praktischen Gebrauch nützliche, die sich in seinem künstlichen Sexualsystem aussprach und eine tiefere an sich wissenschaftlich werthvolle, welcher er in seinem Fragment und in den obenge- nannten natürlichen Gruppen Ausdruck gab.
Gerade so verhielt es sich auch mit Linne's morphologi- schen Ansichten; auch in dieser Beziehung ging eine flachere neben einer tieferen Auffassung her. Für den praktischen Gebrauch bei der Pflanzenbeschreibung bildete er seine Nomenclatur der Theile aus, welche, so brauchbar sie auch ist, doch flach oder oberflächlich erscheint, da ihr jede tiefere Begründung durch vergleichende Formbetrachtung fehlt. Daneben kommt aber an den verschie- densten Stellen seiner Schriften doch immer wieder das Bedürfniß nach einer tieferen Auffassung der Pflanzenformen zum Vorschein; was er darüber zu sagen wußte, faßte er unter dem Namen metamorphosis plantarum zusammen; der Inhalt seiner Me- tamorphosenlehre aber basirt ganz und gar auf den uns bereits bekannten Anschauungen Caesalpin's, welche er jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Form aufnahm, sondern in ächt caesalpinscher Weise weiter auszuspinnen suchte, indem er einerseits die Blätter und Blüthentheile aus den Gewebeschichten des Stammes ableitete, andererseits aber die Blüthentheile selbst nur als veränderte Blätter auffaßte. In etwas confuser Form tritt diese Lehre von der Metamorphosis auf der letzten Seite seiner Philosophia botanica auf. Da heißt es z. B.: das ganze Kraut ist eine Fortsetzung der Medullarsubstanz der Wurzel; das Princip der Blüthen und Blätter ist dasselbe, wobei man sich in Linne's Sinne hinzudenken muß: weil beide aus den das Mark umgebenden Gewebeschichten entstehen, wie Caesalpin gelehrt hatte; abweichend von Letzterem und jedenfalls in sich inkonsequent wäre aber die darauf folgende Behauptung, das Princip der Knospe und Blätter sei identisch, wenn nicht die Erklärung folgte, die Knospe bestehe aus rudimentären Blättern, so daß also der Axentheil der Knospe gar nicht beachtet wird. Das Perianthium entsteht nach ihm aus verwachsenen Blatt- rudimenten. Wie eng sich Linne noch in seinen späten Jahren
Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
praktiſchen Gebrauch nützliche, die ſich in ſeinem künſtlichen Sexualſyſtem ausſprach und eine tiefere an ſich wiſſenſchaftlich werthvolle, welcher er in ſeinem Fragment und in den obenge- nannten natürlichen Gruppen Ausdruck gab.
Gerade ſo verhielt es ſich auch mit Linné's morphologi- ſchen Anſichten; auch in dieſer Beziehung ging eine flachere neben einer tieferen Auffaſſung her. Für den praktiſchen Gebrauch bei der Pflanzenbeſchreibung bildete er ſeine Nomenclatur der Theile aus, welche, ſo brauchbar ſie auch iſt, doch flach oder oberflächlich erſcheint, da ihr jede tiefere Begründung durch vergleichende Formbetrachtung fehlt. Daneben kommt aber an den verſchie- denſten Stellen ſeiner Schriften doch immer wieder das Bedürfniß nach einer tieferen Auffaſſung der Pflanzenformen zum Vorſchein; was er darüber zu ſagen wußte, faßte er unter dem Namen metamorphosis plantarum zuſammen; der Inhalt ſeiner Me- tamorphoſenlehre aber baſirt ganz und gar auf den uns bereits bekannten Anſchauungen Caeſalpin's, welche er jedoch nicht in ihrer urſprünglichen Form aufnahm, ſondern in ächt caeſalpinſcher Weiſe weiter auszuſpinnen ſuchte, indem er einerſeits die Blätter und Blüthentheile aus den Gewebeſchichten des Stammes ableitete, andererſeits aber die Blüthentheile ſelbſt nur als veränderte Blätter auffaßte. In etwas confuſer Form tritt dieſe Lehre von der Metamorphoſis auf der letzten Seite ſeiner Philosophia botanica auf. Da heißt es z. B.: das ganze Kraut iſt eine Fortſetzung der Medullarſubſtanz der Wurzel; das Princip der Blüthen und Blätter iſt dasſelbe, wobei man ſich in Linné's Sinne hinzudenken muß: weil beide aus den das Mark umgebenden Gewebeſchichten entſtehen, wie Caeſalpin gelehrt hatte; abweichend von Letzterem und jedenfalls in ſich inkonſequent wäre aber die darauf folgende Behauptung, das Princip der Knoſpe und Blätter ſei identiſch, wenn nicht die Erklärung folgte, die Knoſpe beſtehe aus rudimentären Blättern, ſo daß alſo der Axentheil der Knoſpe gar nicht beachtet wird. Das Perianthium entſteht nach ihm aus verwachſenen Blatt- rudimenten. Wie eng ſich Linné noch in ſeinen ſpäten Jahren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0122"n="110"/><fwplace="top"type="header">Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur</fw><lb/>
praktiſchen Gebrauch nützliche, die ſich in ſeinem künſtlichen<lb/>
Sexualſyſtem ausſprach und eine tiefere an ſich wiſſenſchaftlich<lb/>
werthvolle, welcher er in ſeinem Fragment und in den obenge-<lb/>
