einzuwenden. Die weitere Ausbildung der Metamorphosenlehre geschah daher ganz auf dem Boden der Naturphilosophie, welche die Ergebnisse des rein idealistischen Standpunctes auf unvoll- kommen beobachtete Thatsachen kritiklos anzuwenden gewohnt war. Vor Allem blieb der Widerspruch ungelöst, wie das Dogma von der Constanz der Species mit der "Idee der Metamorphose" der Organe in einen logischen Zusammenhang zu bringen sei. Das Uebernatürliche, was Elias Fries im natürlichen System fand, blieb nun auch in der Metamorphosenlehre, in der Ver- gleichung der Organe einer Pflanze bestehen.
Noch viel unklarer und ganz aus der Naturphilosophie jener Zeit herausgewachsen ist Goethe's Ansicht von der "Spiral- tendenz der Vegetation" (1831): "Hat man den Begriff der Metamorphose (heißt es 1. c. p. 194) vollkommen gefaßt, so achtet man ferner, um die Ausbildung der Pflanze näher zu erkennen, zuerst auf die verticale Tendenz. Diese ist anzusehen, wie ein geistiger Stab, welcher das Dasein begründet ... Dieses Lebens- princip (!) manifestirt sich in den Längsfasern, die wir als bieg- same Fäden zu dem mannigfaltigsten Gebrauch benutzen; es ist dasjenige, was bei den Bäumen das Holz ausmacht, was die einjährigen, zweijährigen aufrecht erhält, ja selbst in rankenden, kriechenden Gewächsen die Ausdehnung von Knoten zu Knoten bewirkt. Sodann aber haben wir die Spiralrichtung zu beob- achten, welche sich um jene herumschlingt." Diese Spiralrichtung, die nun sofort bei Goethe in eine "Spiraltendenz" übergeht, wird an verschiedenen Vegetationserscheinungen z. B. an den Spiralgefäßen, windenden Stengeln, gelegentlich auch an der Blattstellung nachgewiesen. Wie weit sich Goethe in die Ab- strusitäten der Naturphilosophie verirrte, zeigen die Schlußbemer- kungen dieses kleinen Aufsatzes, wo die Verticaltendenz als das Männliche, die Spiraltendenz als das Weibliche in der Pflanze gedeutet wird. Damit war man in die tiefsten Tiefen der Mystik eingeführt.
Es wäre ebenso nutzlos wie ermüdend, die bis zum äußer- sten Grade der Absurdität fortschreitende Umgestaltung der Meta-
Die Morphologie unter dem Einfluß der
einzuwenden. Die weitere Ausbildung der Metamorphoſenlehre geſchah daher ganz auf dem Boden der Naturphiloſophie, welche die Ergebniſſe des rein idealiſtiſchen Standpunctes auf unvoll- kommen beobachtete Thatſachen kritiklos anzuwenden gewohnt war. Vor Allem blieb der Widerſpruch ungelöſt, wie das Dogma von der Conſtanz der Species mit der „Idee der Metamorphoſe“ der Organe in einen logiſchen Zuſammenhang zu bringen ſei. Das Uebernatürliche, was Elias Fries im natürlichen Syſtem fand, blieb nun auch in der Metamorphoſenlehre, in der Ver- gleichung der Organe einer Pflanze beſtehen.
