Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wir schwiegen Beide einige Zeit. Endlich sagte er ziemlich heiter: Verzeihen Sie, darf ich Sie fragen, warum sind denn alle Ehen unglücklich, oder doch die meisten? Was wollen Sie mir einwenden? Ich? Nichts, gar nichts! Also sehen Sie, es ist eine Thatsache! Aber ein Mensch, der das, was so ist, annimmt, ohne darüber nachzudenken, oder sich dagegen zu stemmen, der ist ein schwacher Mensch in jeder Beziehung. -- Ich meine, man muß tragen, was nothwendig ist, was so bestimmt ist, oder was in der Natur liegt, wie allenfalls der Winter oder die Nacht, oder der Tod. Aber ist es auch nothwendig, daß die Ehen in der Regel unglücklich sind? Ist da -- nun, Sie verstehen mich -- eine Nothwendigkeit, eine Regel, wenn ich mich so ausdrücken darf: ein Gesetz in der Natur? Mein Mann fragte mit dem Eifer eines Gelehrten, der seinen Gegenstand erörtert. Er war offenbar seiner Sache gewiß und sah mich nicht im Mindesten ernsthaft, sondern mit der liebenswürdigsten Neugierde an. Was macht die meisten Ehen unglücklich? wiederholte er. Verstehen Sie mich, Bruder? Ich sagte irgend etwas, was man so gewöhnlich sagt. Er unterbrach mich, entschuldigte sich und sprach weiter. Wir schwiegen Beide einige Zeit. Endlich sagte er ziemlich heiter: Verzeihen Sie, darf ich Sie fragen, warum sind denn alle Ehen unglücklich, oder doch die meisten? Was wollen Sie mir einwenden? Ich? Nichts, gar nichts! Also sehen Sie, es ist eine Thatsache! Aber ein Mensch, der das, was so ist, annimmt, ohne darüber nachzudenken, oder sich dagegen zu stemmen, der ist ein schwacher Mensch in jeder Beziehung. — Ich meine, man muß tragen, was nothwendig ist, was so bestimmt ist, oder was in der Natur liegt, wie allenfalls der Winter oder die Nacht, oder der Tod. Aber ist es auch nothwendig, daß die Ehen in der Regel unglücklich sind? Ist da — nun, Sie verstehen mich — eine Nothwendigkeit, eine Regel, wenn ich mich so ausdrücken darf: ein Gesetz in der Natur? Mein Mann fragte mit dem Eifer eines Gelehrten, der seinen Gegenstand erörtert. Er war offenbar seiner Sache gewiß und sah mich nicht im Mindesten ernsthaft, sondern mit der liebenswürdigsten Neugierde an. Was macht die meisten Ehen unglücklich? wiederholte er. Verstehen Sie mich, Bruder? Ich sagte irgend etwas, was man so gewöhnlich sagt. Er unterbrach mich, entschuldigte sich und sprach weiter. <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0026"/> <p>Wir schwiegen Beide einige Zeit.</p><lb/> <p>Endlich sagte er ziemlich heiter: Verzeihen Sie, darf ich Sie fragen, warum sind denn alle Ehen unglücklich, oder doch die meisten? Was wollen Sie mir einwenden?</p><lb/> <p>Ich? Nichts, gar nichts!</p><lb/> <p>Also sehen Sie, es ist eine Thatsache! Aber ein Mensch, der das, was so ist, annimmt, ohne darüber nachzudenken, oder sich dagegen zu stemmen, der ist ein schwacher Mensch in jeder Beziehung. — Ich meine, man muß tragen, was nothwendig ist, was so bestimmt ist, oder was in der Natur liegt, wie allenfalls der Winter oder die Nacht, oder der Tod. Aber ist es auch nothwendig, daß die Ehen in der Regel unglücklich sind? Ist da — nun, Sie verstehen mich — eine Nothwendigkeit, eine Regel, wenn ich mich so ausdrücken darf: ein Gesetz in der Natur?</p><lb/> <p>Mein Mann fragte mit dem Eifer eines Gelehrten, der seinen Gegenstand erörtert. Er war offenbar seiner Sache gewiß und sah mich nicht im Mindesten ernsthaft, sondern mit der liebenswürdigsten Neugierde an.</p><lb/> <p>Was macht die meisten Ehen unglücklich? wiederholte er. Verstehen Sie mich, Bruder?</p><lb/> <p>Ich sagte irgend etwas, was man so gewöhnlich sagt.</p><lb/> <p>Er unterbrach mich, entschuldigte sich und sprach weiter.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Wir schwiegen Beide einige Zeit.
Endlich sagte er ziemlich heiter: Verzeihen Sie, darf ich Sie fragen, warum sind denn alle Ehen unglücklich, oder doch die meisten? Was wollen Sie mir einwenden?
Ich? Nichts, gar nichts!
Also sehen Sie, es ist eine Thatsache! Aber ein Mensch, der das, was so ist, annimmt, ohne darüber nachzudenken, oder sich dagegen zu stemmen, der ist ein schwacher Mensch in jeder Beziehung. — Ich meine, man muß tragen, was nothwendig ist, was so bestimmt ist, oder was in der Natur liegt, wie allenfalls der Winter oder die Nacht, oder der Tod. Aber ist es auch nothwendig, daß die Ehen in der Regel unglücklich sind? Ist da — nun, Sie verstehen mich — eine Nothwendigkeit, eine Regel, wenn ich mich so ausdrücken darf: ein Gesetz in der Natur?
Mein Mann fragte mit dem Eifer eines Gelehrten, der seinen Gegenstand erörtert. Er war offenbar seiner Sache gewiß und sah mich nicht im Mindesten ernsthaft, sondern mit der liebenswürdigsten Neugierde an.
Was macht die meisten Ehen unglücklich? wiederholte er. Verstehen Sie mich, Bruder?
Ich sagte irgend etwas, was man so gewöhnlich sagt.
Er unterbrach mich, entschuldigte sich und sprach weiter.
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/26>, abgerufen am 16.02.2025. |