nem und exogenem Wachsthum der Stämme festgehalten ist, nachdem bereits 1831 Hugo Mohl auf das Bestimmteste den Nachweis geliefert hatte, daß dieser von Desfontaines auf- gestellte von De Candolle adoptirte Unterschied überhaupt gar nicht existirt. Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Charak- teristik der Cryptogamen, in welche man wiederholt das Merkmal als durchschlagend aufnahm, daß ihnen die Sexualorgane fehlen, obgleich man schon vor 1845 verschiedene Fälle der Sexualität bei den Cryp- togamen kannte: Schmidel hatte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Sexualorgane der Lebermoose, Hedwig 1782 die der Laubmoose beschrieben und Vaucher 1803 bereits den Gedanken ausgesprochen, daß die Conjugation der Spirogyren unter den Algen als ein Sexualact aufzufassen sei; mit diesen Andeutungen wußten die Systematiker freilich Nichts anzufangen.
Ein anderer Uebelstand machte sich dadurch geltend, daß man bei der classificatorischen Thätigkeit Untersuchung und Dar- stellung oft verwechselte; die Untersuchung aller Merkmale soll dahin führen, die systematische Bedeutung gewisser, bestimmter Merkmale oder den classificatorischen Werth derselben festzustellen. Ist dieß durch die Untersuchung geschehen, dann genügt es bei der Darstellung des Systems, allein die entscheidenden Merkmale hervorzuheben; und häufig genügt ein einziges, um eine natür- liche Gruppe zu vereinigen. Ein solches leitendes Merkmal ist wie die Fahne eines Regiments, die an und für sich ebenso wie jenes gar Nichts bedeutet, aber den großen practischen Nutzen gewährt, eine ganze Gruppe von Merkmalen, die damit verbun- den sind, zu signalisiren. In dieser Hinsicht aber trat ein noch größerer Uebelstand darin hervor, daß es fast keiner der Syste- matiker nach De Candolle versuchte, die Grundsätze, nach denen das natürliche System bearbeitet wird, zu klarem Bewußtsein zu erheben und sie im Zusammenhang als Theorie des Systems darzustellen. Dieß hatte nicht nur für den Lernenden den großen Uebelstand, daß er bei dem Studium des natürlichen Systems die Eintheilung einfach als Thatsache unverstanden hinnehmen mußte, es hatte vielmehr die noch weit üblere Folge, daß die
Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem
nem und exogenem Wachsthum der Stämme feſtgehalten iſt, nachdem bereits 1831 Hugo Mohl auf das Beſtimmteſte den Nachweis geliefert hatte, daß dieſer von Desfontaines auf- geſtellte von De Candolle adoptirte Unterſchied überhaupt gar nicht exiſtirt. Ganz ähnlich verhielt es ſich mit der Charak- teriſtik der Cryptogamen, in welche man wiederholt das Merkmal als durchſchlagend aufnahm, daß ihnen die Sexualorgane fehlen, obgleich man ſchon vor 1845 verſchiedene Fälle der Sexualität bei den Cryp- togamen kannte: Schmidel hatte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Sexualorgane der Lebermooſe, Hedwig 1782 die der Laubmooſe beſchrieben und Vaucher 1803 bereits den Gedanken ausgeſprochen, daß die Conjugation der Spirogyren unter den Algen als ein Sexualact aufzufaſſen ſei; mit dieſen Andeutungen wußten die Syſtematiker freilich Nichts anzufangen.
