Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.trat jedoch über der schmalen Nasenwurzel frei und schön ge¬ Es war, als ob auch sein Auge von einem gleichen "Wir stören uns doch," sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. Er mußte in meinen Zügen ein gewisses Befremden Ich bejahte es. "Und Sie scheinen sich zu wundern, daß ich es lese," trat jedoch über der ſchmalen Naſenwurzel frei und ſchön ge¬ Es war, als ob auch ſein Auge von einem gleichen „Wir ſtören uns doch,“ ſagte er mit einem flüchtigen Lächeln. Er mußte in meinen Zügen ein gewiſſes Befremden Ich bejahte es. „Und Sie ſcheinen ſich zu wundern, daß ich es leſe,“ <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0034" n="18"/> trat jedoch über der ſchmalen Naſenwurzel frei und ſchön ge¬<lb/> wölbt aus den Haaren hervor. Um den etwas großen, leicht<lb/> eingekniffenen Mund lag ein feiner Schmerzenszug, der eigen¬<lb/> thümlich von der milden Heiterkeit der graublauen Augen ab¬<lb/> ſtach. Mit Ausnahme einer tiefen Furche zwiſchen den Brauen,<lb/> war noch keine Falte in dieſem edlen Antlitze zu ſehen, das<lb/> den Pater bei näherer Betrachtung jünger erſcheinen ließ, als<lb/> man ſonſt denken mochte. Er konnte das vierzigſte Lebens¬<lb/> jahr noch nicht lange überſchritten haben.</p><lb/> <p>Es war, als ob auch ſein Auge von einem gleichen<lb/> Beobachtungsdrange gelenkt würde; denn plötzlich begegneten<lb/> ſich unſere Blicke.</p><lb/> <p>„Wir ſtören uns doch,“ ſagte er mit einem flüchtigen Lächeln.<lb/> „Es iſt aber auch unverantwortlich, daß wir uns an das ge¬<lb/> druckte Wort halten und das lebendige, das uns doch eigent¬<lb/> lich zunächſt geboten iſt, verſchmähen.“ Dabei klappte er ſein<lb/> Buch zu und legte es neben ſich hin. Mein Blick ſtreifte den<lb/> Titel auf dem Umſchlage; es war eine zu jener Zeit vieler¬<lb/> wähnte materialiſtiſche Schrift.</p><lb/> <p>Er mußte in meinen Zügen ein gewiſſes Befremden<lb/> darüber wahrnehmen, denn er fragte: „Kennen Sie dieſes<lb/> Buch?“</p><lb/> <p>Ich bejahte es.</p><lb/> <p>„Und Sie ſcheinen ſich zu wundern, daß ich es leſe,“<lb/> fuhr er fort. „Es mag ſich allerdings etwas ſeltſam bei mir<lb/></p> </body> </text> </TEI> [18/0034]
trat jedoch über der ſchmalen Naſenwurzel frei und ſchön ge¬
wölbt aus den Haaren hervor. Um den etwas großen, leicht
eingekniffenen Mund lag ein feiner Schmerzenszug, der eigen¬
thümlich von der milden Heiterkeit der graublauen Augen ab¬
ſtach. Mit Ausnahme einer tiefen Furche zwiſchen den Brauen,
war noch keine Falte in dieſem edlen Antlitze zu ſehen, das
den Pater bei näherer Betrachtung jünger erſcheinen ließ, als
man ſonſt denken mochte. Er konnte das vierzigſte Lebens¬
jahr noch nicht lange überſchritten haben.
Es war, als ob auch ſein Auge von einem gleichen
Beobachtungsdrange gelenkt würde; denn plötzlich begegneten
ſich unſere Blicke.
„Wir ſtören uns doch,“ ſagte er mit einem flüchtigen Lächeln.
„Es iſt aber auch unverantwortlich, daß wir uns an das ge¬
druckte Wort halten und das lebendige, das uns doch eigent¬
lich zunächſt geboten iſt, verſchmähen.“ Dabei klappte er ſein
Buch zu und legte es neben ſich hin. Mein Blick ſtreifte den
Titel auf dem Umſchlage; es war eine zu jener Zeit vieler¬
wähnte materialiſtiſche Schrift.
Er mußte in meinen Zügen ein gewiſſes Befremden
darüber wahrnehmen, denn er fragte: „Kennen Sie dieſes
Buch?“
Ich bejahte es.
„Und Sie ſcheinen ſich zu wundern, daß ich es leſe,“
fuhr er fort. „Es mag ſich allerdings etwas ſeltſam bei mir
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