Noch viel unklarer und ganz aus der Naturphiloſophie jener Zeit herausgewachſen iſt Goethe's Anſicht von der „Spiral- tendenz der Vegetation“ (1831): „Hat man den Begriff der Metamorphoſe (heißt es 1. c. p. 194) vollkommen gefaßt, ſo achtet man ferner, um die Ausbildung der Pflanze näher zu erkennen, zuerſt auf die verticale Tendenz. Dieſe iſt anzuſehen, wie ein geiſtiger Stab, welcher das Daſein begründet ... Dieſes Lebens- princip (!) manifeſtirt ſich in den Längsfaſern, die wir als bieg- ſame Fäden zu dem mannigfaltigſten Gebrauch benutzen; es iſt dasjenige, was bei den Bäumen das Holz ausmacht, was die einjährigen, zweijährigen aufrecht erhält, ja ſelbſt in rankenden, kriechenden Gewächſen die Ausdehnung von Knoten zu Knoten bewirkt. Sodann aber haben wir die Spiralrichtung zu beob- achten, welche ſich um jene herumſchlingt.“ Dieſe Spiralrichtung, die nun ſofort bei Goethe in eine „Spiraltendenz“ übergeht, wird an verſchiedenen Vegetationserſcheinungen z. B. an den Spiralgefäßen, windenden Stengeln, gelegentlich auch an der Blattſtellung nachgewieſen. Wie weit ſich Goethe in die Ab- ſtruſitäten der Naturphiloſophie verirrte, zeigen die Schlußbemer- kungen dieſes kleinen Aufſatzes, wo die Verticaltendenz als das Männliche, die Spiraltendenz als das Weibliche in der Pflanze gedeutet wird. Damit war man in die tiefſten Tiefen der Myſtik eingeführt.
Es wäre ebenſo nutzlos wie ermüdend, die bis zum äußer- ſten Grade der Abſurdität fortſchreitende Umgeſtaltung der Meta-
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Die Morphologie unter dem Einfluß der
einzuwenden. Die weitere Ausbildung der Metamorphoſenlehre
geſchah daher ganz auf dem Boden der Naturphiloſophie, welche
die Ergebniſſe des rein idealiſtiſchen Standpunctes auf unvoll-
kommen beobachtete Thatſachen kritiklos anzuwenden gewohnt
war. Vor Allem blieb der Widerſpruch ungelöſt, wie das Dogma
von der Conſtanz der Species mit der „Idee der Metamorphoſe“
der Organe in einen logiſchen Zuſammenhang zu bringen ſei.
Das Uebernatürliche, was Elias Fries im natürlichen Syſtem
fand, blieb nun auch in der Metamorphoſenlehre, in der Ver-
gleichung der Organe einer Pflanze beſtehen.
Noch viel unklarer und ganz aus der Naturphiloſophie jener
Zeit herausgewachſen iſt Goethe's Anſicht von der „Spiral-
tendenz der Vegetation“ (1831): „Hat man den Begriff der
Metamorphoſe (heißt es 1. c. p. 194) vollkommen gefaßt, ſo
achtet man ferner, um die Ausbildung der Pflanze näher zu erkennen,
zuerſt auf die verticale Tendenz. Dieſe iſt anzuſehen, wie ein
geiſtiger Stab, welcher das Daſein begründet ... Dieſes Lebens-
princip (!) manifeſtirt ſich in den Längsfaſern, die wir als bieg-
ſame Fäden zu dem mannigfaltigſten Gebrauch benutzen; es iſt
dasjenige, was bei den Bäumen das Holz ausmacht, was die
einjährigen, zweijährigen aufrecht erhält, ja ſelbſt in rankenden,
kriechenden Gewächſen die Ausdehnung von Knoten zu Knoten
bewirkt. Sodann aber haben wir die Spiralrichtung zu beob-
achten, welche ſich um jene herumſchlingt.“ Dieſe Spiralrichtung,
die nun ſofort bei Goethe in eine „Spiraltendenz“ übergeht,
wird an verſchiedenen Vegetationserſcheinungen z. B. an den
Spiralgefäßen, windenden Stengeln, gelegentlich auch an der
Blattſtellung nachgewieſen. Wie weit ſich Goethe in die Ab-
ſtruſitäten der Naturphiloſophie verirrte, zeigen die Schlußbemer-
kungen dieſes kleinen Aufſatzes, wo die Verticaltendenz als das
Männliche, die Spiraltendenz als das Weibliche in der Pflanze
gedeutet wird. Damit war man in die tiefſten Tiefen der Myſtik
eingeführt.
Es wäre ebenſo nutzlos wie ermüdend, die bis zum äußer-
ſten Grade der Abſurdität fortſchreitende Umgeſtaltung der Meta-
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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