Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

ich beginnen? Sollte ich sie wecken? Und wenn ich es that,
mußte sie nicht gewahren, daß sie in meinem Schooße lag?
Ein tiefes Schaamgefühl überkam mich und trieb mir das
Blut, heiß zum Versengen, in die Wangen zurück. Ich wagte
mich nicht zu rühren. Ich spürte, wie sich die Brust der
Jungfrau im festen Schlummer gleichmäßig hob und senkte,
und lauschte auf ihre Athemzüge, die sich mit den leisen des
Knaben und den schnellen, stoßweisen der Kranken vermisch¬
ten. Mein Herz schlug hörbar; der Falter schwirrte noch immer
um's Licht; draußen zirpten die Grillen.

Plötzlich erlosch knisternd die Lampe. Der Falter hatte
das Flämmchen, endlich hineinflatternd, erstickt. Ludmilla
wachte im Schlafe eine Bewegung. Dabei berührte ihr war¬
mer Hauch meine Hand. Ein heißer Schauer durchrieselte
mich, meine Pulse flogen, und in der Verwirrung meiner
Sinne beugte ich mich nieder und mein Mund streifte zitternd
das weiche, duftige Haar der Schläferin. Aber gleichzeitig,
wie von einer inneren Angst getrieben, schob ich sie sanft von
mir und erhob mich.

Ludmilla erwachte und schien sich lange nicht besinnen
zu können, als sie sich am Boden und im Dunkeln befand.
Ich sagte mit bebender Stimme, sie möge die Lampe anzünden,
die eben erloschen sei. Sie that es schämig verwirrt und er¬
wiederte, indem sie mit den Händen über das rosige Gesicht
fuhr: "Mein Gott, mir scheint, ich habe gar geschlafen."

Saar, Novellen aus Oesterreich. 4

ich beginnen? Sollte ich ſie wecken? Und wenn ich es that,
mußte ſie nicht gewahren, daß ſie in meinem Schooße lag?
Ein tiefes Schaamgefühl überkam mich und trieb mir das
Blut, heiß zum Verſengen, in die Wangen zurück. Ich wagte
mich nicht zu rühren. Ich ſpürte, wie ſich die Bruſt der
Jungfrau im feſten Schlummer gleichmäßig hob und ſenkte,
und lauſchte auf ihre Athemzüge, die ſich mit den leiſen des
Knaben und den ſchnellen, ſtoßweiſen der Kranken vermiſch¬
ten. Mein Herz ſchlug hörbar; der Falter ſchwirrte noch immer
um's Licht; draußen zirpten die Grillen.

Plötzlich erloſch kniſternd die Lampe. Der Falter hatte
das Flämmchen, endlich hineinflatternd, erſtickt. Ludmilla
wachte im Schlafe eine Bewegung. Dabei berührte ihr war¬
mer Hauch meine Hand. Ein heißer Schauer durchrieſelte
mich, meine Pulſe flogen, und in der Verwirrung meiner
Sinne beugte ich mich nieder und mein Mund ſtreifte zitternd
das weiche, duftige Haar der Schläferin. Aber gleichzeitig,
wie von einer inneren Angſt getrieben, ſchob ich ſie ſanft von
mir und erhob mich.

Ludmilla erwachte und ſchien ſich lange nicht beſinnen
zu können, als ſie ſich am Boden und im Dunkeln befand.
Ich ſagte mit bebender Stimme, ſie möge die Lampe anzünden,
die eben erloſchen ſei. Sie that es ſchämig verwirrt und er¬
wiederte, indem ſie mit den Händen über das roſige Geſicht
fuhr: „Mein Gott, mir ſcheint, ich habe gar geſchlafen.“

