fortfuhr: "Ich habe noch Etwas auf dem Herzen, das ich Ihnen schon vor fast einem Jahre einmal mitzutheilen ver¬ sprochen. Ich will es jetzt thun, denn mir ist,[...] als sollt' ich Ihnen beim Scheiden das Bild ergänzen, welches Sie von mir, ich weiß es, freundlich im Gedächtnisse bewahren werden." Er stützte das Haupt auf die Hand und sah einen Augenblick nachdenklich vor sich hin.
"Wie Sie wissen," begann er, "bin ich der Sohn armer Landleute. Meine Kindheit war im Ganzen eine ziemlich freud¬ lose. Ich mußte schon früh meinen Eltern bei der Feldarbeit an die Hand gehen und überdieß fleißig die Schule besuchen; denn es hieß, ich sollte einmal studiren. Wirklich wurde ich später, obwohl man mich zu Hause schwer entbehrte, nach der Hauptstadt gethan, um das Gymnasium zu besuchen. Dort wurde ich bald das Stichblatt meiner Mitschüler, die boshaft genug waren, sich über meine langen Beine, mein schüchternes, linkisches Benehmen, über meinen altväterischen Anzug lustig zu machen und mir allerlei muthwillige Streiche zu spielen. Obgleich mir dies auch anfangs viele trübe Stunden bereitete, so hatte es doch das Gute, daß ich mich nach und nach ganz von ihrem Umgange zurückzog und somit nie in die Versuchung kam, an dem sonstigen Treiben dieser frühreifen Knaben theil¬ zunehmen. Ich lebte damals in einer ärmlichen Dachstube auf der Kleinseite, wo mich ein entfernter Anverwandter bereit¬
fortfuhr: „Ich habe noch Etwas auf dem Herzen, das ich Ihnen ſchon vor faſt einem Jahre einmal mitzutheilen ver¬ ſprochen. Ich will es jetzt thun, denn mir iſt,[…] als ſollt' ich Ihnen beim Scheiden das Bild ergänzen, welches Sie von mir, ich weiß es, freundlich im Gedächtniſſe bewahren werden.“ Er ſtützte das Haupt auf die Hand und ſah einen Augenblick nachdenklich vor ſich hin.
„Wie Sie wiſſen,“ begann er, „bin ich der Sohn armer Landleute. Meine Kindheit war im Ganzen eine ziemlich freud¬ loſe. Ich mußte ſchon früh meinen Eltern bei der Feldarbeit an die Hand gehen und überdieß fleißig die Schule beſuchen; denn es hieß, ich ſollte einmal ſtudiren. Wirklich wurde ich ſpäter, obwohl man mich zu Hauſe ſchwer entbehrte, nach der Hauptſtadt gethan, um das Gymnaſium zu beſuchen. Dort wurde ich bald das Stichblatt meiner Mitſchüler, die boshaft genug waren, ſich über meine langen Beine, mein ſchüchternes, linkiſches Benehmen, über meinen altväteriſchen Anzug luſtig zu machen und mir allerlei muthwillige Streiche zu ſpielen. Obgleich mir dies auch anfangs viele trübe Stunden bereitete, ſo hatte es doch das Gute, daß ich mich nach und nach ganz von ihrem Umgange zurückzog und ſomit nie in die Verſuchung kam, an dem ſonſtigen Treiben dieſer frühreifen Knaben theil¬ zunehmen. Ich lebte damals in einer ärmlichen Dachſtube auf der Kleinſeite, wo mich ein entfernter Anverwandter bereit¬
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[36/0052]
fortfuhr: „Ich habe noch Etwas auf dem Herzen, das ich
Ihnen ſchon vor faſt einem Jahre einmal mitzutheilen ver¬
ſprochen. Ich will es jetzt thun, denn mir iſt, als ſollt' ich
Ihnen beim Scheiden das Bild ergänzen, welches Sie von mir,
ich weiß es, freundlich im Gedächtniſſe bewahren werden.“
Er ſtützte das Haupt auf die Hand und ſah einen Augenblick
nachdenklich vor ſich hin.
„Wie Sie wiſſen,“ begann er, „bin ich der Sohn armer
Landleute. Meine Kindheit war im Ganzen eine ziemlich freud¬
loſe. Ich mußte ſchon früh meinen Eltern bei der Feldarbeit
an die Hand gehen und überdieß fleißig die Schule beſuchen;
denn es hieß, ich ſollte einmal ſtudiren. Wirklich wurde ich
ſpäter, obwohl man mich zu Hauſe ſchwer entbehrte, nach der
Hauptſtadt gethan, um das Gymnaſium zu beſuchen. Dort
wurde ich bald das Stichblatt meiner Mitſchüler, die boshaft
genug waren, ſich über meine langen Beine, mein ſchüchternes,
linkiſches Benehmen, über meinen altväteriſchen Anzug luſtig
zu machen und mir allerlei muthwillige Streiche zu ſpielen.
Obgleich mir dies auch anfangs viele trübe Stunden bereitete,
ſo hatte es doch das Gute, daß ich mich nach und nach ganz
von ihrem Umgange zurückzog und ſomit nie in die Verſuchung
kam, an dem ſonſtigen Treiben dieſer frühreifen Knaben theil¬
zunehmen. Ich lebte damals in einer ärmlichen Dachſtube auf
der Kleinſeite, wo mich ein entfernter Anverwandter bereit¬
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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