Ein anderer Uebelſtand machte ſich dadurch geltend, daß man bei der claſſificatoriſchen Thätigkeit Unterſuchung und Dar- ſtellung oft verwechſelte; die Unterſuchung aller Merkmale ſoll dahin führen, die ſyſtematiſche Bedeutung gewiſſer, beſtimmter Merkmale oder den claſſificatoriſchen Werth derſelben feſtzuſtellen. Iſt dieß durch die Unterſuchung geſchehen, dann genügt es bei der Darſtellung des Syſtems, allein die entſcheidenden Merkmale hervorzuheben; und häufig genügt ein einziges, um eine natür- liche Gruppe zu vereinigen. Ein ſolches leitendes Merkmal iſt wie die Fahne eines Regiments, die an und für ſich ebenſo wie jenes gar Nichts bedeutet, aber den großen practiſchen Nutzen gewährt, eine ganze Gruppe von Merkmalen, die damit verbun- den ſind, zu ſignaliſiren. In dieſer Hinſicht aber trat ein noch größerer Uebelſtand darin hervor, daß es faſt keiner der Syſte- matiker nach De Candolle verſuchte, die Grundſätze, nach denen das natürliche Syſtem bearbeitet wird, zu klarem Bewußtſein zu erheben und ſie im Zuſammenhang als Theorie des Syſtems darzuſtellen. Dieß hatte nicht nur für den Lernenden den großen Uebelſtand, daß er bei dem Studium des natürlichen Syſtems die Eintheilung einfach als Thatſache unverſtanden hinnehmen mußte, es hatte vielmehr die noch weit üblere Folge, daß die
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Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem
nem und exogenem Wachsthum der Stämme feſtgehalten iſt,
nachdem bereits 1831 Hugo Mohl auf das Beſtimmteſte den
Nachweis geliefert hatte, daß dieſer von Desfontaines auf-
geſtellte von De Candolle adoptirte Unterſchied überhaupt
gar nicht exiſtirt. Ganz ähnlich verhielt es ſich mit der Charak-
teriſtik der Cryptogamen, in welche man wiederholt das Merkmal als
durchſchlagend aufnahm, daß ihnen die Sexualorgane fehlen, obgleich
man ſchon vor 1845 verſchiedene Fälle der Sexualität bei den Cryp-
togamen kannte: Schmidel hatte um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts die Sexualorgane der Lebermooſe, Hedwig 1782
die der Laubmooſe beſchrieben und Vaucher 1803 bereits den
Gedanken ausgeſprochen, daß die Conjugation der Spirogyren
unter den Algen als ein Sexualact aufzufaſſen ſei; mit dieſen
Andeutungen wußten die Syſtematiker freilich Nichts anzufangen.
Ein anderer Uebelſtand machte ſich dadurch geltend, daß
man bei der claſſificatoriſchen Thätigkeit Unterſuchung und Dar-
ſtellung oft verwechſelte; die Unterſuchung aller Merkmale ſoll
dahin führen, die ſyſtematiſche Bedeutung gewiſſer, beſtimmter
Merkmale oder den claſſificatoriſchen Werth derſelben feſtzuſtellen.
Iſt dieß durch die Unterſuchung geſchehen, dann genügt es bei
der Darſtellung des Syſtems, allein die entſcheidenden Merkmale
hervorzuheben; und häufig genügt ein einziges, um eine natür-
liche Gruppe zu vereinigen. Ein ſolches leitendes Merkmal iſt
wie die Fahne eines Regiments, die an und für ſich ebenſo wie
jenes gar Nichts bedeutet, aber den großen practiſchen Nutzen
gewährt, eine ganze Gruppe von Merkmalen, die damit verbun-
den ſind, zu ſignaliſiren. In dieſer Hinſicht aber trat ein noch
größerer Uebelſtand darin hervor, daß es faſt keiner der Syſte-
matiker nach De Candolle verſuchte, die Grundſätze, nach denen
das natürliche Syſtem bearbeitet wird, zu klarem Bewußtſein zu
erheben und ſie im Zuſammenhang als Theorie des Syſtems
darzuſtellen. Dieß hatte nicht nur für den Lernenden den großen
Uebelſtand, daß er bei dem Studium des natürlichen Syſtems
die Eintheilung einfach als Thatſache unverſtanden hinnehmen
mußte, es hatte vielmehr die noch weit üblere Folge, daß die
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/172>, abgerufen am 16.02.2025.
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