Von dem Princip dieſer Lehre durchdrungen gelang es den Beobachtern, die verwickeltſten Pflanzengeſtalten dem Leſer oder Hörer in einer Weiſe zu demonſtriren, daß dieſelben das Geſetz ihres Werdens offenbarend ſo zu ſagen vor den Augen emporwuchſen, während zugleich die verborgenſten Beziehungen der Organe derſelben oder verſchiedener Pflanzen in eleganteſter Ausdrucksweiſe klar hervortraten. Verband ſich dieſe Darſtellungsweiſe außerdem mit De Candolle's Anſchauungen von Abortus, den Degene- rationen und Verwachſungen, nahm ſie zugleich Rückſicht auf die phyſiologiſchen Hauptformen der Blattgebilde, je nachdem die- ſelben als Niederblätter, Laub- und Hochblätter, als Blüthen- hüllen, Staubblätter und Fruchtblätter ausgebildet ſind, ſo ließ ſich von jeder Pflanzengeſtalt eine künſtleriſche Beſchreibung liefern, welche bei vollſtändiger ſinnlicher Anſchaulichkeit zugleich das morphologiſche Geſetz der Geſtalt vorführte. Wer die Schriften Alexander Braun's, Wydler's ganz beſonders auch die von Thilo Irmiſch (ſeit 1843), welcher mit dieſer Beſchrei- bung zugleich die biologiſchen Verhältniſſe der Pflanzen in bezieh- ungsreicher Weiſe zu verbinden wußte, lieſt, wird nicht umhin können, die außerordentliche Virtuoſität zu bewundern, mit welcher dieſe Männer die Pflanzenbeſchreibung zu handhaben wußten. Den trockenen Diagnoſen der Syſtematiker gegenüber gewann hier die Beſchreibung die Bedeutung einer Kunſt, welche dem Leſer auch die gemeinſten Pflanzenformen in einem neuen Licht an- regend vorführte. Zu all' dem aber kam noch ein Vorzug: die Blattſtellungslehre ſchien nicht blos die fertige Form der Pflanze darzuſtellen, vielmehr dieſelbe genetiſch zu behandeln, und in der That lag ein entwicklungsgeſchichtliches Element in dieſer Lehre, indem ſie die genetiſche Reihenfolge der Blätter und ihrer Axelſproſſe, welche ja zugleich die Reihenfolge von der Baſis nach dem Gipfel hin iſt, jeder Betrachtung der Pflanzen- form zu Grunde legte. Aber freilich lag auch gerade hierin <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0190" n="178"/><fw place="top" type="header">Die Morphologie unter dem Einfluß der</fw><lb/> Betrachtung und Vergleichung nicht nur der Blüthen und Blüthen-<lb/> ſtände, ſondern auch der vegetativen Sproſſe und ihrer Verzwei-<lb/> gung zu einer großen formalen Vollendung gelangte. 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Die Morphologie unter dem Einfluß der
Betrachtung und Vergleichung nicht nur der Blüthen und Blüthen-
ſtände, ſondern auch der vegetativen Sproſſe und ihrer Verzwei-
gung zu einer großen formalen Vollendung gelangte. Von dem
Princip dieſer Lehre durchdrungen gelang es den Beobachtern,
die verwickeltſten Pflanzengeſtalten dem Leſer oder Hörer in einer
Weiſe zu demonſtriren, daß dieſelben das Geſetz ihres Werdens
offenbarend ſo zu ſagen vor den Augen emporwuchſen, während
zugleich die verborgenſten Beziehungen der Organe derſelben
oder verſchiedener Pflanzen in eleganteſter Ausdrucksweiſe klar
hervortraten. Verband ſich dieſe Darſtellungsweiſe außerdem
mit De Candolle's Anſchauungen von Abortus, den Degene-
rationen und Verwachſungen, nahm ſie zugleich Rückſicht auf die
phyſiologiſchen Hauptformen der Blattgebilde, je nachdem die-
ſelben als Niederblätter, Laub- und Hochblätter, als Blüthen-
hüllen, Staubblätter und Fruchtblätter ausgebildet ſind, ſo ließ
ſich von jeder Pflanzengeſtalt eine künſtleriſche Beſchreibung liefern,
welche bei vollſtändiger ſinnlicher Anſchaulichkeit zugleich das
morphologiſche Geſetz der Geſtalt vorführte. Wer die Schriften
Alexander Braun's, Wydler's ganz beſonders auch die
von Thilo Irmiſch (ſeit 1843), welcher mit dieſer Beſchrei-
bung zugleich die biologiſchen Verhältniſſe der Pflanzen in bezieh-
ungsreicher Weiſe zu verbinden wußte, lieſt, wird nicht umhin
können, die außerordentliche Virtuoſität zu bewundern, mit welcher
dieſe Männer die Pflanzenbeſchreibung zu handhaben wußten.
Den trockenen Diagnoſen der Syſtematiker gegenüber gewann hier
die Beſchreibung die Bedeutung einer Kunſt, welche dem Leſer
auch die gemeinſten Pflanzenformen in einem neuen Licht an-
regend vorführte. Zu all' dem aber kam noch ein Vorzug:
die Blattſtellungslehre ſchien nicht blos die fertige Form der
Pflanze darzuſtellen, vielmehr dieſelbe genetiſch zu behandeln, und
in der That lag ein entwicklungsgeſchichtliches Element in dieſer
Lehre, indem ſie die genetiſche Reihenfolge der Blätter und
ihrer Axelſproſſe, welche ja zugleich die Reihenfolge von der
Baſis nach dem Gipfel hin iſt, jeder Betrachtung der Pflanzen-
form zu Grunde legte. Aber freilich lag auch gerade hierin
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