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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die Morphologie unter dem Einfluß der
er wurde sich nicht klar darüber, daß die normale aufsteigende
Metamorphose nur dann den Sinn einer naturwissenschaftlichen
Thatsache besitzt, wenn man hier, sowie bei der abnormen Meta-
morphose oder Mißbildung eine wirkliche Verwandlung im Lauf
der Fortpflanzung annimmt. Vielmehr zeigt die Vergleichung
der verschiedenen Aeußerungen Goethe's, daß er das Wort
Metamorphose bald in jenem objectiv giltigen, bald wieder bloß
in dem idealen, bildlichen Sinne nahm; so sagt er z. B. aus-
drücklich, "man könne ebenso gut sagen, ein Staubwerkzeug sei
ein zusammengezogenes Blumenblatt, als wir von dem Blumen-
blatt sagen können, es sei ein Staubgefäß im Zustande der
Ausdehnung." Dieser Satz zeigt, daß Goethe nicht etwa eine
bestimmte Blattform als die der Zeit nach erste, aus welcher
durch Verwandlung die anderen hervorgegangen sind, betrachtete;
daß er vielmehr dem Worte Metamorphose einen rein idealen
Sinn unterlegte. In anderen Fällen wieder lassen sich Goethe's
Bemerkungen so deuten, als ob er wirklich die normale aufstei-
gende Metamorphose als eine durch Verwandlung der Species
entstandene, wirkliche Verwandlung der Organe betrachte. Mit
dieser Verwechslung von Begriff und Sache, von Idee und
Wirklichkeit, von subjectiver Auffassung und objectivem Wesen,
stand Goethe ganz auf dem Boden der sogenannten Natur-
philosophie.

Zu strenger Consequenz und Klarheit des Gedankens konnte
Goethe's Metamorphosenlehre nur dann vordringen, wenn
man sich für den einen oder für den andern Weg entschied:
entweder mußte er annehmen, die verschiedenen Blattformen, die
zunächst nur begrifflich als gleichartig betrachtet werden, seien
wirklich durch Umwandlung einer der Zeit nach ersten Blattform
entstanden, eine Annahme, welche sofort die Veränderung der
Species in der Zeit voraussetzte; oder aber er mußte sich ganz
auf den Boden der idealistischen Philosophie stellen, wo Begriff
und Sache zusammenfällt. In diesem Fall war die Annahme
einer zeitlichen Veränderung der Arten nicht nöthig, die Meta-
morphose blieb eine ideale, sie war eine bloße Anschauungsform;

Die Morphologie unter dem Einfluß der
er wurde ſich nicht klar darüber, daß die normale aufſteigende
Metamorphoſe nur dann den Sinn einer naturwiſſenſchaftlichen
Thatſache beſitzt, wenn man hier, ſowie bei der abnormen Meta-
morphoſe oder Mißbildung eine wirkliche Verwandlung im Lauf
der Fortpflanzung annimmt. Vielmehr zeigt die Vergleichung
der verſchiedenen Aeußerungen Goethe's, daß er das Wort
Metamorphoſe bald in jenem objectiv giltigen, bald wieder bloß
in dem idealen, bildlichen Sinne nahm; ſo ſagt er z. B. aus-
drücklich, „man könne ebenſo gut ſagen, ein Staubwerkzeug ſei
ein zuſammengezogenes Blumenblatt, als wir von dem Blumen-
blatt ſagen können, es ſei ein Staubgefäß im Zuſtande der
Ausdehnung.“ Dieſer Satz zeigt, daß Goethe nicht etwa eine
beſtimmte Blattform als die der Zeit nach erſte, aus welcher
durch Verwandlung die anderen hervorgegangen ſind, betrachtete;
daß er vielmehr dem Worte Metamorphoſe einen rein idealen
Sinn unterlegte. In anderen Fällen wieder laſſen ſich Goethe's
Bemerkungen ſo deuten, als ob er wirklich die normale aufſtei-
gende Metamorphoſe als eine durch Verwandlung der Species
entſtandene, wirkliche Verwandlung der Organe betrachte. Mit
dieſer Verwechslung von Begriff und Sache, von Idee und
Wirklichkeit, von ſubjectiver Auffaſſung und objectivem Weſen,
ſtand Goethe ganz auf dem Boden der ſogenannten Natur-
philoſophie.

