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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Metamorphosenlehre und der Spiraltheorie.
eine solche hervorgeht, welche an Stelle der Staubgefäße Blumen-
blätter besitzt, oder deren Fruchtknoten in grüne, offene Blätter
aufgelöst ist und dergl. mehr, so ist thatsächlich aus einer Pflanze
von bekannter Form eine andere Pflanze von anderer Form
hervorgegangen, es hat wirklich eine Verwandlung oder Meta-
morphose stattgefunden. Ganz anders gestaltet sich die logische
Behandlung dessen, was Goethe die normale oder aufsteigende
Metamorphose nennt. Wenn an einer gegebenen Pflanzenart,
welche sich constant mit allen ihren Merkmalen seit unzähligen
Generationen erhalten hat, die Cotyledonen, die Laubblätter,
Deckblätter und Blüthentheile als Blätter bezeichnet werden, so
beruht dieß zunächst bloß auf Abstraction, welche zu einer Ver-
allgemeinerung des Begriffes Blatt hinführt: indem man von
den physiologischen Eigenschaften der Carpelle, Staubgefäße,
Blumenblätter und Cotyledonen abstrahirt, nur die Art ihrer
Entstehung am Stengel in Betracht zieht, ist man berechtigt, sie
mit den gewöhnlichen Laubblättern in einen verallgemeinerten
Begriff zusammenzufassen, den man zunächst ganz willkürlich mit
dem Worte Blatt bezeichnet. Zunächst hat man hierbei gar keine
Berechtigung, von einer Verwandlung dieser Organe zu reden, so
lange man die ganze Pflanze, um die es sich handelt, als eine
erblich constante Form betrachtet. Für die constant genommene
Pflanzenform hat der Begriff Metamorphose also nur eine
bildliche Bedeutung; man überträgt die von dem Verstand voll-
zogene Abstraction auf das Object selbst, indem man diesem eine
Metamorphose zuschreibt, die sich im Grunde genommen nur in
unserem Begriff vollzogen hat. Ganz anders freilich wäre die
Sache, wenn wir auch hier wie bei jenen obengenannten abnormen
Fällen, annehmen dürften, daß bei den Vorfahren der uns vor-
liegenden Pflanzenform, die Staubfäden gewöhnliche Blätter
waren u. s. w. So lange diese Annahme einer wirklich statt-
gefundenen Veränderung nicht wenigstens hypothetisch gemacht
wird, bleibt der Ausdruck Verwandlung oder Metamorphose ein
rein bildlicher, oder die Metamorphose ist eine bloße "Idee".
Goethe hat nun diese Unterscheidungen keineswegs gemacht;

Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie.
eine ſolche hervorgeht, welche an Stelle der Staubgefäße Blumen-
blätter beſitzt, oder deren Fruchtknoten in grüne, offene Blätter
aufgelöſt iſt und dergl. mehr, ſo iſt thatſächlich aus einer Pflanze
von bekannter Form eine andere Pflanze von anderer Form
hervorgegangen, es hat wirklich eine Verwandlung oder Meta-
morphoſe ſtattgefunden. Ganz anders geſtaltet ſich die logiſche
Behandlung deſſen, was Goethe die normale oder aufſteigende
Metamorphoſe nennt. Wenn an einer gegebenen Pflanzenart,
welche ſich conſtant mit allen ihren Merkmalen ſeit unzähligen
Generationen erhalten hat, die Cotyledonen, die Laubblätter,
Deckblätter und Blüthentheile als Blätter bezeichnet werden, ſo
beruht dieß zunächſt bloß auf Abſtraction, welche zu einer Ver-
allgemeinerung des Begriffes Blatt hinführt: indem man von
den phyſiologiſchen Eigenſchaften der Carpelle, Staubgefäße,
Blumenblätter und Cotyledonen abſtrahirt, nur die Art ihrer
Entſtehung am Stengel in Betracht zieht, iſt man berechtigt, ſie
mit den gewöhnlichen Laubblättern in einen verallgemeinerten
Begriff zuſammenzufaſſen, den man zunächſt ganz willkürlich mit
dem Worte Blatt bezeichnet. Zunächſt hat man hierbei gar keine
Berechtigung, von einer Verwandlung dieſer Organe zu reden, ſo
lange man die ganze Pflanze, um die es ſich handelt, als eine
erblich conſtante Form betrachtet. Für die conſtant genommene
Pflanzenform hat der Begriff Metamorphoſe alſo nur eine
bildliche Bedeutung; man überträgt die von dem Verſtand voll-
zogene Abſtraction auf das Object ſelbſt, indem man dieſem eine
Metamorphoſe zuſchreibt, die ſich im Grunde genommen nur in
unſerem Begriff vollzogen hat. Ganz anders freilich wäre die
Sache, wenn wir auch hier wie bei jenen obengenannten abnormen
Fällen, annehmen dürften, daß bei den Vorfahren der uns vor-
liegenden Pflanzenform, die Staubfäden gewöhnliche Blätter
waren u. ſ. w. So lange dieſe Annahme einer wirklich ſtatt-
gefundenen Veränderung nicht wenigſtens hypothetiſch gemacht
wird, bleibt der Ausdruck Verwandlung oder Metamorphoſe ein
rein bildlicher, oder die Metamorphoſe iſt eine bloße „Idee“.
Goethe hat nun dieſe Unterſcheidungen keineswegs gemacht;

