Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Naturgesetz ist, daß du Täuschung durch Andere erlebst und Andere durch dich. Es giebt kein Drittes; das Dritte: die völlig restlose Einheit hat der Don Juan gottbeglückt auch besessen, aber - laßt es ihn selbst erzählen, wie die zwei sich deckenden Linien nach und nach verrückten. Er erzählt es so naiv, daß er selbst nicht ahnt, welchen tiefen Gehalt er erzählt, und eben darum ist seine Geschichte keine Tendenznovelle, sondern ein Stück -- Naturgeschichte des Menschen. Wir fuhren aus der Kreisstadt Kolomea auf das Land. Es war Abend und ein Freitag. Der Pole sagt: Der Freitag ist ein guter Anfang, aber mein deutscher Kutscher, ein Colonist aus Mariahilf, behauptete, der Freitag sei ein Unglückstag, denn an diesem Tage sei unser Herr am Kreuze gestorben, und habe das Christenthum angefangen. Diesmal behielt der Deutsche Recht, denn eine halbe Stunde von Kolomea wurden wir von einer Bauernwache angehalten. Steh! -- Den Paß! Wir standen. Aber der Paß! -- Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht! Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich Naturgesetz ist, daß du Täuschung durch Andere erlebst und Andere durch dich. Es giebt kein Drittes; das Dritte: die völlig restlose Einheit hat der Don Juan gottbeglückt auch besessen, aber – laßt es ihn selbst erzählen, wie die zwei sich deckenden Linien nach und nach verrückten. Er erzählt es so naiv, daß er selbst nicht ahnt, welchen tiefen Gehalt er erzählt, und eben darum ist seine Geschichte keine Tendenznovelle, sondern ein Stück — Naturgeschichte des Menschen. Wir fuhren aus der Kreisstadt Kolomea auf das Land. Es war Abend und ein Freitag. Der Pole sagt: Der Freitag ist ein guter Anfang, aber mein deutscher Kutscher, ein Colonist aus Mariahilf, behauptete, der Freitag sei ein Unglückstag, denn an diesem Tage sei unser Herr am Kreuze gestorben, und habe das Christenthum angefangen. Diesmal behielt der Deutsche Recht, denn eine halbe Stunde von Kolomea wurden wir von einer Bauernwache angehalten. Steh! — Den Paß! Wir standen. Aber der Paß! — Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht! Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich <TEI> <text> <body> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0011"/> Naturgesetz ist, daß du Täuschung durch Andere erlebst und Andere durch dich. Es giebt kein Drittes; das Dritte: die völlig restlose Einheit hat der Don Juan gottbeglückt auch besessen, aber – laßt es ihn selbst erzählen, wie die zwei sich deckenden Linien nach und nach verrückten. Er erzählt es so naiv, daß er selbst nicht ahnt, welchen tiefen Gehalt er erzählt, und eben darum ist seine Geschichte keine Tendenznovelle, sondern ein Stück — <hi rendition="#g">Naturgeschichte des Menschen</hi>.</p><lb/> <byline> <hi rendition="#right"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118567764">Ferdinand Kürnberger</persName>.</hi> </byline><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div> <p>Wir fuhren aus der Kreisstadt Kolomea auf das Land. Es war Abend und ein Freitag. Der Pole sagt: Der Freitag ist ein guter Anfang, aber mein deutscher Kutscher, ein Colonist aus Mariahilf, behauptete, der Freitag sei ein Unglückstag, denn an diesem Tage sei unser Herr am Kreuze gestorben, und habe das Christenthum angefangen.</p><lb/> <p>Diesmal behielt der Deutsche Recht, denn eine halbe Stunde von Kolomea wurden wir von einer Bauernwache angehalten.</p><lb/> <p>Steh! — Den Paß!</p><lb/> <p>Wir standen. Aber der Paß! — Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht! Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Naturgesetz ist, daß du Täuschung durch Andere erlebst und Andere durch dich. Es giebt kein Drittes; das Dritte: die völlig restlose Einheit hat der Don Juan gottbeglückt auch besessen, aber – laßt es ihn selbst erzählen, wie die zwei sich deckenden Linien nach und nach verrückten. Er erzählt es so naiv, daß er selbst nicht ahnt, welchen tiefen Gehalt er erzählt, und eben darum ist seine Geschichte keine Tendenznovelle, sondern ein Stück — Naturgeschichte des Menschen.
Ferdinand Kürnberger.
Wir fuhren aus der Kreisstadt Kolomea auf das Land. Es war Abend und ein Freitag. Der Pole sagt: Der Freitag ist ein guter Anfang, aber mein deutscher Kutscher, ein Colonist aus Mariahilf, behauptete, der Freitag sei ein Unglückstag, denn an diesem Tage sei unser Herr am Kreuze gestorben, und habe das Christenthum angefangen.
Diesmal behielt der Deutsche Recht, denn eine halbe Stunde von Kolomea wurden wir von einer Bauernwache angehalten.
Steh! — Den Paß!
Wir standen. Aber der Paß! — Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht! Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/11>, abgerufen am 16.07.2024. |