der Ausdruck Blatt bezeichnet bei diesem Standpunct nur eine ideale Grundform, von welcher die verschiedenen wirklich beobach- teten Blattgebilde, wie die constanten Species bei De Candolle von einem idealen Typus sich ableiten lassen.
Wenn man nun Goethe's spätere Bemerkungen zur Metamorphosenlehre aufmerksam liest 1), so bemerkt man leicht, daß er keine von diesen beiden Consequenzen wirklich zog, sondern zwischen beiden beständig hin- und herschwankte; es ließe sich eine Reihe von Sätzen sammeln, welche wir, wie es manche neuere Schriftsteller auch wirklich thun, als Vorboten einer Descen- denztheorie deuten könnten; ebenso leicht aber ist es, aus Goethe's Sätzen eine Sammlung anzulegen, die uns ganz auf den Stand- punct der Idealphilosophie und der constanten Species zurück- führt. Erst in seinen letzten Lebensjahren trat bei Goethe die Annahme einer physischen, in der Zeit vollzogenen Metamor- phose, also die Forderung einer Veränderung der Species zur Erklärung der Metamorphose deutlicher hervor. Hiefür spricht vorwiegend der lebhafte, ja leidenschaftliche Antheil, den Goethe an dem 1830 zwischen Cuvier und Geoffroy de Saint- Hilaire geführten Streit nahm 2). Wir entnehmen daraus, daß sich bei Goethe trotz aller Verirrungen in die Unklarheiten der damaligen Naturphilosophie doch nach und nach das Bedürf- niß nach einer klareren Einsicht in das Wesen der Metamorphose sowohl bei Pflanzen wie bei Thieren regte; ohne daß es ihm gelang, zu voller Klarheit durchzudringen.
Für die Geschichte der Botanik blieben diese besseren Regun- gen jedoch ohne Bedeutung; denn die Anhänger seiner Metamor- phosenlehre faßten sie sämmtlich im "naturphilosophischen" Sinne auf und Goethe hatte selbst gegen die furchtbaren Entstellun- gen, welche seine Lehre durch die Naturphilosophen erfuhr, Nichts
1) Vergl. Goethe's sämmtliche Werke in 40 Bänden von Cotta 1858 Bd. 36.
der Ausdruck Blatt bezeichnet bei dieſem Standpunct nur eine ideale Grundform, von welcher die verſchiedenen wirklich beobach- teten Blattgebilde, wie die conſtanten Species bei De Candolle von einem idealen Typus ſich ableiten laſſen.
Wenn man nun Goethe's ſpätere Bemerkungen zur Metamorphoſenlehre aufmerkſam lieſt 1), ſo bemerkt man leicht, daß er keine von dieſen beiden Conſequenzen wirklich zog, ſondern zwiſchen beiden beſtändig hin- und herſchwankte; es ließe ſich eine Reihe von Sätzen ſammeln, welche wir, wie es manche neuere Schriftſteller auch wirklich thun, als Vorboten einer Deſcen- denztheorie deuten könnten; ebenſo leicht aber iſt es, aus Goethe's Sätzen eine Sammlung anzulegen, die uns ganz auf den Stand- punct der Idealphiloſophie und der conſtanten Species zurück- führt. Erſt in ſeinen letzten Lebensjahren trat bei Goethe die Annahme einer phyſiſchen, in der Zeit vollzogenen Metamor- phoſe, alſo die Forderung einer Veränderung der Species zur Erklärung der Metamorphoſe deutlicher hervor. Hiefür ſpricht vorwiegend der lebhafte, ja leidenſchaftliche Antheil, den Goethe an dem 1830 zwiſchen Cuvier und Geoffroy de Saint- Hilaire geführten Streit nahm 2). Wir entnehmen daraus, daß ſich bei Goethe trotz aller Verirrungen in die Unklarheiten der damaligen Naturphiloſophie doch nach und nach das Bedürf- niß nach einer klareren Einſicht in das Weſen der Metamorphoſe ſowohl bei Pflanzen wie bei Thieren regte; ohne daß es ihm gelang, zu voller Klarheit durchzudringen.
Für die Geſchichte der Botanik blieben dieſe beſſeren Regun- gen jedoch ohne Bedeutung; denn die Anhänger ſeiner Metamor- phoſenlehre faßten ſie ſämmtlich im „naturphiloſophiſchen“ Sinne auf und Goethe hatte ſelbſt gegen die furchtbaren Entſtellun- gen, welche ſeine Lehre durch die Naturphiloſophen erfuhr, Nichts
1) Vergl. Goethe's ſämmtliche Werke in 40 Bänden von Cotta 1858 Bd. 36.
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[171/0183]
Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie.
der Ausdruck Blatt bezeichnet bei dieſem Standpunct nur eine
ideale Grundform, von welcher die verſchiedenen wirklich beobach-
teten Blattgebilde, wie die conſtanten Species bei De Candolle
von einem idealen Typus ſich ableiten laſſen.
Wenn man nun Goethe's ſpätere Bemerkungen zur
Metamorphoſenlehre aufmerkſam lieſt 1), ſo bemerkt man leicht,
daß er keine von dieſen beiden Conſequenzen wirklich zog, ſondern
zwiſchen beiden beſtändig hin- und herſchwankte; es ließe ſich
eine Reihe von Sätzen ſammeln, welche wir, wie es manche
neuere Schriftſteller auch wirklich thun, als Vorboten einer Deſcen-
denztheorie deuten könnten; ebenſo leicht aber iſt es, aus Goethe's
Sätzen eine Sammlung anzulegen, die uns ganz auf den Stand-
punct der Idealphiloſophie und der conſtanten Species zurück-
führt. Erſt in ſeinen letzten Lebensjahren trat bei Goethe
die Annahme einer phyſiſchen, in der Zeit vollzogenen Metamor-
phoſe, alſo die Forderung einer Veränderung der Species zur
Erklärung der Metamorphoſe deutlicher hervor. Hiefür ſpricht
vorwiegend der lebhafte, ja leidenſchaftliche Antheil, den Goethe
an dem 1830 zwiſchen Cuvier und Geoffroy de Saint-
Hilaire geführten Streit nahm 2). Wir entnehmen daraus,
daß ſich bei Goethe trotz aller Verirrungen in die Unklarheiten
der damaligen Naturphiloſophie doch nach und nach das Bedürf-
niß nach einer klareren Einſicht in das Weſen der Metamorphoſe
ſowohl bei Pflanzen wie bei Thieren regte; ohne daß es ihm
gelang, zu voller Klarheit durchzudringen.
Für die Geſchichte der Botanik blieben dieſe beſſeren Regun-
gen jedoch ohne Bedeutung; denn die Anhänger ſeiner Metamor-
phoſenlehre faßten ſie ſämmtlich im „naturphiloſophiſchen“ Sinne
auf und Goethe hatte ſelbſt gegen die furchtbaren Entſtellun-
gen, welche ſeine Lehre durch die Naturphiloſophen erfuhr, Nichts
1) Vergl. Goethe's ſämmtliche Werke in 40 Bänden von Cotta 1858 Bd. 36.
2) Vergl. Häckel, natürl. Schöpfungsgeſchichte 4. Auflage 1873 p. 80 ff.
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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