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[169/0181] Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie. eine ſolche hervorgeht, welche an Stelle der Staubgefäße Blumen- blätter beſitzt, oder deren Fruchtknoten in grüne, offene Blätter aufgelöſt iſt und dergl. mehr, ſo iſt thatſächlich aus einer Pflanze von bekannter Form eine andere Pflanze von anderer Form hervorgegangen, es hat wirklich eine Verwandlung oder Meta- morphoſe ſtattgefunden. Ganz anders geſtaltet ſich die logiſche Behandlung deſſen, was Goethe die normale oder aufſteigende Metamorphoſe nennt. Wenn an einer gegebenen Pflanzenart, welche ſich conſtant mit allen ihren Merkmalen ſeit unzähligen Generationen erhalten hat, die Cotyledonen, die Laubblätter, Deckblätter und Blüthentheile als Blätter bezeichnet werden, ſo beruht dieß zunächſt bloß auf Abſtraction, welche zu einer Ver- allgemeinerung des Begriffes Blatt hinführt: indem man von den phyſiologiſchen Eigenſchaften der Carpelle, Staubgefäße, Blumenblätter und Cotyledonen abſtrahirt, nur die Art ihrer Entſtehung am Stengel in Betracht zieht, iſt man berechtigt, ſie mit den gewöhnlichen Laubblättern in einen verallgemeinerten Begriff zuſammenzufaſſen, den man zunächſt ganz willkürlich mit dem Worte Blatt bezeichnet. Zunächſt hat man hierbei gar keine Berechtigung, von einer Verwandlung dieſer Organe zu reden, ſo lange man die ganze Pflanze, um die es ſich handelt, als eine erblich conſtante Form betrachtet. Für die conſtant genommene Pflanzenform hat der Begriff Metamorphoſe alſo nur eine bildliche Bedeutung; man überträgt die von dem Verſtand voll- zogene Abſtraction auf das Object ſelbſt, indem man dieſem eine Metamorphoſe zuſchreibt, die ſich im Grunde genommen nur in unſerem Begriff vollzogen hat. Ganz anders freilich wäre die Sache, wenn wir auch hier wie bei jenen obengenannten abnormen Fällen, annehmen dürften, daß bei den Vorfahren der uns vor- liegenden Pflanzenform, die Staubfäden gewöhnliche Blätter waren u. ſ. w. So lange dieſe Annahme einer wirklich ſtatt- gefundenen Veränderung nicht wenigſtens hypothetiſch gemacht wird, bleibt der Ausdruck Verwandlung oder Metamorphoſe ein rein bildlicher, oder die Metamorphoſe iſt eine bloße „Idee“. Goethe hat nun dieſe Unterſcheidungen keineswegs gemacht;

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/181>, abgerufen am 22.11.2024.