Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.Eines Abends spät hatte ich eben die Lampe angezündet Inzwischen hatte der Kirchendiener das Thor geöffnet "Um Gottes willen," sagte sie mit ängstlicher Hast und Ich erbebte im Innersten bei dem Klang dieser Stimme, In einer ärmlichen, aber rein und sorgsam gehaltenen Eines Abends ſpät hatte ich eben die Lampe angezündet Inzwiſchen hatte der Kirchendiener das Thor geöffnet „Um Gottes willen,“ ſagte ſie mit ängſtlicher Haſt und Ich erbebte im Innerſten bei dem Klang dieſer Stimme, In einer ärmlichen, aber rein und ſorgſam gehaltenen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0060" n="44"/> <p>Eines Abends ſpät hatte ich eben die Lampe angezündet<lb/> und mich über ein Buch gebeugt, als die Klingel am Thore<lb/> ziemlich haſtig gezogen wurde. Ich erhob mich und trat an's<lb/> Fenſter. Unten im Dunkel der Bäume ſtand das Mädchen<lb/> Ein jäher, freudiger Schreck durchzuckte mich, und unwillkür¬<lb/> lich trat ich einen Schritt zurück.</p><lb/> <p>Inzwiſchen hatte der Kirchendiener das Thor geöffnet<lb/> und fragte jetzt nach ihrem Begehren.</p><lb/> <p>„Um Gottes willen,“ ſagte ſie mit ängſtlicher Haſt und<lb/> unterdrücktem Weinen, „meine Mutter iſt ſchwer krank; der<lb/> geiſtliche Herr möchte ſie verſehen kommen.“</p><lb/> <p>Ich erbebte im Innerſten bei dem Klang dieſer Stimme,<lb/> die ich nun zum erſten Male hörte. Ich fühlte das tiefſte<lb/> Mitleid mit dem armen Kinde; eine fieberhafte Angſt und<lb/> Sorge um die Kranke überfiel mich, und dennoch hätte ich<lb/> zugleich aufjubeln können vor Freude. Raſch eilte ich die<lb/> Treppe hinunter und begab mich mit dem Kirchendiener, der<lb/> mir im Flure entgegen kam, in die Sakriſtei, um alles Noth¬<lb/> wendige zu holen. Als ich damit aus dem Hauſe trat, war<lb/> das Mädchen am Thore niedergekniet. Ich bewegte mit zit¬<lb/> ternden Händen den Kelch ſegnend über ihrem Haupte; dann<lb/> ſtand ſie auf und eilte mir raſch voran.</p><lb/> <p>In einer ärmlichen, aber rein und ſorgſam gehaltenen<lb/> Stube kniete der Zeugwart am Krankenbette, eine breitſchul¬<lb/> terige alte Soldatengeſtalt mit dem Kanonenkreuze auf der<lb/></p> </body> </text> </TEI> [44/0060]
Eines Abends ſpät hatte ich eben die Lampe angezündet
und mich über ein Buch gebeugt, als die Klingel am Thore
ziemlich haſtig gezogen wurde. Ich erhob mich und trat an's
Fenſter. Unten im Dunkel der Bäume ſtand das Mädchen
Ein jäher, freudiger Schreck durchzuckte mich, und unwillkür¬
lich trat ich einen Schritt zurück.
Inzwiſchen hatte der Kirchendiener das Thor geöffnet
und fragte jetzt nach ihrem Begehren.
„Um Gottes willen,“ ſagte ſie mit ängſtlicher Haſt und
unterdrücktem Weinen, „meine Mutter iſt ſchwer krank; der
geiſtliche Herr möchte ſie verſehen kommen.“
Ich erbebte im Innerſten bei dem Klang dieſer Stimme,
die ich nun zum erſten Male hörte. Ich fühlte das tiefſte
Mitleid mit dem armen Kinde; eine fieberhafte Angſt und
Sorge um die Kranke überfiel mich, und dennoch hätte ich
zugleich aufjubeln können vor Freude. Raſch eilte ich die
Treppe hinunter und begab mich mit dem Kirchendiener, der
mir im Flure entgegen kam, in die Sakriſtei, um alles Noth¬
wendige zu holen. Als ich damit aus dem Hauſe trat, war
das Mädchen am Thore niedergekniet. Ich bewegte mit zit¬
ternden Händen den Kelch ſegnend über ihrem Haupte; dann
ſtand ſie auf und eilte mir raſch voran.
In einer ärmlichen, aber rein und ſorgſam gehaltenen
Stube kniete der Zeugwart am Krankenbette, eine breitſchul¬
terige alte Soldatengeſtalt mit dem Kanonenkreuze auf der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |