willigst aufgenommen hatte. Er war schon ziemlich bejahrt, weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufsehers am zoologischen Museum der Stadt. Er brachte öfter seltene Thiere mit nach Hause; denn zu seinen Obliegenheiten gehörte es, dieselben auszubälgen oder in Weingeist zu setzen. Dabei mußt' ich ihm nun helfen, und auf diese Art erwachte in mir der Hang zum Studium der Natur und schlug immer tiefer in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unseren Gymnasien zu jener Zeit selbst die Anfangsgründe der Naturwissenschaften engherziger Rücksichten halber von den Lehrgegenständen noch ausgeschlossen waren, so wendete ich meinen geringen Spar¬ pfennig daran, mir einige einschlägige und leichtfaßliche Bücher zu erwerben. Oft verweilte ich stundenlang in den lautlosen Sälen des Museums, zu denen mein Pflegevater die Schlüssel hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verschieden¬ artigsten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie lebendig, mit seltsam stieren Blicken anzusehen schien, so daß ich mich anfangs eines leisen Schauders nicht hatte erwehren können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden und meine kindliche Phantasie brachte Athem und Bewegung in die starren Gestalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen und den schön gefleckten Königstiger aus ihrem gläsernen Ge¬ fängniß heraustreten und majestätisch einen hohen Palmenwald durchschreiten, wo die Abgottschlange zwischen leuchtenden Blumen den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletschende Affen an
willigſt aufgenommen hatte. Er war ſchon ziemlich bejahrt, weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufſehers am zoologiſchen Muſeum der Stadt. Er brachte öfter ſeltene Thiere mit nach Hauſe; denn zu ſeinen Obliegenheiten gehörte es, dieſelben auszubälgen oder in Weingeiſt zu ſetzen. Dabei mußt' ich ihm nun helfen, und auf dieſe Art erwachte in mir der Hang zum Studium der Natur und ſchlug immer tiefer in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unſeren Gymnaſien zu jener Zeit ſelbſt die Anfangsgründe der Naturwiſſenſchaften engherziger Rückſichten halber von den Lehrgegenſtänden noch ausgeſchloſſen waren, ſo wendete ich meinen geringen Spar¬ pfennig daran, mir einige einſchlägige und leichtfaßliche Bücher zu erwerben. Oft verweilte ich ſtundenlang in den lautloſen Sälen des Muſeums, zu denen mein Pflegevater die Schlüſſel hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verſchieden¬ artigſten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie lebendig, mit ſeltſam ſtieren Blicken anzuſehen ſchien, ſo daß ich mich anfangs eines leiſen Schauders nicht hatte erwehren können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden und meine kindliche Phantaſie brachte Athem und Bewegung in die ſtarren Geſtalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen und den ſchön gefleckten Königſtiger aus ihrem gläſernen Ge¬ fängniß heraustreten und majeſtätiſch einen hohen Palmenwald durchſchreiten, wo die Abgottſchlange zwiſchen leuchtenden Blumen den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletſchende Affen an
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0053"n="37"/>
willigſt aufgenommen hatte. Er war ſchon ziemlich bejahrt,<lb/>
weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufſehers<lb/>
am zoologiſchen Muſeum der Stadt. Er brachte öfter ſeltene<lb/>
Thiere mit nach Hauſe; denn zu ſeinen Obliegenheiten gehörte<lb/>
es, dieſelben auszubälgen oder in Weingeiſt zu ſetzen. Dabei<lb/>
mußt' ich ihm nun helfen, und auf dieſe Art erwachte in mir<lb/>
der Hang zum Studium der Natur und ſchlug immer tiefer<lb/>
in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unſeren Gymnaſien zu<lb/>
jener Zeit ſelbſt die Anfangsgründe der Naturwiſſenſchaften<lb/>
engherziger Rückſichten halber von den Lehrgegenſtänden noch<lb/>
ausgeſchloſſen waren, ſo wendete ich meinen geringen Spar¬<lb/>
pfennig daran, mir einige einſchlägige und leichtfaßliche Bücher<lb/>
zu erwerben. Oft verweilte ich ſtundenlang in den lautloſen<lb/>
Sälen des Muſeums, zu denen mein Pflegevater die Schlüſſel<lb/>
hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verſchieden¬<lb/>
artigſten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie<lb/>
lebendig, mit ſeltſam ſtieren Blicken anzuſehen ſchien, ſo daß<lb/>
ich mich anfangs eines leiſen Schauders nicht hatte erwehren<lb/>
können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden<lb/>
und meine kindliche Phantaſie brachte Athem und Bewegung<lb/>
in die ſtarren Geſtalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen<lb/>
und den ſchön gefleckten Königſtiger aus ihrem gläſernen Ge¬<lb/>
fängniß heraustreten und majeſtätiſch einen hohen Palmenwald<lb/>
durchſchreiten, wo die Abgottſchlange zwiſchen leuchtenden Blumen<lb/>
den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletſchende Affen an<lb/></p></body></text></TEI>
[37/0053]
willigſt aufgenommen hatte. Er war ſchon ziemlich bejahrt,
weib- und kinderlos und bekleidete die Stelle eines Aufſehers
am zoologiſchen Muſeum der Stadt. Er brachte öfter ſeltene
Thiere mit nach Hauſe; denn zu ſeinen Obliegenheiten gehörte
es, dieſelben auszubälgen oder in Weingeiſt zu ſetzen. Dabei
mußt' ich ihm nun helfen, und auf dieſe Art erwachte in mir
der Hang zum Studium der Natur und ſchlug immer tiefer
in meinem Gemüthe Wurzel. Da an unſeren Gymnaſien zu
jener Zeit ſelbſt die Anfangsgründe der Naturwiſſenſchaften
engherziger Rückſichten halber von den Lehrgegenſtänden noch
ausgeſchloſſen waren, ſo wendete ich meinen geringen Spar¬
pfennig daran, mir einige einſchlägige und leichtfaßliche Bücher
zu erwerben. Oft verweilte ich ſtundenlang in den lautloſen
Sälen des Muſeums, zu denen mein Pflegevater die Schlüſſel
hatte und wo mich die bunte Thierwelt in den verſchieden¬
artigſten Stellungen und Lagen regungslos, und doch wie
lebendig, mit ſeltſam ſtieren Blicken anzuſehen ſchien, ſo daß
ich mich anfangs eines leiſen Schauders nicht hatte erwehren
können. Bald aber war ich mit ihr ganz vertraut geworden
und meine kindliche Phantaſie brachte Athem und Bewegung
in die ſtarren Geſtalten. Ich ließ den breitmähnigen Löwen
und den ſchön gefleckten Königſtiger aus ihrem gläſernen Ge¬
fängniß heraustreten und majeſtätiſch einen hohen Palmenwald
durchſchreiten, wo die Abgottſchlange zwiſchen leuchtenden Blumen
den furchtbaren Leib emporringelte, zähnefletſchende Affen an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/53>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.