Zu ſtrenger Conſequenz und Klarheit des Gedankens konnte
Goethe's Metamorphoſenlehre nur dann vordringen, wenn
man ſich für den einen oder für den andern Weg entſchied:
entweder mußte er annehmen, die verſchiedenen Blattformen, die
zunächſt nur begrifflich als gleichartig betrachtet werden, ſeien
wirklich durch Umwandlung einer der Zeit nach erſten Blattform
entſtanden, eine Annahme, welche ſofort die Veränderung der
Species in der Zeit vorausſetzte; oder aber er mußte ſich ganz
auf den Boden der idealiſtiſchen Philoſophie ſtellen, wo Begriff
und Sache zuſammenfällt. In dieſem Fall war die Annahme
einer zeitlichen Veränderung der Arten nicht nöthig, die Meta-
morphoſe blieb eine ideale, ſie war eine bloße Anſchauungsform;

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[170/0182] Die Morphologie unter dem Einfluß der er wurde ſich nicht klar darüber, daß die normale aufſteigende Metamorphoſe nur dann den Sinn einer naturwiſſenſchaftlichen Thatſache beſitzt, wenn man hier, ſowie bei der abnormen Meta- morphoſe oder Mißbildung eine wirkliche Verwandlung im Lauf der Fortpflanzung annimmt. Vielmehr zeigt die Vergleichung der verſchiedenen Aeußerungen Goethe's, daß er das Wort Metamorphoſe bald in jenem objectiv giltigen, bald wieder bloß in dem idealen, bildlichen Sinne nahm; ſo ſagt er z. B. aus- drücklich, „man könne ebenſo gut ſagen, ein Staubwerkzeug ſei ein zuſammengezogenes Blumenblatt, als wir von dem Blumen- blatt ſagen können, es ſei ein Staubgefäß im Zuſtande der Ausdehnung.“ Dieſer Satz zeigt, daß Goethe nicht etwa eine beſtimmte Blattform als die der Zeit nach erſte, aus welcher durch Verwandlung die anderen hervorgegangen ſind, betrachtete; daß er vielmehr dem Worte Metamorphoſe einen rein idealen Sinn unterlegte. In anderen Fällen wieder laſſen ſich Goethe's Bemerkungen ſo deuten, als ob er wirklich die normale aufſtei- gende Metamorphoſe als eine durch Verwandlung der Species entſtandene, wirkliche Verwandlung der Organe betrachte. Mit dieſer Verwechslung von Begriff und Sache, von Idee und Wirklichkeit, von ſubjectiver Auffaſſung und objectivem Weſen, ſtand Goethe ganz auf dem Boden der ſogenannten Natur- philoſophie. Zu ſtrenger Conſequenz und Klarheit des Gedankens konnte Goethe's Metamorphoſenlehre nur dann vordringen, wenn man ſich für den einen oder für den andern Weg entſchied: entweder mußte er annehmen, die verſchiedenen Blattformen, die zunächſt nur begrifflich als gleichartig betrachtet werden, ſeien wirklich durch Umwandlung einer der Zeit nach erſten Blattform entſtanden, eine Annahme, welche ſofort die Veränderung der Species in der Zeit vorausſetzte; oder aber er mußte ſich ganz auf den Boden der idealiſtiſchen Philoſophie ſtellen, wo Begriff und Sache zuſammenfällt. In dieſem Fall war die Annahme einer zeitlichen Veränderung der Arten nicht nöthig, die Meta- morphoſe blieb eine ideale, ſie war eine bloße Anſchauungsform;

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/182>, abgerufen am 24.11.2024.