Saar, Novellen aus Oeſterreich. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0065" n="49"/>
ich beginnen? Sollte ich &#x017F;ie wecken? Und wenn ich es that,<lb/>
mußte &#x017F;ie nicht gewahren, daß &#x017F;ie in meinem Schooße lag?<lb/>
Ein tiefes Schaamgefühl überkam mich und trieb mir das<lb/>
Blut, heiß zum Ver&#x017F;engen, in die Wangen zurück. Ich wagte<lb/>
mich nicht zu rühren. Ich &#x017F;pürte, wie &#x017F;ich die Bru&#x017F;t der<lb/>
Jungfrau im fe&#x017F;ten Schlummer gleichmäßig hob und &#x017F;enkte,<lb/>
und lau&#x017F;chte auf ihre Athemzüge, die &#x017F;ich mit den lei&#x017F;en des<lb/>
Knaben und den &#x017F;chnellen, &#x017F;toßwei&#x017F;en der Kranken vermi&#x017F;ch¬<lb/>
ten. Mein Herz &#x017F;chlug hörbar; der Falter &#x017F;chwirrte noch immer<lb/>
um's Licht; draußen zirpten die Grillen.</p><lb/>
      <p>Plötzlich erlo&#x017F;ch kni&#x017F;ternd die Lampe. Der Falter hatte<lb/>
das Flämmchen, endlich hineinflatternd, er&#x017F;tickt. Ludmilla<lb/>
wachte im Schlafe eine Bewegung. Dabei berührte ihr war¬<lb/>
mer Hauch meine Hand. Ein heißer Schauer durchrie&#x017F;elte<lb/>
mich, meine Pul&#x017F;e flogen, und in der Verwirrung meiner<lb/>
Sinne beugte ich mich nieder und mein Mund &#x017F;treifte zitternd<lb/>
das weiche, duftige Haar der Schläferin. Aber gleichzeitig,<lb/>
wie von einer inneren Ang&#x017F;t getrieben, &#x017F;chob ich &#x017F;ie &#x017F;anft von<lb/>
mir und erhob mich.</p><lb/>
      <p>Ludmilla erwachte und &#x017F;chien &#x017F;ich lange nicht be&#x017F;innen<lb/>
zu können, als &#x017F;ie &#x017F;ich am Boden und im Dunkeln befand.<lb/>
Ich &#x017F;agte mit bebender Stimme, &#x017F;ie möge die Lampe anzünden,<lb/>
die eben erlo&#x017F;chen &#x017F;ei. Sie that es &#x017F;chämig verwirrt und er¬<lb/>
wiederte, indem &#x017F;ie mit den Händen über das ro&#x017F;ige Ge&#x017F;icht<lb/>
fuhr: &#x201E;Mein Gott, mir &#x017F;cheint, ich habe gar ge&#x017F;chlafen.&#x201C;<lb/></p>
      <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Saar</hi>, Novellen aus Oe&#x017F;terreich. 4<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0065] ich beginnen? Sollte ich ſie wecken? Und wenn ich es that, mußte ſie nicht gewahren, daß ſie in meinem Schooße lag? Ein tiefes Schaamgefühl überkam mich und trieb mir das Blut, heiß zum Verſengen, in die Wangen zurück. Ich wagte mich nicht zu rühren. Ich ſpürte, wie ſich die Bruſt der Jungfrau im feſten Schlummer gleichmäßig hob und ſenkte, und lauſchte auf ihre Athemzüge, die ſich mit den leiſen des Knaben und den ſchnellen, ſtoßweiſen der Kranken vermiſch¬ ten. Mein Herz ſchlug hörbar; der Falter ſchwirrte noch immer um's Licht; draußen zirpten die Grillen. Plötzlich erloſch kniſternd die Lampe. Der Falter hatte das Flämmchen, endlich hineinflatternd, erſtickt. Ludmilla wachte im Schlafe eine Bewegung. Dabei berührte ihr war¬ mer Hauch meine Hand. Ein heißer Schauer durchrieſelte mich, meine Pulſe flogen, und in der Verwirrung meiner Sinne beugte ich mich nieder und mein Mund ſtreifte zitternd das weiche, duftige Haar der Schläferin. Aber gleichzeitig, wie von einer inneren Angſt getrieben, ſchob ich ſie ſanft von mir und erhob mich. Ludmilla erwachte und ſchien ſich lange nicht beſinnen zu können, als ſie ſich am Boden und im Dunkeln befand. Ich ſagte mit bebender Stimme, ſie möge die Lampe anzünden, die eben erloſchen ſei. Sie that es ſchämig verwirrt und er¬ wiederte, indem ſie mit den Händen über das roſige Geſicht fuhr: „Mein Gott, mir ſcheint, ich habe gar geſchlafen.“ Saar, Novellen aus Oeſterreich. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/65
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/65>, abgerufen am 24.11.2024.