Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Winde wie das Meer. Der Himmel taucht in sie -- wie in das Meer -- sie umgiebt den Menschen schweigend wie die Unendlichkeit, fremd wie die Natur. Er möchte zu ihr sprechen und von ihr Antwort bekommen. Wie ein Schrei des Schmerzes entringt sich das Lied seiner Brust und stirbt unbeantwortet wie ein Seufzer. Da ist dem Menschen so seltsam. Gehört er nicht zu ihr? Hat sie ihn nicht geschaffen? Hat sie ihn unterworfen nur? -- Hat er sie verlassen? Stößt sie ihn von sich? Sie giebt ihm keine Antwort. Aus seinem Grabe wächst ein Baum. Sperlinge schreien auf den Aesten. -- Soll das eine Antwort sein? Er sieht den Ameisen zu, wie sie in langen Karawanen mit Eiern beladen durch den warmen Sand ziehen und zurück; da hat er seine Welt -- ein Wimmeln auf dem kleinsten Raum, ein rastloses Bemühen um -- Nichts. Er fühlt sich verlassen, ihm ist, als könnte er jeden Augenblick vergessen, daß er lebt. Da spricht im Weibe die Natur zu ihm: Du bist mein Kind. Du fürchtest mich wie den Tod, aber hier bin ich wie du. Küsse mich! Ich liebe dich, komm! Schaffe mit mir an dem Räthsel des Lebens, das dich ängstigt. Komm! Ich liebe dich! Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort. Ich und Nikolaja, wie glücklich waren wir. Wenn die Eltern kamen oder die Nachbarn, da hätten Sie Winde wie das Meer. Der Himmel taucht in sie — wie in das Meer — sie umgiebt den Menschen schweigend wie die Unendlichkeit, fremd wie die Natur. Er möchte zu ihr sprechen und von ihr Antwort bekommen. Wie ein Schrei des Schmerzes entringt sich das Lied seiner Brust und stirbt unbeantwortet wie ein Seufzer. Da ist dem Menschen so seltsam. Gehört er nicht zu ihr? Hat sie ihn nicht geschaffen? Hat sie ihn unterworfen nur? — Hat er sie verlassen? Stößt sie ihn von sich? Sie giebt ihm keine Antwort. Aus seinem Grabe wächst ein Baum. Sperlinge schreien auf den Aesten. — Soll das eine Antwort sein? Er sieht den Ameisen zu, wie sie in langen Karawanen mit Eiern beladen durch den warmen Sand ziehen und zurück; da hat er seine Welt — ein Wimmeln auf dem kleinsten Raum, ein rastloses Bemühen um — Nichts. Er fühlt sich verlassen, ihm ist, als könnte er jeden Augenblick vergessen, daß er lebt. Da spricht im Weibe die Natur zu ihm: Du bist mein Kind. Du fürchtest mich wie den Tod, aber hier bin ich wie du. Küsse mich! Ich liebe dich, komm! Schaffe mit mir an dem Räthsel des Lebens, das dich ängstigt. Komm! Ich liebe dich! Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort. Ich und Nikolaja, wie glücklich waren wir. Wenn die Eltern kamen oder die Nachbarn, da hätten Sie <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0045"/> Winde wie das Meer. Der Himmel taucht in sie — wie in das Meer — sie umgiebt den Menschen schweigend wie die Unendlichkeit, fremd wie die Natur. Er möchte zu ihr sprechen und von ihr Antwort bekommen. Wie ein Schrei des Schmerzes entringt sich das Lied seiner Brust und stirbt unbeantwortet wie ein Seufzer.</p><lb/> <p>Da ist dem Menschen so seltsam. Gehört er nicht zu ihr? Hat sie ihn nicht geschaffen? Hat sie ihn unterworfen nur? — Hat er sie verlassen? Stößt sie ihn von sich?</p><lb/> <p>Sie giebt ihm keine Antwort.</p><lb/> <p>Aus seinem Grabe wächst ein Baum. Sperlinge schreien auf den Aesten. — Soll das eine Antwort sein?</p><lb/> <p>Er sieht den Ameisen zu, wie sie in langen Karawanen mit Eiern beladen durch den warmen Sand ziehen und zurück; da hat er seine Welt — ein Wimmeln auf dem kleinsten Raum, ein rastloses Bemühen um — Nichts. Er fühlt sich verlassen, ihm ist, als könnte er jeden Augenblick vergessen, daß er lebt.</p><lb/> <p>Da spricht im Weibe die Natur zu ihm: Du bist mein Kind. Du fürchtest mich wie den Tod, aber hier bin ich wie du. Küsse mich! Ich liebe dich, komm! Schaffe mit mir an dem Räthsel des Lebens, das dich ängstigt. Komm! Ich liebe dich!</p><lb/> <p>Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort.</p><lb/> <p>Ich und Nikolaja, wie glücklich waren wir. Wenn die Eltern kamen oder die Nachbarn, da hätten Sie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
Winde wie das Meer. Der Himmel taucht in sie — wie in das Meer — sie umgiebt den Menschen schweigend wie die Unendlichkeit, fremd wie die Natur. Er möchte zu ihr sprechen und von ihr Antwort bekommen. Wie ein Schrei des Schmerzes entringt sich das Lied seiner Brust und stirbt unbeantwortet wie ein Seufzer.
Da ist dem Menschen so seltsam. Gehört er nicht zu ihr? Hat sie ihn nicht geschaffen? Hat sie ihn unterworfen nur? — Hat er sie verlassen? Stößt sie ihn von sich?
Sie giebt ihm keine Antwort.
Aus seinem Grabe wächst ein Baum. Sperlinge schreien auf den Aesten. — Soll das eine Antwort sein?
Er sieht den Ameisen zu, wie sie in langen Karawanen mit Eiern beladen durch den warmen Sand ziehen und zurück; da hat er seine Welt — ein Wimmeln auf dem kleinsten Raum, ein rastloses Bemühen um — Nichts. Er fühlt sich verlassen, ihm ist, als könnte er jeden Augenblick vergessen, daß er lebt.
Da spricht im Weibe die Natur zu ihm: Du bist mein Kind. Du fürchtest mich wie den Tod, aber hier bin ich wie du. Küsse mich! Ich liebe dich, komm! Schaffe mit mir an dem Räthsel des Lebens, das dich ängstigt. Komm! Ich liebe dich!
Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort.
Ich und Nikolaja, wie glücklich waren wir. Wenn die Eltern kamen oder die Nachbarn, da hätten Sie
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/45>, abgerufen am 16.02.2025. |