Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.Inzwischen war der Sommer, war der Herbst vergangen Als ich mit beklommenem Herzen bei ihm eintrat, betrachtete Wir blieben uns eine Zeit lang schweigend gegenüber. Inzwiſchen war der Sommer, war der Herbſt vergangen Als ich mit beklommenem Herzen bei ihm eintrat, betrachtete Wir blieben uns eine Zeit lang ſchweigend gegenüber. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0048" n="32"/> <p>Inzwiſchen war der Sommer, war der Herbſt vergangen<lb/> und endlich der Winter gekommen, deſſen Stürme und Schnee¬<lb/> geſtöber mich nicht abhielten, nach wie vor das Prieſterhaus<lb/> auf dem Wyſchehrad aufzuſuchen. Aber der wieder erwachende<lb/> Lenz ſetzte eine ſchlimme Zeitung in die Welt: die Kriegser¬<lb/> klärung Piemonts. Dieſes Ereigniß überfiel mich um ſo un¬<lb/> vorbereiteter und gewaltſamer, als ich während der ſchönen<lb/> Zeit des Verkehrs mit Innocens die Politik ganz und gar ver¬<lb/> geſſen hatte, und mein Regiment die Weiſung erhielt, nach<lb/> Italien abzurücken. Da ſich bei ähnlicher Gelegenheit Befehle<lb/> und Anordnungen überſtürzen, ſo fand ich im Drange einer<lb/> haſtigen und verworrenen Dienſtesthätigkeit kaum noch Zeit,<lb/> meinen geiſtlichen Freund von unſerer ſo bald bevorſtehenden<lb/> Trennung perſönlich in Kenntniß zu ſetzen und noch einige<lb/> Stunden bei ihm zuzubringen.</p><lb/> <p>Als ich mit beklommenem Herzen bei ihm eintrat, betrachtete<lb/> er eben mit erhabener, geiſtvollen Naturfreunden eigenthümlicher<lb/> Naivetät ein paar Schneeglöckchen, die er in der Hand hielt.<lb/> Er ſtand auf und ſchwenkte mir, gleichſam im ſtillen Triumphe,<lb/> dieſe erſten Boten des Frühlings entgegen. Als ich ihm aber<lb/> jetzt die Vorfallenheiten erzählte, da ſenkte ſich ſeine Hand all¬<lb/> mälig und ſein Mund kniff ſich immer tiefer und ſchmerzlicher<lb/> ein. „Das iſt raſch über uns hereingebrochen“, ſprach er ton¬<lb/> los vor ſich hin.</p><lb/> <p>Wir blieben uns eine Zeit lang ſchweigend gegenüber.<lb/></p> </body> </text> </TEI> [32/0048]
Inzwiſchen war der Sommer, war der Herbſt vergangen
und endlich der Winter gekommen, deſſen Stürme und Schnee¬
geſtöber mich nicht abhielten, nach wie vor das Prieſterhaus
auf dem Wyſchehrad aufzuſuchen. Aber der wieder erwachende
Lenz ſetzte eine ſchlimme Zeitung in die Welt: die Kriegser¬
klärung Piemonts. Dieſes Ereigniß überfiel mich um ſo un¬
vorbereiteter und gewaltſamer, als ich während der ſchönen
Zeit des Verkehrs mit Innocens die Politik ganz und gar ver¬
geſſen hatte, und mein Regiment die Weiſung erhielt, nach
Italien abzurücken. Da ſich bei ähnlicher Gelegenheit Befehle
und Anordnungen überſtürzen, ſo fand ich im Drange einer
haſtigen und verworrenen Dienſtesthätigkeit kaum noch Zeit,
meinen geiſtlichen Freund von unſerer ſo bald bevorſtehenden
Trennung perſönlich in Kenntniß zu ſetzen und noch einige
Stunden bei ihm zuzubringen.
Als ich mit beklommenem Herzen bei ihm eintrat, betrachtete
er eben mit erhabener, geiſtvollen Naturfreunden eigenthümlicher
Naivetät ein paar Schneeglöckchen, die er in der Hand hielt.
Er ſtand auf und ſchwenkte mir, gleichſam im ſtillen Triumphe,
dieſe erſten Boten des Frühlings entgegen. Als ich ihm aber
jetzt die Vorfallenheiten erzählte, da ſenkte ſich ſeine Hand all¬
mälig und ſein Mund kniff ſich immer tiefer und ſchmerzlicher
ein. „Das iſt raſch über uns hereingebrochen“, ſprach er ton¬
los vor ſich hin.
Wir blieben uns eine Zeit lang ſchweigend gegenüber.
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