nannten natürlichen Gruppen Ausdruck gab.</p><lb/><p>Gerade ſo verhielt es ſich auch mit <hirendition="#g">Linn<hirendition="#aq">é</hi></hi>'s morphologi-<lb/>ſchen Anſichten; auch in dieſer Beziehung ging eine flachere neben<lb/>
einer tieferen Auffaſſung her. Für den praktiſchen Gebrauch bei<lb/>
der Pflanzenbeſchreibung bildete er ſeine Nomenclatur der Theile<lb/>
aus, welche, ſo brauchbar ſie auch iſt, doch flach oder oberflächlich<lb/>
erſcheint, da ihr jede tiefere Begründung durch vergleichende<lb/>
Formbetrachtung fehlt. Daneben kommt aber an den verſchie-<lb/>
denſten Stellen ſeiner Schriften doch immer wieder das Bedürfniß<lb/>
nach einer tieferen Auffaſſung der Pflanzenformen zum Vorſchein;<lb/>
was er darüber zu ſagen wußte, faßte er unter dem Namen<lb/><hirendition="#aq">metamorphosis plantarum</hi> zuſammen; der Inhalt ſeiner Me-<lb/>
tamorphoſenlehre aber baſirt ganz und gar auf den uns bereits<lb/>
bekannten Anſchauungen <hirendition="#g">Caeſalpin</hi>'s, welche er jedoch<lb/>
nicht in ihrer urſprünglichen Form aufnahm, ſondern in ächt<lb/>
caeſalpinſcher Weiſe weiter auszuſpinnen ſuchte, indem er einerſeits<lb/>
die Blätter und Blüthentheile aus den Gewebeſchichten des<lb/>
Stammes ableitete, andererſeits aber die Blüthentheile ſelbſt nur<lb/>
als veränderte Blätter auffaßte. In etwas confuſer Form tritt<lb/>
dieſe Lehre von der Metamorphoſis auf der letzten Seite ſeiner<lb/><hirendition="#aq">Philosophia botanica</hi> auf. Da heißt es z. B.: das ganze<lb/>
Kraut iſt eine Fortſetzung der Medullarſubſtanz der Wurzel; das<lb/>
Princip der Blüthen und Blätter iſt dasſelbe, wobei man ſich<lb/>
in <hirendition="#g">Linn<hirendition="#aq">é</hi></hi>'s Sinne hinzudenken muß: weil beide aus den das<lb/>
Mark umgebenden Gewebeſchichten entſtehen, wie <hirendition="#g">Caeſalpin</hi><lb/>
gelehrt hatte; abweichend von Letzterem und jedenfalls in ſich<lb/>
inkonſequent wäre aber die darauf folgende Behauptung, das<lb/>
Princip der Knoſpe und Blätter ſei identiſch, wenn nicht die<lb/>
Erklärung folgte, die Knoſpe beſtehe aus rudimentären Blättern,<lb/>ſo daß alſo der Axentheil der Knoſpe gar nicht beachtet wird.<lb/>
Das Perianthium entſteht nach ihm aus verwachſenen Blatt-<lb/>
rudimenten. Wie eng ſich <hirendition="#g">Linn<hirendition="#aq">é</hi></hi> noch in ſeinen ſpäten Jahren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[110/0122]
Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
praktiſchen Gebrauch nützliche, die ſich in ſeinem künſtlichen
Sexualſyſtem ausſprach und eine tiefere an ſich wiſſenſchaftlich
werthvolle, welcher er in ſeinem Fragment und in den obenge-
nannten natürlichen Gruppen Ausdruck gab.
Gerade ſo verhielt es ſich auch mit Linné's morphologi-
ſchen Anſichten; auch in dieſer Beziehung ging eine flachere neben
einer tieferen Auffaſſung her. Für den praktiſchen Gebrauch bei
der Pflanzenbeſchreibung bildete er ſeine Nomenclatur der Theile
aus, welche, ſo brauchbar ſie auch iſt, doch flach oder oberflächlich
erſcheint, da ihr jede tiefere Begründung durch vergleichende
Formbetrachtung fehlt. Daneben kommt aber an den verſchie-
denſten Stellen ſeiner Schriften doch immer wieder das Bedürfniß
nach einer tieferen Auffaſſung der Pflanzenformen zum Vorſchein;
was er darüber zu ſagen wußte, faßte er unter dem Namen
metamorphosis plantarum zuſammen; der Inhalt ſeiner Me-
tamorphoſenlehre aber baſirt ganz und gar auf den uns bereits
bekannten Anſchauungen Caeſalpin's, welche er jedoch
nicht in ihrer urſprünglichen Form aufnahm, ſondern in ächt
caeſalpinſcher Weiſe weiter auszuſpinnen ſuchte, indem er einerſeits
die Blätter und Blüthentheile aus den Gewebeſchichten des
Stammes ableitete, andererſeits aber die Blüthentheile ſelbſt nur
als veränderte Blätter auffaßte. In etwas confuſer Form tritt
dieſe Lehre von der Metamorphoſis auf der letzten Seite ſeiner
Philosophia botanica auf. Da heißt es z. B.: das ganze
Kraut iſt eine Fortſetzung der Medullarſubſtanz der Wurzel; das
Princip der Blüthen und Blätter iſt dasſelbe, wobei man ſich
in Linné's Sinne hinzudenken muß: weil beide aus den das
Mark umgebenden Gewebeſchichten entſtehen, wie Caeſalpin
gelehrt hatte; abweichend von Letzterem und jedenfalls in ſich
inkonſequent wäre aber die darauf folgende Behauptung, das
Princip der Knoſpe und Blätter ſei identiſch, wenn nicht die
Erklärung folgte, die Knoſpe beſtehe aus rudimentären Blättern,
ſo daß alſo der Axentheil der Knoſpe gar nicht beachtet wird.
Das Perianthium entſteht nach ihm aus verwachſenen Blatt-
rudimenten. Wie eng ſich Linné noch in ſeinen ſpäten Jahren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/122>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.